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Ebola: Was wir von der Bekämpfung der Fieber-Epidemie für den Umgang mit Corona lernen können

Lesezeit: 5 min
12.04.2020 10:12  Aktualisiert: 12.04.2020 10:12
Jonas Ecke hat lange in Afrika gelebt, unter anderem auch in Liberia, wo das Ebola-Fieber besonders schlimm wütete. In seinem DWN-Beitrag erläutert der Wissenschaftler, welche Erkenntnisse die Bekämpfung der Infektionskrankheit in dem westafrikanischen Staat für die Bekämpfung von Corona in Deutschland liefert.
Ebola: Was wir von der Bekämpfung der Fieber-Epidemie für den Umgang mit Corona lernen können
Beerdigung eines Ebola-Opfers. (Foto: dpa)

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In Anbetracht der Coronavirus-Pandemie erinnere ich mich an meine Zeit in Liberia, wo ich 2014 forschte und für eine Hilfsorganisation arbeitete. Ich verließ das Land, kurz bevor Liberia die Ebola-Epidemie zu einem offiziellen nationalen Notstand erklärte. Zurück in Deutschland setzte ich mich dafür ein, dass die Öffentlichkeit über den sozio-kulturellen Kontext in Westafrika aufgeklärt wurde, und dass die internationale Gemeinschaft sich für Westafrika stark machte. Damals wie heute verfolgte ich beunruhigt die neuesten Nachrichten über die sowohl unheimliche als auch tragische Ausbreitung der Viren.

Die Corona- und die Ebola-Krankheit unterscheiden sich biologisch wesentlich. Die Ebola-Viruskrankheit, die vom Ebola-Virus verursacht wird, endete nach der Ansteckung viel häufiger tödlich als COVID-19, das vom Virus SARS-CoV-2 aus der Gruppe der Coronaviren ausgelöst wird. Das Coronavirus, wie es im Volksmund genannt wird, ist hingegen virulenter als das Ebola-Virus. Wegen der geographisch weiten Verbreitung spricht man bei COVID-19 von einer Pandemie, bei Ebola wird meist „nur“ von einer Epidemie gesprochen.

Es gibt allerdings Ähnlichkeiten hinsichtlich der gesellschaftlichen und kulturellen Dynamiken, die durch die Verbreitung der beiden Viren angestoßen werden. Aus diesem Grund können wir einiges aus dem Ebola-Ausbruch lernen. Im Folgenden fünf Lehren aus der Ebola-Epidemie, die uns auch beim nun unerbittlichen Kampf gegen die Ausbreitung des Corona-Virus helfen könnten.

1. Die Bevölkerung muss transparent und unmittelbar über den Stand der Pandemie informiert werden

Genauso, wir es momentan bei der Ausbreitung von COVID-19 beobachten können, haben sich auch die Auswirkungen von Ebola langsam in den Alltag der Liberianer eingeschlichen. Während die Liberianer über einen gewissen Zeitraum ihren Alltag weitestgehend normal weiterlebten, schlug die Stimmung kurz vor meiner Abreise plötzlich um. Krankenhäuser machten vorläufig zu, Mitarbeiter in öffentlichen Ämtern gingen nicht mehr zur Arbeit und die Straßen der sonst so belebten Hauptstadt Monrovia waren auf einmal wie leergefegt. Auch unter den Liberianern, die durch Jahre der Bürgerkriege und Zeiten extremer Armut krisenerfahren waren, breitete sich Unbehagen aus.

Pandemien und Epidemien sind unsichtbar und schwer greifbar. Kostbare Zeit vergeht, während Menschen zu verstehen versuchten, womit sie es zu tun haben. Viele Liberianer glaubten nicht an die offiziellen Verlautbarungen zur Ebola-Krise. Sie gingen davon aus, dass die Eliten Ebola erfunden hatten, um an Gelder von internationalen Organisationen zu gelangen. Eine der wirkungsvollsten Aufklärungskampagnen gegen Ebola war daher die Produktion des in der Bevölkerung beliebten Liedes „Ebola is real,“ das im Zusammenarbeit mit dem Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen produziert wurde.

Keines der Länder, die momentan mit der Coronavirus-Pandemie zu kämpfen haben, hat in jüngerer Geschichte Krisen erlebt, die mit denen in Liberia und dessen Nachbarstaaten Sierra Leone und Guinea, deren Gesellschaften ebenfalls von Ebola befallen waren, vergleichbar wären. Die Gesellschaften in Westafrika erlebten Jahre von Bürgerkriegen, Machtpolitik und zuvor Kolonialismus. Extreme Armut und Korruption auf Regierungsebene sind Teile des Alltags der Bürger von Guinea, Liberia und Sierra Leone. Es ist somit leicht nachvollziehbar, dass den Autoritäten in diesen Ländern nicht vertraut wurde. Gerade in Zeiten von Pandemien und Epidemien ist dieses Vertrauen aber essentiell wichtig, sogar lebensrettend, wie wir auch gerade hier in Deutschland erfahren.

2. Falschinformationen sind einer der größten Feinde der Eindämmung von Gesundheitskrisen

In einer Zeit, in denen sich Politiker und Institutionen in vielen Ländern der Welt in einer Legitimationskrise befinden, Internetnutzer sich Informationen aus den Quellen abrufen, die ihnen ideologisch nahestehen, und die Terminologie „Fake News“ in den Alltagssprachgebrauch aufgenommen wurde, zirkulieren auch über das Coronavirus Fehlinformationen.

Eben auch weil öffentlichen Amtsträgern und Narrativen oft wenig Vertrauen entgegengebracht wird, kursieren Gerüchte, um Beispiel dass Bill Gates bereits ein Patent auf das Coronavirus hat, oder chinesische Medien und Funktionäre ohne Beweise behaupten, dass Besuche von Mitgliedern des US-Militärs in der chinesischen Provinz Wuhan ursprünglich das Virus in die Welt gesetzt haben. In Anbetracht dieser Gerüchte attestierte die Weltgesundheitsorganisation bereits vor der Pandemie eine „Infodemie“, welche die Pandemie anschürte.

3. Akteure aus der Zivilgesellschaft, denen die Bevölkerung vertraut, müssen in den Kampf gegen Pandemien und Epidemien von Beginn an einbezogen werden

Verschwörungstheorien und Gerüchte werden von Kulturanthropologen mitunter als Erklärungsmuster für oder sogar Kritik an vorherrschenden Machtstrukturen interpretiert – zu denen in Liberia die Eliten oder, im bundesdeutschen Kontext, globale Akteure und deren häufig undurchschaubare Aktionen gehören. Daher kursieren Fehlinformationen oft dort, wo es Krisen der Legitimität gibt. Auch wenn bei uns das Vertrauen in Institutionen und Gesellschaft angeschlagen erscheint, ist es bei weitem noch nicht so unterminiert wie in westafrikanischen Gesellschaften.

Für die Liberianer war es eine große Herausforderung, kulturelle Praktiken aufgrund offizieller Vorschriften aufzugeben, zum Beispiel den Brauch, die Verstorbenen in Vorbereitung auf das Lebens nach dem Tod rituell selbst zu begraben. Beerdigungen stellten aber eine gefährliche Infektionsquelle dar. Um die Liberianer dazu zu bewegen, Verwandte nicht selbst zu pflegen, sondern sie in die furchterregenden Ebola Treatment Centers – Feldkrankenhäuser, in denen sich vollmaskiertes Personal um Ebola-Erkrankte kümmerte – zu bringen, arbeiteten die Helfer in Westafrika nicht nur mit den oft ungeliebten Politikern, sondern auch mit den Häuptlingen der einzelnen Kommunen zusammen, was zu Spannungen führte. Krankenhäuser verursachten Angst, weil zumindest in den frühen Stadien viele Erkrankte nicht mehr lebendig aus den Krankenhäusern zurückkamen. Die Hilfsorganisationen und die Westafrikaner einigten sich schließlich auf Kompromisse: „Sichere und respektvolle“ Beerdigungen, die einige lokale Rituale beinhalteten, wurden zugelassen, und niedrigschwelliger Community Care Centres (CCC) installiert.

Mit einiger Verzögerung schafften es die Westafrikaner und ihre internationalen Partner, die Ausbreitung von Ebola durch eine Informationskampagne, die viele Multiplikatoren integrierte, aufzuhalten. An der Kampagne beteiligten sich neben beliebten Musikern auch Imane und Pastoren, die ihre Gemeinden dazu brachten, die verschiedenen Verhaltensregeln einzuhalten.

In dieser Hinsicht können wir von Afrika, wo die Bevölkerung verschiedener Länder bereits Epidemien überstanden und eingedämmt hat, einiges lernen. Zum Beispiel können, wie es bereits praktiziert wird, in Krisenzeiten Fachleute wie der Virologe Christian Drosten die Regierung beraten und ihren Teil zur Kommunikationsarbeit beitragen.

4. Wir brauchen eine globale Infrastruktur gegen Epidemien und Pandemien

Nachdem das Eindämmen der Ebola-Epidemie im September 2014 endlich zur politischen Chefsache erklärt wurde, schrieb die mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnete Wissenschaftsjournalistin Laurie Garrett:

„Die Fragen in diesem neu angekündigten Krieg gegen Ebola sind nun

zweifach: Werden Personal und Ressourcen Westafrika schnell genug

erreichen, um den Virusfluss zu dämpfen, und werden die Nationen der

Welt aus dieser Katastrophe lernen und Institutionen aufbauen (…) um

solche Arten von Pandemien in Zukunft zu verhindern?“

Die Antwort auf die zweite Frage muss leider sechs Jahre nach der Ebola-Krise in Westafrika verneint werden. 2014 wurde die Weltgesundheitsorganisation zu spät aktiv. Hierfür werden in der Literatur verschiedene Gründe genannt: Ein oft genannter Grund ist, dass Mitgliedstaaten keine Kompetenzen an die Weltgesundheitsorganisation delegierten und Budgetkürzungen es der Weltgesundheitsorganisation erschweren, flexibel und mit Autorität auf die auftauchende Krise zu reagieren.

Der Wille der Staaten, globale Gesundheitsinitiativen zu finanzieren, ist zumindest bis vor kurzem nicht stärker geworden. Im Februar 2020 forderte die Weltgesundheitsorganisation 675 Millionen US-Dollar (620 Millionen Euro) für den Kampf gegen die Ausbreitung des Corona Virus, wobei 61,5 Millionen US-Dollar für die Zeit von Februar bis April benötigt werden. Bis zum 26. Februar waren nur 1,4 Millionen US-Dollar eingegangen. Falls sich der Betrag von 61,5 Millionen USD nach einer hohen Summe anhört, muss man die Verhältnismäßigkeiten in Betracht ziehen: Die US-Notenbank wird alleine in dieser Woche täglich Staatsanleihen im Umfang von circa 75 Milliarden USD und Hypotheken-Papiere im Wert von circa 50 Milliarden USD kaufen.

Trotz finanzieller Engpässe haben es internationale Organisationen in den letzten Dekaden geschafft, Krankheiten durch Impfungen, Testzentren und Informationspolitik effektiv einzudämmen. Zum Beispiel haben sich aufgrund einer vergleichsweise ambitionierten internationalen Kampagne die schlimmsten Prognosen über die Auswirkungen der Ausbreitung des HIV/Aids Virus – dass sie die Hälfte aller jungen Erwachsenen in Südafrika, Botswana und Simbabwe töten würde – nicht bewahrheitet. Polio – eine akute Virusinfektion, die eine Lähmungen der Beine, Arme und Atemwege auslösen kann – wurde um 99,99 Prozent reduziert. Andere Krankheiten, die stark reduziert wurden, sind Malaria und die Flussblindheit. Doch trotz dieser Erfolge sterben immer noch Millionen von Menschen an vermeidbaren Krankheiten.

5. Internationaler Zusammenhalt und Kooperation ist für unser aller Gesundheit unabdingbar

Wir müssen jetzt umdenken. Wir leben in einer Welt, in der die räumlichen Distanzen durch internationale Reisen, Handel und Migration trotz aller politischen Differenzen ständig kleiner geworden sind. Menschen und Tiere leben wegen der Urbanisierung und das Abholzen der Wälder immer enger zusammen, und tierische Mikroben passen sich so an den menschlichen Körper an. Beide Faktoren schüren Pandemien, und werden sich durch die Globalisierung mit steigender Geschwindigkeit nicht mehr aus unserem Alltag ausblenden lassen.

Zeitgleich erhöhen Situationen extremer Armut – in denen, wie in den Flüchtlingslagern an der EU-Außengrenze, Menschen eng an eng beieinander leben und es wenige sanitäre Einrichtungen und kaum Bildungschancen gibt – das Risiko aller, sich durch virale Krankheiten anzustecken. Unabhängig davon, wie man die genauen Ursachen für extreme Armut interpretiert, steht eines fest: wenn die Lebensumstände in den Armenvierteln und Flüchtlingslagern der Welt nicht verbessert werden, und Erkrankte vor Ort nicht behandelt und isoliert werden können, kann die weltweite Übertragungsrate von COVID-19 nicht unter Kontrolle gebracht werden. Um in unserer interdependenten, globalisierten Welt gesund zu bleiben, müssen wir unseren Teil dazu beitragen, dass sich die Lebensumstände der Ärmsten der Welt nachhaltig und grundlegend verbessern.


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