Politik

Johnson gewinnt Parlamentswahl: Tories erringen absolute Mehrheit im Unterhaus, SNP räumt in Schottland ab

Großbritannien steuert auf einen zügigen Austritt aus der EU zu. Die Konservativen werden aller Voraussicht nach die absolute Mehrheit erhalten. In Schottland rückt ein neues Unabhängigkeitsreferendum in den Blick, dort sahnte die Schottische Nationalpartei in großem Stil ab.
13.12.2019 07:01
Aktualisiert: 13.12.2019 07:01
Lesezeit: 3 min
Johnson gewinnt Parlamentswahl: Tories erringen absolute Mehrheit im Unterhaus, SNP räumt in Schottland ab
Wahlsieger Boris Johnson. (Foto: dpa) Foto: Stefan Rousseau

Die Konservativen von Premierminister Boris Johnson haben die Parlamentswahl in Großbritannien klar gewonnen und können den geplanten Ausstieg aus der Europäischen Union nun vollziehen.

Die Partei errang nach Auszählung von rund 600 der 650 Wahlkreise am Freitagmorgen mindestens 326 Sitze und damit die absolute Mehrheit im Unterhaus. Berechnungen zufolge zeichnete sich eine deutliche Mehrheit für die Tories ab. Dreieinhalb Jahre nach dem knappen Votum der Briten zum EU-Austritt scheint dem Brexit nun nichts mehr im Wege zu stehen.

Seine Regierung habe "ein machtvolles Mandat erhalten, den Brexit durchzuziehen", verkündete Johnson am frühen Freitagmorgen in seinem Wahlkreis nahe London. Als Termin für den Brexit ist der 31. Januar vorgesehen. Johnson versprach, er werde "das Land einen und voranbringen und sich auf die Prioritäten des britischen Volks fokussieren".

Johnsons Konservative kommen nach den Berechnungen der BBC auf insgesamt 362 der insgesamt 650 Mandate. Labour erhält demnach 199 Mandate - das wäre ein historisch schlechtes Ergebnis. Oppositionsführer Jeremy Corbyn erkannte die Niederlage von Labour an und kündigte seinen Rückzug von der Partei nach einer Übergangsphase an.

In Schottland räumte die Schottische Nationalpartei ab, was Spekulationen über ein möglicherweise bevorstehendes neues Unabhängigkeitsreferendum befeuerte. SNP-Chefin Nicola Sturgeon kündigte an, für ein zweites Unabhängigkeits-Referendum kämpfen zu wollen. "Boris Johnson hat erstens kein Recht, Schottland aus der EU zu nehmen und zweitens kein Recht zu verhindern, dass das schottische Volk über seine eigene Zukunft bestimmt", sagte die schottische Regierungschefin am frühen Freitagmorgen in der BBC.

Die sozialdemokratisch und pro-europäisch ausgerichtete Schottische Nationalpartei wird Vorhersagen zufolge möglicherweise mehr als 50 der 59 schottischen Parlamentssitze gewinnen. Die Konservativen könnten in Schottland komplett leer ausgehen, nachdem sie 2017 noch 13 Mandaten geholt hatten.

US-Präsident Donald Trump zeigte sich zufrieden mit dem voraussichtlichen Ausgang der Wahl in Großbritannien. "Sieht nach einem großen Sieg für Boris aus!", schrieb Trump in der Nacht zu Freitag auf Twitter.

Johnson war ähnlich wie Trump mit einem populistisch geführten Wahlkampf angetreten. Beide Politiker stehen sich nahe. Großbritannien und die USA wollen ein gemeinsamen Handelsabkommen abschließen, sobald Großbritannien aus der EU ausgetreten und nicht mehr an EU-Regelungen gebunden ist. Kritiker befürchten, dass ein solches Abkommen stark liberalisiert sein könnte und auch als sinnvoll erachtete Regulierungen der EU - etwa bei Finanzdienstleistungen oder in der Landwirtschaft - zurückfahren wird.

Die SPD-Europapolitikerin Katarina Barley dämpfte die Hoffnung auf ein rasches Ende des Brexit-Streits. Johnson habe mit "der leeren Versprechung" gepunktet, den Brexit schnell abhandeln zu können, erklärte die Vizepräsidentin des Europaparlaments am späten Donnerstagabend der Deutschen Presse-Agentur in Brüssel. Zunächst müsse der Austrittsvertrag durch das britische und das Europäische Parlament. "Und danach geht es erst richtig los: Die zukünftige Beziehung des Vereinigten Königreiches mit der EU muss verhandelt werden", erklärte Barley. "Johnson will das in wenigen Monaten schaffen - das wird nicht funktionieren."

Dem Austrittsabkommen zufolge soll das Land bis Ende 2020 in einer Übergangsphase bleiben. Bis dahin will Johnson einen Vertrag über die künftigen Beziehungen mit der Staatengemeinschaft aushandeln. Die Zeit dafür gilt jedoch als denkbar knapp. Eine Verlängerungsoption um bis zu zwei Jahre, die noch bis Juli 2020 möglich ist, hat der Premier ausgeschlossen. Sollte kein Anschlussabkommen zustande kommen, droht Ende kommenden Jahres wieder ein No-Deal-Szenario.

EU-Ratspräsident Charles Michel zeigte sich kooperativ. "Wir werden sehen, ob es für das britische Parlament möglich ist, das Austrittsabkommen zu akzeptieren" sagte Michel nach dem EU-Gipfel in der Nacht zum Freitag in Brüssel. "Falls das der Fall ist, sind wir bereit für die nächsten Schritte."

Johnson gelang es, seinen Londoner Wahlkreis Uxbridge mit klarer Mehrheit zu halten. Der Tory-Chef versammelte rund 7000 Stimmen mehr auf sich als sein nächster Mitbewerber, wie die örtliche Wahlleitung am frühen Freitagmorgen bekanntgab. Im Vorfeld waren Spekulationen laut geworden, Johnson könnte seinen Parlamentssitz verlieren, seine Partei die Wahl aber insgesamt gewinnen. Dies hätte die Position des Premierministers schwächen können.

Die Chefin der britischen Liberaldemokraten, Jo Swinson, verlor ihr Mandat. Das teilte der zuständige Wahlleiter im schottischen Dunbartonshire East mit. Ihr Sitz ging an die Kandidatin der Schottische Nationalpartei SNP. Swinson hatte sich dafür ausgesprochen, den Brexit einfach abzusagen. Noch vor wenigen Monaten gab sie das Ziel aus, Premierministerin zu werden. Die Liberaldemokraten gehören zu den Verlierern der Wahl.

Die Briten hatten 2016 in einem Referendum mit knapper Mehrheit für den EU-Austritt gestimmt. Nach zähen Verhandlungen konnte Johnsons Vorgängerin Theresa May im November 2018 ein Austrittsabkommen vorlegen. Doch die anschließende Ratifizierung im britischen Parlament scheiterte. Nicht zuletzt, weil ihre Regierung seit der vergangenen Wahl 2017 keine eigene Mehrheit mehr hatte. Der Brexit wurde mehrmals verschoben, May musste schließlich zurücktreten.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Finanzen
Finanzen Ölpreis: OPEC-Konflikt eskaliert – Saudi-Arabien warnt vor Marktchaos
11.05.2025

Ein gefährlicher Riss geht durch die mächtige Allianz der OPEC-Plus-Staaten. Statt mit geschlossener Strategie die Preise zu...

DWN
Politik
Politik Kann Deutschland Europa retten? Der neue Koalitionsvertrag offenbart alte Schwächen
11.05.2025

Zum Europatag 2025 richtet sich der Blick erneut nach Berlin. Die Erwartungen an Deutschland sind hoch – nicht nur innerhalb der Union,...

DWN
Finanzen
Finanzen Börsenkrisen: Warum Volatilität kein Risiko ist
11.05.2025

Wenn die Börsen Achterbahn fahren, zittern viele Anleger. Doch Panik ist oft der schlechteste Berater – denn was aussieht wie ein...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Strategien für Krisenzeiten: Wie Sie jetzt Ihre Unternehmensleistung steigern
11.05.2025

Steigende Kosten, Fachkräftemangel, Finanzierungsdruck – viele KMU kämpfen ums Überleben. Doch mit den richtigen Strategien lässt...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft USA vor Energieumbruch: Strom wird zum neuen Öl – und zur nächsten geopolitischen Baustelle
11.05.2025

Ein fundamentaler Wandel zeichnet sich in der US-Wirtschaft ab: Elektrizität verdrängt Öl als Rückgrat der nationalen...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Bill Gates verschenkt Vermögen – Symbol einer neuen Weltordnung oder letzter Akt der alten Eliten?
11.05.2025

Bill Gates verschenkt sein Vermögen – ein historischer Akt der Großzügigkeit oder ein strategischer Schachzug globaler Machtpolitik?...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft „Made in America“ wird zur Hypothek: US-Marken in Europa auf dem Rückzug
11.05.2025

Eine neue Studie der Europäischen Zentralbank legt nahe: Der Handelskrieg zwischen den USA und der EU hat tiefgreifende Spuren im...

DWN
Finanzen
Finanzen Tech-Börsengänge unter Druck: Trumps Handelskrieg lässt Startup-Träume platzen
10.05.2025

Schockwellen aus Washington stürzen IPO-Pläne weltweit ins Chaos – Klarna, StubHub und andere Unternehmen treten den Rückzug an.