Finanzen

Finanz-Insider: Zentralbanken sind machtlos gegen geopolitische Risiken

Lesezeit: 4 min
26.03.2021 13:00
Die heutigen Zentralbanken werden die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen und erneut eine Große Depression auslösen, sagt der Analyst Michael Every. Doch sie können die Märkte nicht gegen globale Konflikte absichern - wie derzeit die Eskalation zwischen der EU und China.
Finanz-Insider: Zentralbanken sind machtlos gegen geopolitische Risiken
Die EZB hat die Aktienmärkte in der Corona-Krise stabilisiert, doch ihre Macht hat Grenzen. (Foto: dpa)
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Der Markt hat Anleihen und den US-Dollar zuletzt wieder höher bewertet, während Aktien und Öl zugleich niedrigere Kurse verzeichneten. Dies ist ein Zeichen dafür, dass Anleger wieder weniger auf Risiko und mehr auf Sicherheit setzen. Was diesen neuesten Stimmungsumschwung und die gegenläufigen Bewegungen der verschiedenen Anlageklassen ausgelöst haben könnte, ist unklar.

Einige Marktbeobachter erklären die erneute höhere Bewertung von Anleihen damit, dass die Märkte schlicht ihren Fehler erkannt haben und daher wieder weniger Risiko suchen. Doch Michael Every, Analyst der niederländischen Rabobank, weist darauf hin, dass eine ganze Reihe von Faktoren dazu geführt haben könnte, dass Anleger nun wieder verstärkt die (vermeintliche) Sicherheit von Anleihen suchen.

So haben Bund und Länder gerade den bundesweiten Lockdown bis mindestens 18. April verlängert und warnen vor einer "neuen Pandemie". Deutschland wird also mindestens ein Drittel des Jahres 2021 im Lockdown verbringen. Dies zeigt, wie stark die Wirtschaft noch immer im Bann der Corona-Krise steht, obwohl die Märkte laut Michael Every schon seit Monaten eine vollständige globale Erholung einpreisen.

Zugleich hat Hongkong angekündigt, dass es den Lockdown nicht aufheben wird, solange nicht 50 Prozent der Bevölkerung geimpft sind - aktuell sind es nur etwa 5 Prozent. Großbritannien, wo bereits die Hälfte der Erwachsenen gegen Corona geimpft ist, wird wahrscheinlich keine Sommerferien im Ausland erlauben. Zudem könnten dort Masken und Kontaktsperren noch "über Jahre" zum Alltag gehören.

Weitere Faktoren, die laut Michael Every der Risikobereitschaft der Anleger entgegenwirken, sind geplante höhere Steuern in Neuseeland und in den USA sowie die massive Marktvolatilität in der Türkei, die auf andere Schwellenländer überzugreifen droht. Auch dies unterstreicht dem Analysten zufolge, dass die Politik den Märkten jederzeit einen Strich durch die Rechnung machen kann.

Und dann kann es immer auch zu zufälligen Pannen kommen, die starken Einfluss auf die Wirtschaft und somit auch auf die Märkte haben. Dies zeigte sich nun erneut, als der Suez-Kanal am Dienstag plötzlich durch ein 400 Meter langes chinesisches Schiff blockiert wurde, was auch einen Tag später noch immer nicht behoben werden konnte und in der Folge den Ölpreis wieder ansteigen ließ.

Globale Konflikte sind die größte Gefahr für die Märkte

Neben all diesen mehr oder weniger wirtschaftlichen Faktoren, derentwegen Anleger nun wieder Sicherheit vor Risiko suchen (was etwa in den wieder sinkenden Anleiherenditen zum Ausdruck kommt), gab es diese Woche aber auch eine wichtige geopolitische Zäsur. Denn die EU hat ihre Sanktionen gegen China erheblich verschärft und damit einen gefährlichen neuen Konflikt vom Zaun gebrochen. Reuters berichtete:

Die Bundesregierung hat im Sanktionsstreit zwischen der EU und China den Botschafter der Volksrepublik in Berlin einbestellt. Zur Begründung sagte Außenminister Heiko Maas am Dienstag in Brüssel, man habe dem chinesischen Botschafter "sehr deutlich" machen wollen, "dass die Sanktionen, die von der EU beschlossen worden sind, Sanktionen sind gegen Einzelpersonen, die Menschenrechte verletzt haben". Die Sanktionierung Chinas von Abgeordneten und Wissenschaftlern sei für die Bundesregierung dagegen "nicht nachvollziehbar".

Die EU-Außenminister hatten am Montag Sanktionen gegen China wegen des Umgangs mit der muslimischen Minderheit der Uiguren beschlossen. Demnach verhängt die EU Einreiseverbote und friert Vermögenswerte von vier chinesische Personen und einer Institution ein, die für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich gemacht werden. Die Regierung in Peking antwortete umgehend mit Gegenmaßnahmen gegen zehn EU-Vertreter - darunter der deutsche Abgeordnete im Europäischen Parlament, Reinhard Bütikofer - und vier Institutionen.

Von den scharfen Gegensanktionen, die China gegen die EU verhängt hat, ist weder Großbritannien betroffen noch die USA noch Kanada. Denn diese Staaten hatten im Wesentlichen nur symbolische Sanktionen gegen China verhängt. Sicherlich sind aber auch chinesische Gegensanktionen gegen diese Staaten möglich, was zu einer weiteren Verschlechterung der globalen Beziehungen führen würde.

Michael Every hält es für möglich, dass China sich die EU als schwaches Angriffsziel ausgesucht hat und sich bei seinen Gegensanktionen auf Deutschland konzentriert, weil die deutschen Unternehmen das beste Druckmittel seien. "In diesem Fall versteht China nicht, dass selbst in der EU die Politik die Wirtschaft übertrumpfen kann", so der Analyst. Das EU-Parlament hat bereits deutlich gemacht, dass es das Investitionsabkommen mit China nicht verabschieden wird, solange Sanktionen gegen seine eigenen Abgeordneten bestehen.

Es ist nach Ansicht von Michael Every äußerst unwahrscheinlich, dass Peking einlenken wird. "Und so riskieren wir erneut, dass sich die globalen Beziehungen verschlechtern und zu einer Verschlechterung der Handels- und Kapitalströme führen." In der Folge dürfte diese Entwicklung auch die Märkte nach unten ziehen. Und nach Ansicht des Analysten scheint derzeit "Geschichte im Schnelldurchlauf zu verlaufen", was seiner Ansicht nach "viel wichtiger ist, als die Märkte begreifen".

Zentralbanken sind machtlos gegen geopolitische Konflikte

Der US-Aktienindex S&P 500 hat gerade seine besten zwölf Monate seit dem Jahr 1936 durchlaufen. Tatsächlich verzeichnete der S&P 500 im Gesamtjahr 1936 einen Anstieg um 27,9 Prozent. Doch im Folgejahr 1937 brach der Index dann wieder um 38,6 Prozent ein. Nach Ansicht von Michael Every wird sich dies so nicht wiederholen. Denn: "Es scheint äußerst unwahrscheinlich, dass die Zentralbanken diesen speziellen Fehler - eine verfrühte Verschärfung der Politik - wiederholen werden und einen ähnlichen Absturz auslösen."

Doch das heißt nun aber nicht, dass 2021 ein gutes Ende nehmen wird, wie der Analyst ausführt. Denn zwar könnten die Zentralbanken einen Börsencrash wie im Jahr 1937 verhindern oder auch den Beginn einer Großen Depression wie im Jahr 1929. Doch wären sie nicht in der Lage, etwas zu verhindern wie die französische Revolution im Jahr 1789, wie einen Weltkrieg im Jahr 1939 oder wie einen Kalten Krieg. Vor allem die Analogie mit dem Jahr 1939 hält Michael Every vor dem Hintergrund eskalierender geopolitischer Spannungen für beunruhigend.

Zum Beispiel habe gerade ein weiterer US-Verteidigungsbeamter vor der Gefahr eines heißen Krieges um Taiwan gewarnt, so der Analyst. "Darüber hinaus ist der Tech-Gigant Intel im Begriff, die Halbleiterproduktion in den USA [...] zu erhöhen. Sicherlich haben wir plötzlich einen großen Versorgungsengpass in der Branche, aber es dauert, bis die Anlagen den Betrieb aufnehmen können. Was sieht das Unternehmen jetzt, was ihm im Hinblick auf die Standortwahl anscheinend bis vor kurzem nicht klar gewesen ist? Noch im Juli 2020 erwog Intel, die Produktion in andere Firmen und Länder (wie Taiwan) auszulagern."

Laut Michael Every hat der Markt die geopolitischen Risiken "eindeutig nicht einpreist", auch wenn er auf einzelne Ereignisse reagiert. "In der Tat ist die Antwort, die ich oft bekomme, dass die Märkte im Allgemeinen gar nicht wissen, wie sie solche Dinge einpreisen sollen, also versuchen sie es gar nicht erst."

Das Fazit des Analysten ist nicht nur für Investoren von Interesse. Denn seiner Ansicht nach kann sich natürlich Sorgen darüber machen, ob die Zentralbanken ihre Geldpolitik straffen oder nicht. Doch am meisten Sorgen sollte man sich über die aktuelle Geopolitik machen - "und darüber, dass die Zentralbanken nicht in der Lage sind, etwas gegen den Gang der Geschichte zu tun".


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