Politik

„Liebig 34“: Grundschule will mit Minderjährigen Räumung von besetztem Haus verhindern

Die Freie Schule Kreuzberg hat Schüler und Eltern dazu aufgerufen, am Freitagmorgen gegen die Räumung des linken Hausprojekts „Liebig 34“ zu protestieren – trotz der Tatsache, dass mit gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Linken und Polizisten zu rechnen ist.
08.10.2020 17:14
Lesezeit: 2 min
„Liebig 34“: Grundschule will mit Minderjährigen Räumung von besetztem Haus verhindern
08.10.2020, Berlin: Abstehende Gitter und Stacheldraht sind an einem Balkon des Hauses Nr. 34 in der Liebigstraße angebracht. (Foto: dpa) Foto: Paul Zinken

„Bei dem Protest gegen die Räumung des linksextremistischen Hausprojekts ,Liebig 34‘ werden offenbar auch kleine Kinder teilnehmen. Die Freie Schule Kreuzberg hat ihre Schüler und deren Eltern dazu aufgerufen, am Freitagmorgen ab 6 Uhr in der ersten Reihe des Protestes zu erscheinen, um sich mit den Bewohnerinnen des umstrittenen Hauses zu solidarisieren“, berichtet die Berliner Zeitung.

Die schon legendäre Räumung besetzter Häuser in der Mainzer Straße in Berlin-Friedrichhain liegt 30 Jahre zurück. Im November 1990 eskalierte die Lage zu einer dreitägigen Straßenschlacht zwischen Polizei und Hausbesetzern. Alte Fotos zeigen schwere Verwüstungen. Damals platzte die rot-grüne Koalition der Hauptstadt. Solche Verwerfungen will die Polizei bei der geplanten Räumung eines der letzten linksradikalen Symbolprojekte in Berlin, des Hauses „Liebig 34“, an diesem Freitag vermeiden. Die Taktik lautet: eine große Übermacht der Polizei und weiträumige Absperrungen, um Blockaden und Straßenschlachten zu verhindern.

Mehrere tausend Polizisten sollen in der Nacht zu Freitag und den folgenden 24 Stunden im Einsatz sein, darunter Unterstützung aus anderen Bundesländern und von der Bundespolizei. Die genaue Zahl will die Polizei erst am Freitag veröffentlichen. Nach Medienberichten sollen auch Spezialeinheiten bereitstehen. Ein Spezialteam mit Kletterausrüstung war bereits am Donnerstag bei der Begutachtung des Hauses zu sehen. Unter Umständen könnte die Polizei versuchen, über das Dach oder den Innenhof in das vermutlich verbarrikadierte und bunt bemalte Haus einzudringen.

Die Polizei bestätigte am Donnerstag, es bleibe bei dem Räumungstermin am Freitagmorgen um 7.00 Uhr: „Wir werden den Gerichtsvollzieher begleiten, um in Amtshilfe den Beschluss zu vollstrecken.“ Kurzfristig hatte ein Gericht den Antrag der Bewohnerinnen und Bewohner auf Aufschub abgelehnt. Bereits vor zwei Jahren war ein zehnjähriger Gewerbemietvertrag ausgelaufen. Der Eigentümer setzte schließlich die Räumung durch.

Die etwa 40 Bewohner des «anarcha-queer-feministischen Hausprojekts Liebig 34» dürften dann nicht mehr in ihren Betten liegen, sondern sich schon andere Unterkünfte gesucht haben. Am Donnerstagmittag verließen etwa zehn junge Frauen mit Rucksäcken und großen Taschen das Gebäude. Auch bei früheren Räumungen besetzter Häuser waren bei der Ankunft des Gerichtsvollziehers bereits alle Bewohner ausgezogen.

Leichten Zugang hat die Polizei trotzdem nicht. Tausende Demonstranten werden zwischen Donnerstagabend und Freitagabend erwartet. In anderen Städten wie Dresden, Leipzig, Hamburg und Tübingen mobilisierten Unterstützer für bunte Proteste und harten Widerstand in Berlin. Die «Liebig 34» ist in der linken und linksextremen Szene weit über die Grenze der Hauptstadt hinaus bekannt. Die Polizei schließt auch nicht aus, dass gewaltbereite Unterstützer aus Frankreich oder Griechenland anreisen könnten.

„Lasst uns Chaos stiften, sichtbar sein und die Räumung der Liebig34 verhindern“, hieß es auf der Internetseite des Hauses. Die Logistik der Polizei „gilt es zu stören und zu zerstören“. Schon in den vergangenen Tagen gab es eine Serie von linksextremen Brandanschlägen und anderen Zerstörungen gegen Kabelschächte der S-Bahn, ein Polizeigebäude, ein Amtsgericht und andere Einrichtungen. Entsprechende Bekennerschreiben wurden auf einer linksradikalen Internetseite veröffentlicht.

Ob es zu Gewaltausbrüchen kommt und wie heftig sie ausfallen können, lässt sich schwer vorhersagen. Bei Räumungen von Kiezkneipen und alternativen Läden im Sommer und vor einem Jahr wurde die Polizei vor allem bei Demonstrationen danach angegriffen. Die Räumungen selber verliefen wegen der Übermacht der Polizei eher problemlos.

Die Polizei hat besonders aus schlecht gelaufenen Einsätzen gelernt. 2011 war das gegenüberliegende Eckhaus in der Liebigstraße geräumt worden. Wegen Hunderter Demonstranten direkt vor dem Haus und massiver Barrikaden im Inneren des Gebäudes dauerte die Aktion Stunden. Auch 2500 Polizisten konnten Gewaltausbrüche nicht verhindern.

Daher sperrte die Polizei im aktuellen Fall bereits am Donnerstagmorgen die Kreuzung vor der Liebigstraße 34 weiträumig ab. Direkt daneben liegt das zum Teil besetzte Haus Nr. 94, seit Jahren ebenso bekanntes Szenesymbol und Rückzugsort von linksextremistischen Gewalttätern nach Angriffen auf die Polizei. Polizei-Mannschaftswagen standen in der Umgebung verteilt.

Der Streit um das Haus und der Aufmarsch von Polizei und Demonstranten hat auch unmittelbare Auswirkungen auf die geplante Erinnerung an den Hausbesetzer-Sommer 1990 in Ost-Berlin. Eine Ausstellung über das Leben der Besetzerszene in der Mainzer Straße vor der großen Räumung wurde verschoben. Sie sollte am Freitag in einer Kirche wenige Meter von der „Liebig 34“ entfernt beginnen. Der Termin sei inzwischen nun wirklich unpassend, sagte der Veranstalter.

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