Deutschland

Ehemaliger BND-Chef: Die deutschen Dienste halten sich an die Gesetze - der Datenschutz bremst jedoch ihre Schlagkraft

Die DWN haben den ehemaligen Leiter des Bundesnachrichtendienstes, Gerhard Schindler, interviewt.
15.11.2020 10:46
Lesezeit: 4 min
Ehemaliger BND-Chef: Die deutschen Dienste halten sich an die Gesetze - der Datenschutz bremst jedoch ihre Schlagkraft
Am Bundesnachrichtendienst (BND) scheiden sich die Geister. (Foto: dpa)

Welchen Herausforderungen sieht sich der Bundesnachrichtendienst (BND) gegenüber, und welche Möglichkeiten hat er, adäquat auf diese zu reagieren? Darüber haben die Deutschen Wirtschaftsnachrichten mit dem ehemaligen BND-Präsidenten Gerhard Schindler gesprochen.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Ihr neues Buch trägt den Titel „Wer hat Angst vorm BND?“. Gibt es denn Leute, die vor dem BND Angst haben - oder Angst haben sollten?

Gerhard Schindler: Im Titel des Buches habe ich den BND stellvertretend für alle anderen Sicherheitsbehörden genannt. Unsere deutschen Sicherheitsbehörden stehen fest auf dem Boden der freiheitlich demokratischen Grundordnung. Wer unsere Behörden ein wenig kennt, der weiß, dass diese nichts mit einem "Staat im Staate" zu tun haben und es eine "Verselbständigung der Dienste" nicht gibt, was überkritische Stimmen gerne behaupten. Insofern und aufgrund der zahlreichen Kontrollinstanzen gibt es keinen Grund, Angst vorm BND zu haben. Es gibt aber viele Gründe, sich mit dem Thema "Sicherheit" zu befassen, schon wegen der zahlreichen Gefährdungen für unser Land.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Ein Kapitel Ihres Buches beschäftigt sich mit dem Thema Datensicherheit und Datenschutz. Wie ist darum bestellt?

Gerhard Schindler: Dass der Datenschutz auf der einen Seite die Tätigkeit der Dienste erschwert, dürfte unstreitig sein. Auf der anderen Seite ist es natürlich zum Schutz der Persönlichkeitsrechte wichtig, dass es einen funktionierenden Datenschutz gibt. Wir brauchen also einen vernünftigen Mittelweg, den ich derzeit in Deutschland nicht sehe. Datenschutz hat sich bei uns inzwischen zu einer Art "Überrecht" entwickelt, und in meinem Buch habe ich ja Beispiele beschrieben, wie Datenschutz im Behördenalltag hemmt und bremst. Zum Beispiel, weil die Mautdaten selbst bei schwersten Delikten nicht für die Aufklärung dieser Verbrechen genutzt werden dürfen, oder weil wegen der fehlenden Vorratsdatenspeicherung Kinderpornografie nicht konsequent verfolgt werden kann. Bei den überbordenden datenschutzrechtlichen Regelungen geht offensichtlich der Blick dafür verloren, dass nicht die Daten geschützt werden sollen, sondern der Mensch!

Die Voraussetzungen zur Nutzung von Daten durch den BND stehen allesamt im BND-Gesetz. Es lohnt sich, einen Blick in dieses Gesetz zu werfen, weil man dann erkennen kann, wie detailliert die Tätigkeit des Auslandsnachrichtendienstes geregelt ist.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Andere Konzerne, wie Google oder Apple, scheinen da ja auf wesentlich umfangreicheres Datenmaterial zugreifen zu können. Eine Herausforderung für unsere Demokratie?

Gerhard Schindler: Die großen Datenkraken sind in der Tat nicht unsere Sicherheitsbehörden, sondern Google, Facebook, Apple & Co. Google als Suchmaschine weiß mehr über mich, als ich selbst, denn ich vergesse, Google vergisst nichts. Unsere Smartphones liefern täglich, stündlich, in diesem Augenblick an anonyme Konzerne ein umfassendes Bewegungsbild, von dem Nachrichtendienste nicht zu träumen wagen. Diesen Datentransfer kann man in aller Regel noch nicht einmal ausschalten. Man wird diese Entwicklungen aufmerksam beobachten müssen, damit die Befürchtungen, dass solche Datenkonzentrationen eine Herausforderung für unsere Demokratie werden, sich nicht realisieren.

Es fällt nämlich auf, dass trotz dieser gigantischen Datensammlung durch wenig kontrollierte Konzerne die gesetzlichen Regelwerke meist nur die Sicherheitsbehörden betreffen. Das Vorgehen gegen die privaten Datenriesen ist dagegen harmlos bis wirkungslos. Das mag unter anderem daran liegen, dass die Firmen- und Datenzentralen dieser Wirtschaftsgiganten in den USA liegen und damit dem Zugriff unserer Gesetze entzogen sind. Wie wäre es daher mit einer gesetzlichen Verpflichtung, dass zum Beispiel Google und Facebook ihre Server so dezentral und gegebenenfalls national konfigurieren müssen, dass sie für deutsche oder europäische Rechtsvorgaben zugänglich sind?

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Ist der BND auf die Zusammenarbeit mit anderen Geheimdiensten und anderen Firmen wie Google oder Mobilfunk-Betreibern angewiesen? Unter welchen rechtlichen Voraussetzungen könnte dies geschehen? Und für welche Gegenleistungen?

Gerhard Schindler: Es ist eine Binsenweisheit, dass der internationale Terrorismus nur durch internationale Zusammenarbeit bekämpft werden kann. Die Welt ist heutzutage so komplex geworden, dass kein Nachrichtendienst auf dieser Welt in der Lage wäre, alle Gefahren und Bedrohungen allein aufzuklären. Internationale Zusammenarbeit ist daher unverzichtbarer Teil der Aufgabenerfüllung geworden.

Bei der internationalen Zusammenarbeit gibt es allerdings ein ungeschriebenes Gesetz, und das heißt: Geben und Nehmen! Wer glaubt, dass der BND um seiner selbst willen besonders gemocht wird und man deshalb mit ihm zusammenarbeitet, der täuscht sich. Je mehr Regelungen also in Deutschland hinzukommen, die den Informationsaustausch erschweren oder gar verhindern, umso mehr wird auch die Aufgabenerfüllung erschwert.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Der Einfluss großer Konzerne wie Google oder Microsoft nimmt ständig zu. Neue Konzepte wie das des „Known Traveller“, das auf dem Weltwirtschaftsforum diskutiert wurde, oder die „ID2020“ könnten dazu führen, dass immer mehr Daten in den USA gespeichert und ausgewertet werden. Ergibt sich daraus ein anderes Anforderungsprofil für den BND?

Gerhard Schindler: Der Auftrag des BND ist im BND-Gesetz geregelt. Die Formulierung gleich im ersten Paragrafen, nämlich die Gewinnung von Erkenntnissen über das Ausland, die von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung sind, ist weit gefasst und lässt daher bei geänderten Rahmenbedingungen auch neue Schwerpunkte zu. Da das darauf beruhende konkrete Auftragsprofil als "geheim" eingestuft ist, kann ich mich dazu auch nicht weiter äußern.

Für die Zukunft kann ich persönlich mir vorstellen, dass sich die Bedrohungslage dynamisch fortentwickelt. Während man zum Beispiel früher viele Soldaten, viele Panzer und viele Flugzeuge brauchte, um den Nachbarstaat, die Region oder die Welt in Angst und Schrecken zu versetzen, genügen schon heute eine Handvoll versierter IT-Spezialisten. Damit besteht die Gefahr, dass morgen Staaten, aber auch Organisationen als gefährliche Akteure auf die Weltbühne treten, an die wir heute noch nicht einmal denken.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Gibt es technische Entwicklungen, welche die Aufklärungsarbeit der Dienste im In- und Ausland erleichtern? Falls ja: Welche?

Gerhard Schindler: Nahezu jede technische Entwicklung hat mehr oder weniger Auswirkungen auf die Aufklärungsarbeit der Dienste. Die derzeit größte Herausforderung sehe ich bei den anstehenden Veränderungen durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI). Hier dürfen die Dienste den Anschluss an die technische Entwicklung nicht verlieren. Wenn KI aufzuklärende Staaten und Organisationen in vielerlei Hinsicht schlagkräftiger und damit gefährlicher macht, dann muss KI als Modul der Aufklärung auch Einzug in den Alltag der Dienste erhalten.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wie viel an Überwachung und Durchleuchtung der Bürger wäre denn aus Ihrer Sicht mit einer rechtsstaatlichen Demokratie vereinbar? Welche Grenzen dürfen nicht überschritten werden?

Gerhard Schindler: Entscheidend ist die demokratische Legitimation. Diese findet statt über die Gesetzgebung und über die parlamentarische Kontrolle. In beiden Bereichen haben wir in Deutschland keine Defizite. Im Gegenteil, wir müssen darauf achten, dass keine Überregulierung stattfindet, dass also Handlungsspielräume erhalten bleiben. Und wir sollten daran arbeiten, dass nicht die bloße Quantität von Kontrolle im Vordergrund steht, sondern die Qualität. Eine wirksame Kontrolle schafft Legitimität für den Arbeitsalltag und fördert das Vertrauen der Gesellschaft in die Tätigkeit der Dienste. Das sehen im Übrigen auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Dienste so.

Info zur Person: Gerhard Schindler, Jahrgang 1952, war von Januar 2012 bis Juni 2016 Präsident des Bundesnachrichtendienstes. Kürzlich erschien sein Buch „Wer hat Angst vorm BND?“. www.ullstein-buchverlage.de/nc/buch/details/wer-hat-angst-vorm-bnd-9783430210386.html

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