Politik

Cyberbunker-Klausel: Bundesregierung will nächtliche Razzien in Wohnungen erlauben

Während sich die Öffentlichkeit mit der aktuellen Masken-Affäre beschäftigt, plant die GroKo eine Klausel der Strafprozessordnung, die die Unverletzlichkeit von nächtlichen Durchsuchungen in Wohnungen garantiert, weitgehend außer Kraft zu setzen, „weil bestimmte Tätergruppen als sehr nachtaktiv angesehen werden“ und Beschuldigte in dieser Zeit am „offenen PC“ ertappt werden sollen.
06.06.2021 17:15
Lesezeit: 2 min

Künftig darf die Polizei Wohnungen, Geschäftsräume und Grundstücke nachts durchsuchen, um laufende Computer und IT-Systeme zu kontrollieren und unverschlüsselte Daten kopieren und beschlagnahmen zu können. Die Große Koalition hat sich auf eine entsprechende verfügbare Änderung des umstrittenen Entwurfs der Bundesregierung zur Änderung der Strafprozessordnung (StPO) geeinigt. Der Änderungsantrag liegt „Heise.de“ vor. Die Initiative soll mit dem Zusatz in der kommenden Woche im Bundestag beschlossen werden.

§ 104 StPO soll auch Durchsuchungen zwischen 21 und 6 Uhr erlauben, „wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen“, dass während der Maßnahme „auf einen elektronischen Datenträger zugegriffen wird, der als Beweismittel verwendet werden kann“. Eine weitere Voraussetzung sei, dass ansonsten „die Auswertung des elektronischen Speichermediums, insbesondere in unverschlüsselter Form, sinnlos oder deutlich erschwert wäre“. Bisher war eine Nachtruhestörung nur bei drohender Gefahr bei „auf frischer Tat“ und bei der Festnahme eines entflohenen Häftlings erlaubt.

„Zur Nachtzeit dürfen die Wohnung, die Geschäftsräume und das befriedete Besitztum nur bei Verfolgung auf frischer Tat oder bei Gefahr im Verzug oder dann durchsucht werden, wenn es sich um die Wiederergreifung eines entwichenen Gefangenen handelt“, heißt es im aktuellen § 104 StPO.

Die Große Koalition begründet ihren Vorstoß mit folgenden Worten: „In Deliktsbereichen, die vorwiegend durch die Nutzung von Computern und Ähnlichem begangen werden, stehen die Ermittlungsbehörden vermehrt vor dem Problem, dass die Täter ihre Datenträger durch den Einsatz von Verschlüsselungstechnologien vor dem Zugriff durch die Strafverfolgungsbehörden schützen.“

Einige Gerichte haben bereits Beschlüsse zu nächtlichen Durchsuchungen gefasst, „weil bestimmte Tätergruppen als sehr nachtaktiv angesehen werden“ und Beschuldigte in dieser Zeit am „offenen PC“ ertappt werden sollen. Allerdings gibt es hierzu keine einheitliche Rechtsprechung, daher sollte das Verfahren nun ausdrücklich geregelt werden.

Die Bundesregierung hatte zuvor durch ein neues Patientenakten-Gesetz den Datenschutz ausgehebelt. In der Akte sollen alle relevanten Patientendaten gespeichert werden. Ein Widerspruchsrecht auf die Speicherung der Patientendaten gibt es nicht (HIER).

Bekommt die „Gesundheitsbranche“ nun Zugriff auf 73 Millionen Versicherten-Daten?

Das „Digitale Versorgungsgesetz“ vom November 2019 hatte die Weitergabe von Patientendaten durch das neu schaffende staatliche Forschungszentrum an Dritte verboten. „Es sei denn, das Forschungszentrum genehmigt auf Antrag eine Weitergabe an einen Dritten im Rahmen eines nach Absatz 2 zulässigen Nutzungszwecks“.

Doch aus der „Verordnung zur Neufassung der Datentransparenzverordnung und zur Änderung der Datentransparenz-Gebührenverordnung vom 19. Juni 2020“ geht nun hervor, dass der Satz „Die Nutzungsberechtigten dürfen die (…) zugänglich gemachten Daten nicht an Dritte weitergeben“ komplett fehlt.

Das Bundesgesundheitsministerium unter Jens Spahn hat diesen Satz komplett gestrichen. Dabei hatte der DGB zuvor in einer kritischen Stellungnahme ausgeführt: „Dadurch soll dem Ausbau der Versorgungsforschung, dessen Grundstein im digitalen Versorgungs-Gesetz gelegt wurde, entsprochen werden. Versorgungsforschung ist, sofern sie zum Nutzen aller Versicherten durchgeführt wird und zur Verbesserung der Versorgungsqualität und der gesundheitlichen Daseinsvorsorge beiträgt, zu begrüßen. Hierfür sind jedoch die Einhaltung hoher Anforderungen im Hinblick auf 1. den umfassenden Schutz der zugrunde gelegten Daten, 2. die Vermeidung eines primär auf Renditeerzielung ausgerichteten Wettbewerbs mit den Versichertendaten als Wettbewerbsmittel sowie 3. eine genaue Festlegung des Kreises von Zugangsberechtigten, der ihnen zur Verfügung gestellten Zugangswege und Kriterien, nach denen ein Zugang ermöglicht wird sowie 4. die Regelung der Kontrollen auf Einhaltung dieser Bestimmungen sowie die Festsetzung von Sanktionen, etwa im Falle der Datenverwendung durch nicht befugte Dritte oder zu nicht zugelassenen Zwecken notwendig. Diesen Maßstäben wird der vorliegende Referentenentwurf nur in Teilen gerecht.“

Hartmut Pohl, Sprecher des Präsidiumsarbeitskreises Datenschutz und IT-Sicherheit teilte zuvor mit: „Im vorliegenden Referentenentwurf werden keinerlei Sicherheitsvorgaben oder Sorgfaltspflichten der Krankenkassen und des Spitzenverbands formuliert, mit denen Datenschutz und Sicherheit der Daten gewährleistet werden könnten(…) Der Zugriff auf die Datenbestände der Versicherten ohne jegliche Beschränkung und Kontrolle stellt eine enorme Bedrohung für alle persönlichen und personenbezogenen Gesundheitsdaten dar. Wir fordern daher Nachbesserungen sowie eine umfangreichere Beteiligung des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit in (BfDI) und der Fachöffentlichkeit.“

Telepolis wörtlich: „Im Klartext: Damit sind die sensiblen Gesundheitsdaten von 73 Millionen gesetzlich versicherter Bürger jetzt mittelbar dem Zugriff der gewinnorientierten Gesundheitswirtschaft ausgesetzt.“

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.

E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung sowie die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Unternehmensporträt
Unternehmensporträt Start-up Etalytics: KI als digitaler Dirigent für die Industrieenergie
28.11.2025

In Deutschlands Fabriken verpuffen gewaltige Mengen Energie. Mit einer eigenen KI, die das System kontrolliert, gelingen Etalytics...

DWN
Finanzen
Finanzen Bullenmarkt im Blick: Steht der globale Aufwärtstrend vor einer Wende?
28.11.2025

Die globalen Aktienmärkte erleben nach Jahren starken Wachstums wieder mehr Unsicherheit und kritischere Kursbewegungen. Doch woran lässt...

DWN
Politik
Politik Milliarden-Etat für 2026: Bundestag stemmt Rekordhaushalt
28.11.2025

Der Bundestag hat den Haushalt für 2026 verabschiedet – mit Schulden auf einem Niveau, das zuletzt nur während der Corona-Pandemie...

DWN
Politik
Politik Zu wenige Fachkräfte, zu viele Arbeitslose: Deutschlands paradoxer Arbeitsmarkt
28.11.2025

Deutschland steuert auf fast drei Millionen Arbeitslose zu, doch das eigentliche Problem liegt laut Bundesagentur-Chefin Andrea Nahles...

DWN
Finanzen
Finanzen Inflation bleibt im November bei 2,3 Prozent stabil
28.11.2025

Auch im November hat sich die Teuerungsrate in Deutschland kaum bewegt: Die Verbraucherpreise lagen wie schon im Vormonat um 2,3 Prozent...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Koalition erzielt Kompromisse bei Rente, Autos und Wohnungsbau
28.11.2025

Nach langen Verhandlungen haben CDU, CSU und SPD in zentralen Streitfragen Einigungen erzielt. Die Koalitionsspitzen verständigten sich...

DWN
Politik
Politik Zeitnot, Lücken, Belastung: Schulleitungen schlagen Alarm
28.11.2025

Deutschlands Schulleiterinnen und Schulleiter stehen nach wie vor unter hohem Druck: Laut einer Umfrage der Bildungsgewerkschaft VBE sind...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Datenschutz oder Fortschritt? Der Balanceakt zwischen Sicherheit und Innovation
28.11.2025

Die DSGVO sollte Vertrauen schaffen – doch sie ist für viele Unternehmen zur Innovationsbremse geworden. Zwischen Bürokratie,...