Die US-Regierung unter Präsident Donald Trump arbeitet unter Hochdruck daran, industrielle Lieferketten aus China zu entfernen. Damit solle Peking für den Ausbruch der Coronavirus-Pandemie bestraft werden, sagen mehrere mit den Planungen vertraute Beamte der Nachrichtenagentur Reuters.
Trump, der wegen seines Umgangs mit der Krise innenpolitisch vor der Präsidentschaftswahl am 3. November unter Druck steht, will die Produktion aus Übersee zurückholen. "Wir haben in den letzten Jahren daran gearbeitet, aber jetzt laden wir diese Initiative auf", so Keith Krach, Unterstaatssekretär für Wirtschaftswachstum, Energie und Umwelt im US-Außenministerium. "Ich denke, es ist wichtig zu verstehen, wo sich die kritischen Bereiche befinden und wo kritische Engpässe bestehen." Die Senkung der Abhängigkeit von Lieferketten in China sei ein wichtiger Beitrag zur US-Sicherheit. Schon bald könne die Regierung entsprechende Maßnahmen ankündigen.
Das US-Handelsministerium sucht bereits nach Möglichkeiten, wie Unternehmen dazu bewegt werden könnten, ihre Fertigung aus China heraus zu verlagern, sagen mehrere Regierungsmitglieder. "Es gibt eine ganze Regierung, die dies vorantreibt", sagt einer von ihnen. Geprüft werde, welche Güter als "wichtig" angesehen werden und außerhalb Chinas hergestellt werden sollten. Besonders die China-kritischen Regierungsmitglieder sehen jetzt ihre Chance gekommen, Trump zu einem härteren Kurs gegen den Rivalen zu drängen. "Dieser Moment ist ein perfekter Sturm. Die Pandemie hat alle Sorgen, die die Menschen über Geschäfte mit China hatten, zum Ausdruck gebracht", sagt ein anderer hochrangiger US-Beamter. "Das ganze Geld, von dem die Leute glauben, dass sie es zuvor durch Geschäfte mit China verdient haben, ist jetzt durch den wirtschaftlichen Schaden um ein Vielfaches in den Schatten gestellt worden."
Trump selbst hat wiederholt erklärt, dass er neue Zölle auf die bis zu 25-prozentige Steuer für chinesische Waren im Wert von 370 Milliarden Dollar erheben könnte. US-Unternehmen, die diese Zölle am Ende bezahlen müssten, stöhnen aber bereits jetzt unter den bestehenden - zumal ihre Geschäfte infolge der Corona-Krise ohnehin leiden. Das aber heiße nicht, dass Trump sich neuen Zöllen widersetzen werde, sagen Beamte. Andere Möglichkeiten, China ökonomisch zu treffen, könnten Sanktionen gegen dortige Regierungsmitglieder oder Unternehmen und engere Beziehungen zu Taiwan sein. Die selbstverwaltete Insel wird von China als eigene, abtrünnige Provinz betrachtet.
Im Zuge der Corona-Pandemie ist es in den vergangenen Wochen zu einem Propagandakrieg zwischen den USA und China gekommen. Dabei steht die Frage im Raum, wer "schuld" an der gegenwärtig tobenden Viruspandemie sei. Die politische Instrumentalisierung der Krise hat das Potential, beide Seiten weiter voneinander zu entfremden, welche bereits infolge des Handelskrieges in scharfe Konkurrenz zueinander geraten waren. Nachdem in der jüngsten Vergangenheit schwere Vorwürfe aus den USA auf verschiedenen Kanälen gegen China ausgespielt wurden, drohte die Regierung in Peking zuletzt, die im Januar nach langen Verhandlungen erzielten Handelsvereinbarungen aufzukündigen.
Der Aufbau zweier Lager nimmt Gestalt an
Bei der angestrebten Verlagerung von Lieferketten suchen die Amerikaner den Schulterschluss mit internationalen Partnern, berichtet Reuters. Die Vereinigten Staaten drängen demnach angeblich auf eine Allianz von "vertrauenswürdigen Partnern", die als "Economic Prosperity Network" bezeichnet werden, sagt ein Beamter. Man arbeite mit Australien, Indien, Japan, Neuseeland, Südkorea und Vietnam zusammen, um "die Weltwirtschaft voranzutreiben", sagte Außenminister Mike Pompeo am 29. April. Diese Diskussionen beinhalten, "wie wir ... Lieferketten umstrukturieren, um zu verhindern, dass so etwas jemals wieder passiert".
Auch Lateinamerika könnte eine Rolle spielen. Der kolumbianische Botschafter Francisco Santos sagte kürzlich, er habe mit dem Weißen Haus, dem Nationalen Sicherheitsrat, dem US-Finanzministerium und der US-Handelskammer Gespräche geführt, um US-Unternehmen zu ermutigen, einige Lieferketten aus China zu verlagern und sie näher an ihre Heimat zu bringen.
China hat bereits 2018 die USA als weltweit führendes Produktionsland überholt. Nach Angaben der Vereinten Nationen war China im Jahr 2018 für 28 Prozent der weltweiten Industrieproduktion verantwortlich. Die Pandemie hat beispielsweise Chinas Schlüsselrolle in der weltweiten Lieferkette für Generika hervorgehoben, die den größten Teil der Arzneimittel-Verschreibungen in den USA ausmachen. Es hat auch gezeigt, dass China bei Gütern wie Wärmebildkameras dominiert, die zum Testen von Arbeitern auf Fieber benötigt werden, und dass das Land für die Lebensmittelversorgung wichtig ist.
Viele US-Unternehmen haben stark in die chinesische Fertigung investiert - nicht zuletzt, da China mit seinen 1,4 Milliarden Menschen ein riesiger Absatzmarkt ist. "Diversifizierung und eine gewisse Redundanz in den Lieferketten werden angesichts des Risikos, das die Pandemie aufgedeckt hat, sinnvoll sein", sagte Doug Barry, Sprecher des US-China Business Council. "Wir sehen jedoch keinen großen Exit-Ansturm von Unternehmen, die in China geschäftlich tätig sind."
Der Abschied von der Volksrepublik fällt auch deshalb so schwer, weil der Bau neuer Einrichtungen in den USA fünf bis acht Jahre dauert, wie die Handelskammer betont. "Wir sind besorgt", sagt John Murphy von der US-Handelskammer. "Die Beamten müssen die richtigen Fakten erhalten, bevor sie nach Alternativen suchen."
Die Entwicklung ist bemerkenswert, weil sie Indizien für eine Theorie darstellt, welche Glenn Diesen, Professor an der National Research University – Higher School of Economics in Moskau vor einigen Wochen in den Deutschen Wirtschaftsnachrichten skizziert hatte: Demnach werde die Welt im Zuge des Machtkampfes zwischen den USA und China in zwei konkurrierende Lager zerfallen – mit jeweils unterschiedlichen Handelsregimen, Transportkorridoren, Technologien und Lieferketten.
Hinweise für den Aufbau konkurrierender Systeme gibt es bereits mehrere. So hat China Ende 2019 bekanntgegeben, dass der Technologiekonzern Huawei vor dem Hintergrund der von der US-Regierung erlassenen Sanktionen gegen den Konzern sein erstes Smartphone ohne Bauteile aus den USA gefertigt hatte. Ebenfalls Ende des vergangenen Jahres ersetzten die chinesischen Behörden darüber hinaus die von ihr genutzte IT-Ausrüstung fremden Ursprungs durch chinesische IT-Systeme. Anfang des laufenden Jahres schließlich gaben die USA die Schaffung eines Finanzvehikels bekannt, welches Ländern in Asien als Alternative zu chinesischen Finanzquellen dienen soll.