Die Glasscherben der zerstörten Schaufenster dürften am Montag weggekehrt sein, doch damit ist der Schaden nicht behoben: Die Aufarbeitung der Chaos-Nacht in Stuttgart vom Wochenende fängt jetzt erst an. 24 Menschen wurden im Zuge der Ausschreitungen in der Nacht zum Sonntag festgenommen, mindestens 19 Polizisten verletzt. Insgesamt sollen 400 bis 500 Menschen an den Krawallen teilgenommen haben. Vielfach wurde am Sonntag die Frage gestellt, wie es dazu kommen konnte - von Bürgern, Geschäftsinhabern, aber auch von Politik und Polizei.
Festzustehen scheint für die Polizei, dass die Randale nicht politisch motiviert war. Es seien vielmehr Menschen aus der Party- und Eventszene gewesen, die sich in den vergangenen Wochen immer wieder in der Öffentlichkeit getroffen und sich in den sozialen Medien mit ihrem Handeln inszeniert hätten. Allerdings noch nie in diesem Ausmaß. Die Polizei hat Zeugen um Mithilfe bei den Ermittlungen gebeten - zur Aufklärung benötige man Bilder und Videos von den Straftaten und mutmaßlichen Tatverdächtigen. Ursache der Gewaltexzesse war eine Drogenkontrolle der Polizei bei einem 17-Jährigen.
«Wir werden mit allem, was uns der Rechtsstaat zur Verfügung stellt, diese Randalierer verfolgen und sie zur Rechenschaft ziehen», sagte Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) am Sonntagabend in den «tagesthemen» der ARD. Er sah in den Ereignissen eine Herausforderung für den Rechtsstaat.
Um wen es sich bei den Randalierern mehrheitlich handelt, spricht die Schweizer Neue Zürcher Zeitung in einem interessanten Kommentar an:
«In Stuttgart haben junge Männer randaliert, von denen augenscheinlich viele einen Migrationshintergrund haben. Aus ihrer Verachtung für den deutschen Staat haben sie keinen Hehl gemacht. Auch ihr Ton war nicht neu. Man kennt die Flüche und Drohungen gegen die Polizei aus dem migrantisch dominierten deutschsprachigen Gangsta-Rap und vom Auftreten der Zehntausende Mitglieder zählenden kriminellen Clans.
Doch während die etablierten politischen Kräfte der Bundesrepublik zu Recht wachsam auf die Gefahr gewaltbereiter Rechtsextremisten schauen und zumindest Union und FDP auch den Linksextremismus in den Blick nehmen, herrscht in diesem Bereich eine große Sprachlosigkeit – in welche die AfD mit ihren dumpfen Pauschalurteilen stößt. Die bürgerlichen und moderat linken Kräfte des Landes wären gut beraten, die Staatsfeindlichkeit eines Teils der jungen migrantischen Männer endlich anzusprechen.»
Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) machte unter anderem Geltungsbewusstsein in den sozialen Medien als Grund für die Ausschreitungen aus - neben Alkoholkonsum. Nach den Worten von Innenminister Strobl hat sich «die Szene im Schlossgarten» dort schon seit Längerem festgesetzt. Er forderte ein Gesamtkonzept für die Stadt Stuttgart und ein Maßnahmenbündel. «Das muss die Stadt Stuttgart lösen», betonte der Minister.
Sven Hahn, Geschäftsführer der City-Initiative Stuttgart, einem Verbund aus Händlern, Gastronomen, Hoteliers und Kulturbetrieben, plädierte für eine umfassende Analyse. «Wir müssen genau schauen, was passiert ist, wie es dazu kam und ob es dazu Aufrufe gab», sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Dann gelte es, sich mit Polizei und Politik sinnvoll abzustimmen, um Lösungen zu finden. «Man tut nichts Gutes, wenn man vorschnell den Finger auf jemanden richtet».
Gelegenheit zur Aufarbeitung soll eine Sondersitzung des Innenausschusses am Mittwoch im Landtag geben. Dort will die Opposition Innenminister Thomas Strobl (CDU) ausführlich zur kriminellen Gewalt und zu Maßnahmen zum Schutz von Gesellschaft und Polizei befragen. Die Polizei hat angekündigt, in den kommenden Wochen mit verstärkten Kräften in Stuttgart unterwegs zu sein.
Aus der Bundespolitik kommen derweil Forderungen nach Konsequenzen. Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Mathias Middelberg, sagte der «Welt»: «Das Entstehen rechtsfreier Räume dürfen wir nicht zulassen.» Bundesinnenminister Horst Seehofer hat nach den Auseinandersetzungen in Stuttgart harte Strafen für die Randalierer verlangt. «Ich erwarte, dass die Justiz den Tätern, die gestellt werden konnten oder noch können, auch eine harte Strafe ausspricht», sagte der CSU-Politiker am Montag in Stuttgart. «Da geht es auch um die Glaubwürdigkeit unseres Rechtsstaates.»
Die Entwicklung vom Wochenende und auch in den Monaten zuvor sei ein «Alarmsignal für den Rechtsstaat», sagte Seehofer. Es gehe nicht nur um Gewalt gegen die Polizei, sondern auch um die Verunglimpfungen der Beamten mit Worten. «Aus Worten folgen immer auch dann Taten.»
Hunderte randalieren in Holland
Bei Protesten gegen Corona-Maßnahmen hat es in Den Haag Unruhen gegeben. Mobile Einsatzkommandos der Polizei setzten am Sonntag Wasserwerfer und Polizeipferde ein, um die Menschenmenge auseinander zu treiben. Mehrere hundert Demonstranten, darunter viele Hooligans, hätten bewusst die Konfrontation mit der Polizei gesucht. «Das hat nichts mehr mit einer normalen Demonstration zu tun», sagte ein Polizeisprecher im Radio. Fünf Menschen wurden festgenommen. Sie hatten nach Angaben der Polizei mit Steinen geworfen.
Bürgermeister Johan Remkes hatte zunächst aus Sicherheitsgründen die Demonstration gegen Corona-Maßnahmen der Gruppe «Virus Waanzin» verboten. Dennoch waren einige hundert Demonstranten zum Hauptbahnhof gekommen sowie auch noch mehrere hundert Fußball-Fans, wie die Polizei mitteilte. Der Bürgermeister hatte daraufhin eine kurze Kundgebung gestattet. Als die Atmosphäre gewalttätig wurde und vor allem Hooligans Richtung City ziehen wollten, griff die Polizei ein.
Ein Platz in der Nähe des Hauptbahnhofes wurde geräumt, nachdem mehrere hundert Demonstranten sich geweigert hatten, ihn zu verlassen. Mehrere Menschen seien festgenommen worden, teilte die Polizei mit. Ein nahe gelegenes Einkaufszentrum war vorsorglich geschlossen worden.