Finanzen

Noch mehr Enteignung? Spar-Zinsen in der Eurozone könnten weiter gesenkt werden

Die Bestrebungen der EZB, den Einlagensatz von aktuell minus 0,5 Prozent weiter in den negativen Bereich zu senken, treffen auf heftigen Widerstand - vor allem in Deutschland. Das führt dazu, dass die Banker sich derzeit noch nicht trauen, die Sparer noch mehr zu enteignen. Aber: Was jetzt nicht ist, das kann jedoch bald werden - die Sparer sollten sich schon mal auf neue Hiobsbotschaften einstellen.
22.02.2020 09:08
Lesezeit: 2 min
Noch mehr Enteignung? Spar-Zinsen in der Eurozone könnten weiter gesenkt werden
Christine Lagarde, Präsidentin der Europäischen Zentralbank, gestikuliert bei einem Treffen der EU-Finanzminister in Brüssel. (Foto: dpa) Foto: Francisco Seco

Zwar gibt es auch bei der Europäischen Zentralbank niemanden, der die negativen Effekte negativer Zinsen leugnen würde. Zu offensichtlich sind die Kosten wie zum Beispiel die niedrigen Renditen der Pensionsfonds. Doch viele Zentralbanker sagen, dass die positiven Auswirkungen auf die Wirtschaft die negativen Effekte mehr als ausgleichen würden und dass es noch Spielraum gebe, die Zinsen weiter abzusenken, bevor die Grenze der Wirksamkeit erreicht ist.

Bevor diese Grenze der Wirksamkeit noch niedrigerer Zinsen getestet werden kann, muss die EZB zunächst heftigen politischen Widerstand überwinden. Allerdings würden viele Zentralbanker nicht öffentlich zugeben, dass es neben ökonomischen auch politische Grenzen für ihr Handeln gibt. Denn mit einem solchen Eingeständnis würden sie nicht nur ihren eigenen Handlungsspielraum einschränken, sondern sie würden auch zugeben, dass die EZB als Institution nicht wirklich unabhängig ist.

Nach dem Abgang des ehemaligen EZB-Präsidenten Mario Draghi im Oktober letzten Jahres haben Nachfolgerin Christine Lagarde und ihr Team zwar erklärt, dass der negative Leitzins auf absehbare Zeit beibehalten wird. Sie haben sich jedoch damit zurückgehalten, eine weitere Absenkung der Zinsen auch nur zu erwähnen. Der Einlagensatz der EZB liegt bereits das sechste Jahr unter Null. Und die Kritik wächst vor allem in den Ländern mit einer starken Sparkultur.

In Deutschland, der größten Volkswirtschaft der Eurozone, wird Geld eher auf Bankkonten gespart, als dass man Aktien kauft. Sparer mit größeren Einlagen - im Allgemeinen über 100.000 Euro - müssen bei vielen Banken bereits Strafzinsen zahlen. Schon im vergangenen Jahr sagen mehr als die Hälfte der Banken in einer Umfrage der Bundesbank, dass sie eine Gebühr auf Firmeneinlagen erheben. Und immerhin 23 Prozent der Banken sagten schon damals, dass sie Strafzinsen auf Guthaben von Privatkunden erheben.

Als Ende Januar Mario Draghi das Bundesverdienstkreuz erhielt, hagelte es hierzulande massive Kritik. Die Bild-Zeitung etwa brachte einen Artikel, wonach die negativen Zinsen die Deutschen allein im laufenden Jahr 24,5 Milliarden Euro kosten werden. Zudem nannte das Blatt den früheren EZB-Chef erneut "Graf Draghila". Das deutsche Mitglied des EZB-Direktoriums Isabel Schnabel kritisierte daraufhin eine Verrohung der Sprache, die "weit über das übliche Maß an Kritik an wirtschaftspolitischen Entscheidungen" hinausgehe.

Auch in den Niederlanden, wo die Sparer im letzten Jahr die niedrigsten Einlagenrenditen seit Jahren hinnehmen mussten, sind negative Zinsen unbeliebt, und das Thema wird häufig im Parlament behandelt. Die Österreicher sind toleranter, aber auch dort haben Zinsen unter null nur wenige Fans. "Dauerhaft niedrige oder negative Zinsen bedeuten, dass die Ersparnisse an Wert verlieren - und 40 Prozent des österreichischen Vermögens befinden sich auf Sparkonten, das ist eine Katastrophe für die Sparer", zitiert Bloomberg Finanzminister Gernot Bluemel.

Zwar hat eine Umfrage der Europäischen Kommission im vergangenen Jahr ergeben, dass die Zustimmung zum Euro mit 76 Prozent rekordverdächtig hoch war. Doch erstaunlicherweise ist das Vertrauen in die EZB, die den Euro kontrolliert, mit 43 Prozent viel geringer. "Die EZB muss den Bürgern zuhören und ein Gefühl dafür bekommen, welche Auswirkungen ihre Politik hat", sagt Guntram Wolff, Direktor des Brüsseler Think-Tanks Bruegel. Dennoch dürfe die Zentralbank sich "nicht von Stimmungen und Gefühlen der Menschen leiten lassen".

Eine andere Herangehensweise könnte jedoch darin bestehen, dass man sich die "Stimmungen und Gefühle der Menschen" zunutze macht. In dieser Hinsicht hat die EZB - wie auch alle anderen großen Zentralbanken der Welt - den Kampf gegen den Klimawandel für sich entdeckt. Denn diese neue Aufgabe erfreut sich großer Unterstützung in der Bevölkerung und bietet den Zentralbanken daher ganz nebenbei die Möglichkeit, ihre Macht erheblich auszuweiten.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt

Jede Anlage am Kapitalmarkt ist mit Chancen und Risiken behaftet. Der Wert der genannten Aktien, ETFs oder Investmentfonds unterliegt auf dem Markt Schwankungen. Der Kurs der Anlagen kann steigen oder fallen. Im äußersten Fall kann es zu einem vollständigen Verlust des angelegten Betrages kommen. Mehr Informationen finden Sie in den jeweiligen Unterlagen und insbesondere in den Prospekten der Kapitalverwaltungsgesellschaften.

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Gaskraftwerke für Deutschland: Teuer, umstritten und auch politisch fragwürdig
08.11.2025

Können Wind und Sonne nicht genug erneuerbare Energien liefern, sollen bis zu 40 große Gaskraftwerke einspringen, die...

DWN
Finanzen
Finanzen Bitcoin, Ether und Co.: Wie Sie an der Börse sicher in Kryptowährungen investieren
08.11.2025

Wollen Sie Kryptowährungen kaufen? Dann müssen Sie dafür nicht auf irgendwelchen unseriösen Internetportalen herumsurfen. Kurse von...

DWN
Politik
Politik Donald Trump und die US-Präsidentschaftswahl 2028: Strebt er eine dritte Amtszeit an und geht das so einfach?
08.11.2025

Die Diskussion um Donald Trumps mögliches politisches Comeback zeigt das Spannungsfeld zwischen Recht, Strategie und Macht in den USA....

DWN
Technologie
Technologie Deep Tech als Rettungsanker: Wie Deutschland seine industrielle Zukunft sichern kann
08.11.2025

Deutschland hat große Stärken – von Forschung bis Ingenieurskunst. Doch im globalen Wettlauf um Technologien zählt längst nicht mehr...

DWN
Technologie
Technologie So optimiert KI in Belgien die Landwirtschaft: Schwankende Ernten prognostizieren? Kein Problem!
08.11.2025

Die Landwirtschaft muss Erträge effizient planen und Schwankungen ausgleichen, wobei KI zunehmend Entscheidungen auf verlässlicher Basis...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Managergehälter: Wie viel Mut hinter den Millionen steckt
08.11.2025

Topmanager reden offen über ihr Einkommen? In Estland sorgen zwei Führungskräfte für großes Staunen. Sie zeigen, wie viel Disziplin,...

DWN
Finanzen
Finanzen EZB-Leitzins: Stillstand oder Strategie? Was die EZB-Zinsentscheidung wirklich bedeutet
08.11.2025

Die Europäische Zentralbank hat den Leitzins beim jüngsten EZB-Zinsentscheid nicht angerührt – doch das Schweigen ist laut. Christine...

DWN
Unternehmensporträt
Unternehmensporträt Schmuck aus Holz und Stein: Holzkern – wie Naturmaterialien zum einzigartigen Erfolgsmodell werden
07.11.2025

Das Startup Holzkern aus Österreich vereint Design, Naturmaterialien und cleveres Marketing zu einem einzigartigen Erfolgsmodell. Gründer...