Der Auseinandersetzung zwischen der Weltmacht China und der großen Regionalmacht Indien dreht sich in erster Linie um die präzise Festlegung der beiderseitigen Grenze, die sich im Nordosten Indiens und im Südwesten Chinas über eine Länge von insgesamt viertausend Kilometern erstreckt. Abhängig von diesem Grenzverlauf gehört das Gebiet, auf dem sich heute der nördlichste Bundesstaat Indiens, „Arunachal Pradesh“, befindet, zum Subkontinent oder zum Reich der Mitte. Beide Staaten erheben Ansprüche auf die Region, die mit rund 82.000 Quadratkilometern in etwa so groß ist wie Tschechien (circa 79.000 Quadratkilometer).
Von 1947 an, als Indien seine Unabhängigkeit erlangte, bemühte sich das Land, Arunachal Pradesh zu einem Teil seines Staatsgebietes zu machen, was 1987 endgültig gelang – die Region wurde indischer Bundesstaat. Aber auch China erhebt Anspruch auf das – mit knapp 1,4 Millionen Einwohnern dünn besiedelte – Territorium. 1962, nach dem überlegenen Sieg der Volksrepublik im Indisch-Chinesischen Grenzkrieg (Dauer: ein Monat / Gefallenenzahl: 2.000), wäre es fast ans Reich der Mitte gefallen, verblieb dann aber doch bei Indien, nachdem Peking unter starken internationalen Druck geraten war (seine Macht war vor 58 Jahren eben noch bei weitem schwächer ausgeprägt, als es heute der Fall ist).
Der indisch-chinesische Konflikt um Grenzgebiete ist aber nicht nur auf Arunachal Pradesh beschränkt. Auch die Hochlandregion „Aksai Chin“ ist umstritten – derzeit von China verwaltet, meldet auch Indien Ansprüche auf das unwirtliche Territorium an, das mit 38.000 Quadratkilometern circa 80 Prozent der Fläche Niedersachsens entspricht und die Heimat von lediglich ein paar buddhistischen Nomaden ist.
Peking behauptet, dass seine Souveränität über die umstrittenen Gebiete durch eine Reihe von Dokumenten gestützt wird, die auf ein Grenzabkommen zwischen China und Großbritannien vom 17. März 1890 zurückgehen, das als "Sikkim-Tibet-Abkommen" bekannt ist, sowie durch Dokumente der indischen Botschaft in China, die 1960 ausgestellt wurden und (angeblich) Indiens Akzeptanz des Grenzabkommens bekräftig(t)en.
Schlussendlich ist auch Bhutan an Grenzstreitigkeiten beteiligt – das kleine Königreich erhebt Anspruch auf das 90 Quadratkilometer kleine Territorium „Doklan“ (zum Vergleich: Bremerhaven ist 93 Quadratkilometer groß), das derzeit von China verwaltet wird. Bhutans Anspruch wird von Indien unterstützt, das sich als Beschützer des 750.000-Einwohner-Staates darstellt. Tatsache ist, dass das Territorium strategisch wichtig für die nationale Sicherheit Indiens ist, weil es an den Siliguri-Pass grenzt, der die nördlichen und östlichen Bundesstaaten Indiens mit dem Rest des Landes verbindet.
Die USA und Europa sind über den Aufstieg Chinas zur größten Wirtschafts- und potentiell mächtigsten Militärmacht der Welt äußerst besorgt. Die US-Regierung sieht Indien als geeigneten Partner für ein Bündnis gegen die Volksrepublik. Aus diesem Grund versicherte US-Außenminister Mike Pompeo per Video auf dem amerikanisch-indischen Wirtschaftsgipfel am 22. Juli 2020, dass Indien den USA als wichtigem Partner vertrauen sollte und dass Washington Delhi nicht allein im Konflikt mit Peking lassen wird. Und Indiens Außenminister Subrahmanyam Jaishankar sagte, dass Amerika und Indien „heute in der Zusammenarbeit die Möglichkeit haben, die Welt zu formen“.
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