Finanzen

Insider: Wenn die Notenbanker abdanken und die Politiker wieder übernehmen, wird es brandgefährlich

Lesezeit: 2 min
29.05.2020 11:00  Aktualisiert: 29.05.2020 11:10
Die Zentralbanken der Welt unter Führung der Federal Reserve haben immer größere Mühe, einen Zusammenbruch des Weltfinanzsystems zu verhindern. Wenn die Banker kapitulieren und die Politiker wieder das Ruder übernehmen müssen, sollten sämtliche Alarmglocken schrillen, meint ein Finanz-Insider.
Insider: Wenn die Notenbanker abdanken und die Politiker wieder übernehmen, wird es brandgefährlich
Oktober 2016, New York: Der designierte UN-Generalsekretär Antonio Guterres vor seiner ersten Rede vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York. (Foto: dpa)
Foto: Justin Lane

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Eric Peters, Gründer des Hedgefonds One River Asset Management schreibt im Rahmen einer interessanten Einschätzung der aktuellen Entwicklungen im Weltfinanzsystem:

Die Federal Reserve steht der größten Volkswirtschaft der Welt vor. Das Finanzministerium hat gegen diese Einschätzung wahrscheinlich Einwände, aber die Fed ist auch die Wächterin der Welt-Reservewährung. Aufgrund dieser Machtposition sind die Zentralbanken der Welt quasi durch die von ihr ausgehende „Anziehungskraft“ dazu gezwungen, die Politik der Fed nachzuahmen. Im zurückliegenden Jahrzehnt näherten sich die Notenbanken weltweit dem Policy-Mix der Fed an, senkten die Leitzinsen, weiteten die Versorgung der Finanzmärkte mit Liquidität massiv aus und heizten die weltweite Verschuldung weiter an. Anfang 2020 wies die Welt den homogensten Policy-Mix seit Ende des Römischen Reiches auf. Und – wie bei allen lebenden Dingen – reduziert ein Mangel an Unterschiedlichkeit die Widerstandsfähigkeit eines Systems.

Die Dominanz der Geldpolitik der Fed hatte komplexe, unbeabsichtigte, Konsequenzen, von denen wir einige beobachten können. Beispielsweise entband sie Politiker von der Pflicht, zu regieren. Jede neue Krise wurde einfach durch geldpolitische Magie gelöst, und künftige Nachfrage wurde in die Gegenwart vorgezogen. Dies ermöglichte es den Politikern, harte Entscheidungen bezüglich der Frage zu umgehen, ob heute Geld ausgegeben oder morgen investiert werden sollte. Ohne diese lebenswichtigen Debatten zu führen, haben wir von unserer Jugend geborgt und das Geld für unser Altern ausgegeben. Eine Manifestation davon ist die massive Verschuldung der Studenten in den USA. Extrem inflationierte Preise von Wertpapieren eine andere.

Die geldpolitische Dominanz der Fed führt in ihrer letzten Konsequenz zu einer Welt, in der die Gesamtheit des künftigen Wohlstandes in die Gegenwart vorgezogen wurde. An diesem Endpunkt angelangt wird die Realwirtschaft nicht mehr stimuliert und die Geldpolitik hat ihre Macht verloren – egal, wie viele geldpolitische Zauberstäbe geschwungen werden. Wenn man sich diesem Punkt nähert, verliert die Geldpolitik schrittweise ihre Wirkung. Irgendwo kurz vor dem Ende dieser Entwicklung sind die Politiker dann schließlich wieder gezwungen, zu regieren, harte Entscheidungen zu treffen. Aber im Gegensatz zu den Zentralbanken – die alle gleich sind – sind Politiker höchst verschieden, heterogen.

Während Politiker also das von den machtlosen Zentralbankern zurückgelassene Vakuum füllen müssen, wenden sie verschiedene Werkzeuge an – steuerliche, fiskalische, handelspolitische, währungspolitische, regulatorische, einwanderungspolitische und militärische. Sie versuchen, sich mit den Zentralbankern abzustimmen, aber dies führt nur zu illusorischen Effekten – weil die Geldpolitik, sollte sie einmal machtlos werden – dies bis zum Neustart des Systems auch bleibt.

Heute sind wir auf dem Weg von einer Welt, die von homogenen Zentralbankern mit wenigen identischen Strategien geführt wurde, in eine neue Welt, die von heterogenen Politikern geprägt sein wird, welche eine breite Palette an Strategien auf unterschiedlichste Weise anwenden werden.

Die Homogenität der weltweiten Zentralbanken schuf eine Ära der Berechenbarkeit. Dies ermunterte Marktteilnehmer, ihre Bilanzen und Geschäftsstrategien mit Schulden aufzupeppen im Hinblick auf eine offenbar stabile Zukunft. Ihre Aktionen – seien es Aktienrückkäufe oder Just in Time-Produktionskreisläufe – bestärkten sich gegenseitig, weil sie die Volatilität an den Finanzmärkten dämpften und die Erwartungen an eine stabile, berechenbare Zukunft verstärkten. Naturgemäß führen reflexive Prozesse jedoch zu extremen Resultaten. Ohne es wirklich zu realisieren, erhöhten die Marktteilnehmer die Fragilität des Systems im Austausch für eine ständig steigende Profitabilität.

Trends werden dann sichtbar, wenn sich die Welt ändert. Preise ändern sich, wenn wir erkennen, dass die Zukunft anders aussehen wird als die Vergangenheit es tat. Die zu Grunde liegenden Änderungen werden oft von natürlichen Zyklen angetrieben. Dazu gehören Zyklen des Wetters, der Schulden, des Verschuldungsgrades, der Investitionen, der Innovationen, der Strategien, Gesellschaften und internationalen Beziehungen. In den späten Phasen werden diese Zyklen manchmal noch von Hysterien verstärkt.

Strategien, welche diesen tiefliegenden, systemischen Zyklen gefolgt waren, haben gerade ihr schlechtestes Jahrzehnt seit rund 120 Jahren hinter sich gebracht. Ebenso Strategien, welche auf verstärkte Schwankungen an den Finanzmärkten setzten. Es war eine Dekade der Homogenität und Berechenbarkeit. Sie ist nun vorbei.


Mehr zum Thema:  

DWN
Politik
Politik SPD-Kanzlerkandidat steht fest: Pistorius zieht zurück und ebnet Weg für Scholz
21.11.2024

Nach intensiven Diskussionen innerhalb der SPD hat Verteidigungsminister Boris Pistorius Olaf Scholz den Weg für die erneute...

DWN
Finanzen
Finanzen Bitcoin-Prognose: Kryptowährung mit Rekordhoch kurz vor 100.000 Dollar - wie geht's weiter?
21.11.2024

Neues Bitcoin-Rekordhoch am Mittwoch - und am Donnerstag hat die wichtigste Kryptowährung direkt nachgelegt. Seit dem Sieg von Donald...

DWN
Panorama
Panorama Merkel-Buch „Freiheit“: Wie die Ex-Kanzlerin ihre politischen Memoiren schönschreibt
21.11.2024

Biden geht, Trump kommt! Wer auf Scholz folgt, ist zwar noch unklar. Dafür steht das Polit-Comeback des Jahres auf der Tagesordnung: Ab...

DWN
Politik
Politik Solidaritätszuschlag: Kippt das Bundesverfassungsgericht die „Reichensteuer“? Unternehmen könnten Milliarden sparen!
21.11.2024

Den umstrittenen Solidaritätszuschlag müssen seit 2021 immer noch Besserverdiener und Unternehmen zahlen. Ob das verfassungswidrig ist,...

DWN
Finanzen
Finanzen Bundesbank: Konjunkturflaute, Handelskonflikte, leere Büroimmobilien - Banken stehen vor akuten Herausforderungen
21.11.2024

Eigentlich stehen Deutschlands Finanzinstitute in Summe noch ganz gut da – so das Fazit der Bundesbank. Doch der Blick nach vorn ist...

DWN
Finanzen
Finanzen Von Dividenden leben? So erzielen Sie ein passives Einkommen an der Börse
21.11.2024

Dividenden-ETFs schütten jedes Jahr drei bis vier Prozent der angelegten Summe aus. Wäre das auch was für Ihre Anlagestrategie?...

DWN
Politik
Politik Weltstrafgericht erlässt auch Haftbefehle gegen Netanjahu und Galant - wegen Kriegsverbrechen im Gaza-Streifen
21.11.2024

Der Internationale Strafgerichtshof hat Haftbefehle gegen Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, den früheren...

DWN
Politik
Politik US-Staatsapparat: Tech-Milliardär Elon Musk setzt auf Technologie statt Personal - Unterstützung bekommt er von Trump
21.11.2024

Elon Musk soll dem künftigen US-Präsidenten Trump dabei helfen, Behördenausgaben zu kürzen und Bürokratie abzubauen. Er gibt einen...