Japan besteht aus fast 7.000 Inseln (deren gesamte Küstenlänge fast 35.000 Kilometer beträgt) und erstreckt sich von seiner Nord- bis zu seiner Südspitze über 25 Breitengrade. Fast drei Viertel seines Territoriums sind gebirgig und für die Landwirtschaft ungeeignet, zudem ist das Land arm an Bodenschätzen. Dies hat Folgen für seine Außen- und Sicherheitspolitik. Eine Analyse.
Der Inselstaat ist militärisch äußerst schwer einzunehmen. So brachen die USA den japanischen Widerstand gegen Ende des Zweiten Weltkriegs prophylaktisch durch den Abwurf zweier Atombomben, weil eine Invasion äußerst hohe Verluste nach sich gezogen hätte. Seit der – 1952 beendeten - Besatzungszeit steht Japan im westlichen Lager und spielt heute bei den Bestrebungen der USA, den Aufstieg Chinas einzudämmen, eine wichtige Rolle. Andererseits ist Japan aufgrund seiner geographischen Lage auf eine Verständigung mit dem Reich der Mitte angewiesen und müsste bestrebt sein, zwischen den beiden Supermächten zu vermitteln. Denn sollten die Spannungen zwischen den USA und China weiter zunehmen, könnten die Amerikaner die Straße von Malakka sperren. Ein Großteil der Warenexporte Chinas, vor allem aber auch ein Großteil seiner Ölimporte, passieren diese Meerenge – auf die japanischen Im- und Exporte trifft dies allerdings auch zu. Grundsätzlich gilt: China, Japan und auch Südkorea sind auf eine freie Schifffahrt in den Gewässern um Südostasien und im Chinesischen Meer angewiesen. Alle drei sitzen gewissermaßen im gleichen Boot.
Eroberer
Japan verfügt über nur wenige schiffbare Flüsse. Dies bedeutet, dass der Warenaustausch zwischen den einzelnen Landesteilen und teilweise auch zwischen den Städten, die jeweils auf einer der vier Hauptinseln – Hokkaido, Honschu, Shikoku und Kyushu – liegen, bereits vor Jahrhunderten über das Meer erfolgte. Folgerichtig entwickelte sich Japan zu einer Seefahrer-Nation. Dies hat in der Vergangenheit immer wieder eine expansive imperiale Politik begünstigt, zu der sich das Land unter anderem aufgrund seiner Rohstoffknappheit und seiner mangelnden Lebensmittel-Autarkie verleitet sah. So fielen japanische Truppen über die etwa 200 Kilometer breite Tsushima-Straße mehrmals in Korea ein. Und im Japanisch-Chinesischen Krieg, der von 1937 bis 1945 dauerte und von zahlreichen Kriegsverbrechen geprägt war, hielt Japan große Teile des Reichs der Mitte besetzt.
Japan hatte seine industrielle Entwicklung seit 1870 forciert und war seinen Gegenspielern in Ostasien seit dieser Zeit bis vor kurzem technisch – teilweise deutlich – überlegen. Seine relativ frühe Industrialisierung und die daraus resultierende Wehrhaftigkeit trugen zudem dazu bei, dass Japan – anders als China – nie ein Opfer westlicher Kolonialpolitik wurde. Ganz im Gegenteil: Aus dem Japanisch-Russischen Krieg im Jahr 1905 ging der Inselstaat als Sieger hervor. Dies war das erste Mal in der Neuzeit, dass eine fernöstliche Macht eine europäische besiegen konnte.
Unter Druck
Aufgrund seines hohen technologischen Entwicklungsstandes galt Japan – und nicht China – bis in die 1990er-Jahre hinein als der hauptsächliche wirtschaftliche Rivale der USA. Als Land, das zwar rohstoffarm ist, aber gleichzeitig über eine äußerst hochwertige Industrieproduktion verfügt, ist Japan allerdings auf die Einfuhr von Seltenen Erden angewiesen. Da China inzwischen aber ebenfalls High-End-Produkte herstellt und – anders als Japan – selbst große Vorkommen an Seltenen Erden besitzt, entwickelt sich die Volksrepublik auch in diesem Bereich der Wertschöpfung zu einem äußerst harten Konkurrenten. Zudem dürfte Japan aufgrund seiner deutlich kleineren und abnehmenden Bevölkerung gegenüber dem Reich der Mitte weiter an Gewicht verlieren.
Die Kurilen nördlich von Japan bildeten im Kalten Krieg die östlichste Verteidigungskette der Sowjetunion, die südlichen Inseln dieses Archipels werden allerdings von Japan beansprucht. Dies gestaltet die japanischen Beziehungen zu Russland schwierig. Zurzeit sind Japan, Südkorea und vor allem China die Schwergewichte in der Region, doch wird Russland aus geostrategischen Gründen nicht umhinkommen, seinen „Fernen Osten“ und hier vor allem die Region um Wladiwostok wirtschaftlich weiterzuentwickeln. Einer der Gründe hierfür ist der latente Druck, den China auf das holz- und kohlewasserstoffreiche Sibirien ausübt. Bereits jetzt lassen sich immer mehr Chinesen in dem nur dünn besiedelten Gebiet nieder. Steuert Russland hier nicht gegen, könnte weite Teile Sibiriens langfristig in chinesische Hand gelangen. Die Aufwertung Ostsibiriens durch eine gezielte Industrie- und Wirtschaftspolitik könnte dem entgegenwirken, ist aber selbstverständlich kostspielig. Auf jeden Fall würde es Russland in den Rang einer „pazifischen Macht“ erheben, was das Spiel der Kräfte in Ostasien weiter verkomplizieren würde.
Vereinigung?
Einen weiteren Faktor, der für die japanischen Außen- und Sicherheitspolitik relevant ist, stellt Nordkorea dar. Japan liegt innerhalb der Reichweite nordkoreanischer Raketen, die möglicherweise auch atomar bestückt werden können. Wichtig zu erwähnen ist die Tatsache, dass Nordkorea ein potentiell reiches Land ist. Es verfügt über Bodenschätze, vor allem auch Seltene Erden, deren Wert derzeit auf sieben bis zehn Billionen Dollar geschätzt wird. Ein vereinigtes Korea wäre – nach einem sicherlich finanziell sehr aufwendigen Einigungsprozess – dann wohl zwar keine militärische Bedrohung für Japan mehr, dafür aber ein wirtschaftlich hoch potenter Rivale, zumal das Land dann auch über Pipelines mit russischem Erdgas versorgt werden könnte.
Ein vereinigtes Korea dürften allerdings auch China und die USA mit gemischten Gefühlen betrachten: China, weil Nordkorea einen Puffer zu Südkorea bildet, einem Land, in dem US-amerikanische Truppen stationiert sind. Und die USA, weil ihnen die Existenz Nordkoreas einen Grund dafür liefert, Truppen in Südkorea zu unterhalten, wobei der wahre Grund hierfür eher die amerikanisch-chinesische Rivalität ist. Schließlich vermehrt eine Truppenpräsenz in Südkorea die militärischen Optionen der USA gegenüber dem Reich der Mitte massiv.
Balance
Die oben aufgeführten sind die wichtigsten Koordinaten, an denen Japan seine Außen- und Sicherheitspolitik ausrichten muss. Dabei steht das Land vor einem Dilemma: Einerseits bietet das Bündnis mit den USA militärische Sicherheit. Andererseits macht sich der Inselstaat dadurch zu einem potentiellen Gegner Chinas. Wobei das nicht nur ein militärisches Problem ist: Japan kann sich nämlich einer stärkeren Anbindung an die dynamische Wirtschaftsregion Ostasiens nicht mehr entziehen, wie der kürzlich erfolgte Abschluss des asiatischen Freihandelsabkommens zeigt. Für den Inselstaat wird es deshalb in Zukunft darauf ankommen, seine Position zwischen den beiden Supermächten China und USA auszubalancieren und gleichzeitig seine strategischen Optionen durch einen geschickten diplomatischen Umgang mit den Regionalmächten Russland und Südkorea zu erhöhen.
In unserer großen geopolitischen Serie sind bisher erschienen:
Russland:
China:
Deutschland:
USA:
Großbritannien:
deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/506643/Grossbritannien-Wiedergeburt-eines-Empires
Türkei: