Politik

Landkarte im Jahr 2050: Auf dem europäischen Schachbrett bahnt sich eine Katastrophe an

Bis zum Jahr 2050 wird sich die europäische Landkarte mit einer hohen Wahrscheinlichkeit nachhaltig verändern. Alte Feindseligkeiten könnten wieder ausbrechen und sogar einzelne Bundesländer könnten sich lossagen, um eigene Wege zu gehen. Doch es gibt einen Mittelweg zwischen EU und Nationalstaat.
29.08.2021 20:06
Lesezeit: 2 min
Landkarte im Jahr 2050: Auf dem europäischen Schachbrett bahnt sich eine Katastrophe an
Sezessionistische Bestrebungen in Europa. (Grafik: GPF)

„Wir haben schon oft gesagt und werden noch oft sagen, dass der Nationalismus auf der ganzen Welt zunimmt. Und nirgendwo ist das so offensichtlich wie in Europa. Es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass dieser Nationalismus nicht durch die britische Abstimmung zum Austritt aus der Europäischen Union in der vergangenen Woche verursacht wurde. Der Aufstieg des Nationalismus war bereits im Gange, und viele der politischen Entwicklungen, die in den letzten Wochen aus Europa hervorgegangen sind, sind direkte Manifestationen seines Wiederauflebens“, prognostizierte der US-Informationsdienst Geopolitical Futures (GPF).

GPF hatte zahlreiche nationalistische und sezessionistische Bewegungen in Europa untersucht, um anschließend anzudeuten, dass nicht alle Bestrebungen dieser Bewegungen auch wirklich eintreten werden. „Die Wahrscheinlichkeit, dass die von uns gewohnte Europakarte in den nächsten 50 Jahren unverändert bleibt, ist jedoch ebenfalls äußerst gering. Der Nationalismus ist Teil der Fragmentierung Europas und Teil der Krise der Europäischen Union. Diese Karte ist ein Gedankenexperiment (siehe Titelbild, Anm.d.Red.): Sie folgt der Logik des Nationalismus bis zum äußersten Ende. Wer sich für die Zukunft Europas interessiert, sollte sie studieren“, so GPF.

Es gibt zwei Teilbereiche, aus denen eine Bedrohung für die EU und die einzelnen EU-Mitgliedsstaaten hervorgeht.

Die populistischen Anti-EU-Parteien bedrohen das Gebilde der EU, ohne den Anschein einer Gefahr für die eigenen Nationen, aus denen sie kommen, zu erwecken. Doch das dürfte ein Trugschluss sein. Sollten diese Parteien in Europa die Macht ergreifen, würden sie auch in ihren eigenen Heimatländern Reaktionen auslösen, die die europäischen Nationen innerhalb ihrer eigenen Grenzen in eine Phase der Fragmentierung eintreten lassen würden.

Zum aktuellen Zeitpunkt ist es beispielsweise undenkbar, dass das eine oder andere deutsche Bundesland sich von der Bundesrepublik Deutschland lossagt. Doch diese Gefahr, die unter der Decke schlummert, würde ihre Auswirkungen zeigen, wenn das eine oder andere Bundesland seine politischen und wirtschaftlichen Beziehungen unilateral mit ausländischen Mächten ausbaut, die gegen die Interessen des Bundes arbeiten oder aus geopolitischen Gründen gegen die Bundesrepublik arbeiten müssen. Hierbei ist vor allem das Spannungsfeld zwischen und Ost und West zu beobachten.

Das zweite Szenario für Deutschland ergibt sich aus einer möglichen Abspaltung Bayerns vom Rest des Bundes aufgrund massiver Proteste zum Länderfinanzausgleich und zur fehlenden politischen Mitbestimmung in dem Maße, in dem das Bundesland auch Gelder an die „Schwachen“ im Bund verteilt. Diese Gefahr war auch vor der Corona-Krise vorhanden, jedoch sehr gering. Auf den Freistaat dürften in den kommenden Jahren wegen der Corona-Auswirkungen zusätzliche massive Belastungen zukommen. Beispielsweise wäre Berlin ohne die bayrischen Steuergelder über den Länderfinanzausgleich ein Dritte-Welt-Land. Jeder, der etwas anderes behauptet, lügt. Wie lange Bayern dieses Spiel mitmacht, muss beobachtet werden. Es darf niemals vergessen werden, dass bei Sezessionen und Abspaltungen vor allem finanzielle Beweggründe maßgeblich sind. Im Regelfall entstehen sezessionistische Bestrebungen oftmals dann, wenn Bundesländer oder Bundesstaaten sich vorsätzlich finanziell benachteiligt sehen, oder aber meinen, dass sie ungerechterweise durchgehend mehr Ausgaben schultern müssen als andere.

In den anderen europäischen Ländern gibt es hingegen offene nationalistisch-sezessionistische Bestrebungen, die jederzeit ausbrechen könnten, sobald der EU-Schirm oder der Einfluss der EU über all diesen Ländern wegfällt. Dann würden auch die alten ethnischen und religiösen Feindseligkeiten unter den einzelnen europäischen Staaten zwangsläufig ausbrechen. Es muss ernsthaft festgestellt werden, dass immer mehr EU-Staaten dazu neigen, ihre eigenen Wege zu gehen.

Der Brexit stellt für die Gegner der EU den Startschuss für das Ende der EU dar. Sie argumentieren, dass früher oder später auch Italien, Spanien und weitere EU-Staaten sich von Brüssel lossagen werden. Das dürfte den Bürokraten in Brüssel und vor allem der EZB klar geworden sein, weshalb auch Mario Draghi als Premier in Rom installiert wurde. Er wird offenbar als „Brüsseler Satellit“ agieren, um einen Italexit zu verhindern.

Um den bereits begonnenen Prozess des Zerfalls abzumildern, müsste die EU zurück zu ihren Wurzeln als Freihandelszone namens Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG). Darin dürfte im Rahmen dieses Negativ-Szenarios der einzige Ausweg bestehen, um noch das zu retten, was zu retten ist – insbesondere aus Sicht der wirtschaftlichen und politischen Interessen Deutschlands.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Politik
Politik Steuern, Deutschlandticket, Musterung – die Änderungen 2026 im Überblick
27.12.2025

2026 bringt spürbare Änderungen bei Lohn, Rente, Steuern und Alltag. Manche Neuerungen entlasten, andere verteuern Mobilität oder...

DWN
Panorama
Panorama Keine Monster, keine Aliens: Prophezeiungen für 2025 erneut widerlegt
27.12.2025

Düstere Visionen und spektakuläre Vorhersagen sorgen jedes Jahr für Schlagzeilen – doch mit der Realität haben sie meist wenig zu...

DWN
Unternehmen
Unternehmen E-Mail-Betrug im Mittelstand: Die unterschätzte Gefahr im Posteingang – und welche Maßnahmen schützen
27.12.2025

E-Mail-Betrug verursacht im Mittelstand mehr Schäden als Ransomware. Stoïk, ein auf Cybersecurity spezialisiertes Unternehmen, zeigt,...

DWN
Technologie
Technologie China überholt Europa: Wie europäische Energieprojekte den Aufstieg befeuerten
27.12.2025

Europa hat in den vergangenen Jahrzehnten erheblich zum Aufbau der chinesischen Industrie beigetragen, ohne die langfristigen Folgen zu...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Hoffnung auf den Aufschwung: Kann 2026 die Wirtschaftswende bringen?
27.12.2025

Nach mehreren Jahren der Stagnation und anhaltend schlechter Stimmung in vielen Branchen richtet sich der Blick der deutschen Wirtschaft...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Handelspolitik ist von Unsicherheit geprägt: Experten erwarten weniger Investitionen
27.12.2025

Die Unsicherheiten in der Handelspolitik lassen die Investitionen schrumpfen und führen zu Wachstumsverlusten. Zölle schaden der...

DWN
Finanzen
Finanzen KI-Blase: Warum der Hype um die Nvidia und Co. gefährlich werden könnte
27.12.2025

Die weltweite Euphorie rund um künstliche Intelligenz treibt Aktien wie Nvidia und Microsoft in immer neue Höhen und heizt die Diskussion...

DWN
Finanzen
Finanzen Inflationskrise USA: Warum 2026 zum gefährlichsten Jahr werden könnte
26.12.2025

Die Warnung eines führenden Ökonomen zeichnet ein düsteres Bild für die USA. Die Rückkehr einer hartnäckigen Inflationswelle könnte...