Die Bundesregierung strebt nach Medienberichten an, bis in den Juni hinein den Status einer sogenannten epidemischen Lage von nationaler Tragweite aufrecht zu erhalten und dies per Bundestagsbeschluss entsprechend verlängern zu lassen. Wie das Handelsblatt und das Nachrichtenportal The Pioneer berichten, sieht das ein entsprechender Entwurf aus dem Bundesgesundheitsministerium vor.
Der Bundestag hatte eine "epidemische Lage von nationaler Tragweite" erstmalig am 25. März 2020 festgestellt. Im November stellte das Parlament dann im Zuge der Abstimmung über das sogenannte "dritte Bevölkerungsschutzgesetz" auf Antrag von Union und SPD den Fortbestand der Ausnahmelage erneut fest
Der Schritt ist laut "Infektionsschutzgesetz" Grundlage für Corona-Schutzmaßnahmen und Sonderbefugnisse zum Beispiel der Regierung, um im Kampf gegen die Corona-Pandemie Rechtsverordnungen zu erlassen, ohne dass der Bundesrat zustimmen muss. Das können etwa Reiseregeln oder Testvorgaben sein. Normalerweise ist bei den meisten Verordnungen ein Ja der Länderkammer notwendig.
Bundestag muss Verlängerung beschließen
"Die Pandemie wird Ende März nicht vorbei sein. Damit die zahlreichen finanziellen Hilfen und flexibilisierten Regelungen für Pflege und Gesundheit weiterbestehen können, müssen sie gesetzlich verlängert werden", sagte der CDU-Politiker am Dienstag zu Reuters. Diese Regelungen seien wie die Test- und die Impf-Verordnung an die Feststellung der epidemischen Lage geknüpft. "Daher haben wir auf Bitten der Koalitionsfraktionen einen entsprechenden Gesetzentwurf erarbeitet. Nur der Bundestag kann die Ausnahmelage jeweils feststellen und beenden. Das muss so sein und wird so bleiben", betonte Spahn angesichts der Vorbehalte im Parlament gegen ein zu lange Verlängerung.
In dem Gesetzentwurf wird deshalb nun eine befristete Verlängerung vorgeschlagen. "Der Deutsche Bundestag hat (...) bei entsprechender Lage mindestens alle drei Monate über die Fortdauer der epidemischen Lage von nationaler Tragweite erneut zu entscheiden", heißt es in dem Entwurf. Auch die pandemiebedingten Sonderregelungen zugunsten von Pflegebedürftigen, pflegenden Angehörigen und zugelassenen Pflegeeinrichtungen sollten um weitere drei Monate verlängert werden. Damit dies finanziert und der Pflegebeitrag stabil gehalten werden kann, schlägt Spahn einen einmaligen Zuschuss in Höhe von drei Milliarden Euro für die Pflegeversicherung aus dem Bundeshaushalt vor.
Gedankliche Lockerungsübungen
Am Mittwoch kommender Woche entscheiden Kanzlerin Angela Merkel und die 16 Ministerpräsidenten der Länder, ob und in welcher Form der Lockdown über den 14. Februar hinaus verlängert wird. Immerhin sinkt die sogenannte Sieben-Tages-Inzidenz täglich und lag am Dienstag bei 90. Das ist zwar noch ein Stück von der Zielmarke 50 entfernt, die sich Bund und Ländern gesetzt haben. Aber schon das Sinken unter die 100er Marke führt zu gedanklichen Lockerungsübungen. So hat Schleswig-Holsteins Regierung ein Stufenkonzept erarbeitet, nach dem etwa Kontakteinschränkungen bei einer Inzidenz von unter 100 gelockert werden könnten. Niedersachsen legte am Dienstag mit einem detaillierten Sechs-Stufen-Plan nach.
Dass der Anstoß vor allem aus dem Norden kommt, ist wenig überraschend: Dort liegen die Neuinfektionen seit Wochen deutlich unter denen im Osten oder in Bayern. Das erhöht den Druck auf eine Öffnung von Schulen, Kitas, Geschäften und Kultureinrichtungen. Bereits am 5. Januar hatten Kanzlerin und Ministerpräsidenten verabredet, dass die Länder nicht nur neue Verschärfungen anordnen, sondern sich auch Gedanken über mögliche Öffnungsstrategien machen sollten. Seither diskutieren Kanzleramtschef Helge Braun und seine 16 Kollegen in den Staatskanzleien über Konzepte. Auch Familienministerin Franziska Giffey legte ein Konzept vor, wie Kitas bei sinkenden Infektionszahlen schrittweise wieder geöffnet werden könnten.
Goldener Mittelweg
Allerdings wird in Regierungskreisen eingeräumt, dass es kommunikativ schwer zu vermitteln ist, dass man gleichzeitig über Verschärfungen und Verlängerungen einerseits und Lockerungen von Maßnahmen andererseits diskutiert. Vor allem Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, in dessen Bundesland die Zahlen nicht so stark gesunken sind wie im Norden, im Südwesten oder im Westen, warnt: "Lieber länger und gründlicher", sagte der CSU-Chef zum geltenden Lockdown. "Es ist nicht die Zeit, über große Lockerungen zu reden." Unter Druck gerät er aber auch dadurch, dass das Nachbarland Österreich wieder partielle Öffnungen einführt.
Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) hat genau deshalb einen sechsstufigen Plan vorgelegt, der Bürgern mögliche Wege sowohl Richtung Verschärfungen als auch hin zu Lockerungen deutlicher machen soll - je nachdem, wohin sich die Pandemie entwickelt. Eine Art erweitertes Ampelsystem sieht dafür sechs Stufen von einem geringen Infektionsgeschehen und viel Freiheiten (eine Inzidenz unter 10) bis zu einem eskalierenden Infektionsgeschehen und vielen Beschränkungen (Inzidenz über 200 und einem R-Wert über 1,2) vor. Dabei spricht sich Niedersachsen in der Debatte klar für einen Mittelweg bei den Ambitionen aus.
"Goldener Mittelweg" sei ein Kurs, der den sogenannten R-Wert bei 0,8 halte. Denn ein Wert über 1,0 bedeutet, dass rechnerisch jeder Infizierte mehr als eine weitere Person ansteckt. Schärfere Maßnahmen mit dem Ziel es eines R-Wertes von 0,1 bis 0,5 führten aber wiederum "in jedem Fall zu höheren wirtschaftlichen Kosten, aber kaum zu weniger Opfern", heißt es in dem Konzept der Landesregierung. Auch Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) argumentiert, dass man gesellschaftliche Kosten in der Pandemie besser miteinander abwägen müsse. Günther möchte deshalb neben der Sieben-Tages-Inzidenz auch Faktoren wie die Auslastung der Krankenhäuser zur Beurteilung der Lage heranziehen.
Unklare Stimmungslage in der Bevölkerung
Ein weiteres Problem ist für die Politiker in Bund und Ländern, dass die Stimmungslage in der Bevölkerung nicht eindeutig ist. Während das Allensbach-Institut schrumpfende Zustimmung zur Corona-Politik der Bundesregierung ausmacht, ist laut ZDF-Politbarometer die Zahl derer, denen die Einschränkungen zu weit gehen, sogar gesunken. Einig sind sich Kanzlerin Merkel und die Ministerpräsidenten nur, dass Schulen und Kitas bei Lockerungen Priorität haben sollten. Genau deshalb hat Familienministerin Giffey ein Konzept vorgelegt, das einen schrittweisen Übergang zur Präsenzbetreuung mit zusätzlichen Maßnahmen wie etwa regelmäßigen Corona-Tests der Erzieher verbindet.
Erschwert wird die Debatte nach Angaben aus Bund-Länder-Kreisen durch zwei weitere Faktoren - Virus-Mutationen und Richter. In dem niedersächsischen Papier wird darauf verweisen, dass die Ausbreitung der hochansteckenden Mutanten bisher nicht eingerechnet sei. Sollten sich die zuerst in Großbritannien, Brasilien und Südafrika festgestellten Virus-Mutationen bis zum Treffen am 10. Februar stark ausbreiten, dürften die Lockerungsdebatten wieder in den Schubladen verschwinden.
Dazu kommt wie zum Ende der ersten Corona-Welle die Sorge, dass Gerichte eine schrittweise Öffnung zu sehr beschleunigen könnten. Schließlich müssen sie die Einschränkungen von Grundrechten in verschiedenen Bereichen gegeneinander abwägen. "Deshalb wird die Ministerpräsidentenkonferenz am 10. Februar die möglicherweise am besten vorbereitete seit langem sein - aber was wir dann beschließen können, weiß derzeit niemand", heißt es in Regierungskreisen in Berlin.