Angesichts der rasant gestiegenen Preise ist die Europäische Zentralbank EZB in der Endphase des Bundestagswahlkampfs ins Kreuzfeuer der Kritik geraten. Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet (CDU) zeigte sich "alarmiert", dass die Teuerung Ersparnisse und Renten "massiv" schmälere. Im August waren die Preise mit 3,9 Prozent so stark gestiegen wie seit fast 28 Jahren nicht mehr.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder brachte die Idee einer Inflationsbremse ins Spiel. Er forderte die Währungshüter auf, spätestens bei fünf Prozent die Reißleine zu ziehen. Bereits zuvor hatte CDU-Wirtschaftsexperte Friedrich Merz den Ton gesetzt und der Notenbank in Frankfurt eine Abkehr vom laxen Kurs bei anhaltend hohem Preisauftrieb nahegelegt.
CSU-Chef Söder hat die Forderung nach einer Obergrenze für den Preisanstieg in die Debatte geworfen. Diese Inflationsbremse sei eine "gemeinsame Aufgabe der europäischen Staaten und der EZB". Oppositionspolitiker Marco Buschmann (FDP) sieht die Politik in der Pflicht, dem "sozialen Problem" Inflation etwas entgegenzusetzen. "Gut, dass das auch Markus Söder erkennt. Nur: Warum hat die CSU nicht längst gehandelt?", sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion jüngst.
Bundesbank warnt vor hoher Inflation
Die Breitseiten der Unions-Granden lassen aufhorchen, denn die Europäische Zentralbank (EZB) ist unabhängig und fährt ihren geldpolitischen Kurs ohne jegliches Mitspracherecht der Politik. Dies gilt auch für die Bundesbank, die ausdrücklich unabhängig von Weisungen Dritter agiert - seien es Landespolitiker oder auch die Bundesregierung. Ökonomen sehen Zwischenrufe zur Korrektur der Geldpolitik im Wahlkampf vor diesem Hintergrund kritisch. Es gelte, die Unabhängigkeit der Zentralbank zu respektieren, mahnt Ifo-Chef Clemens Fuest. Sie habe in ihrer Kernaufgabe, den Geldwert stabil zu halten, bislang "einen guten Job" gemacht. Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, pflichtet bei: "Es gibt keinen Grund zur Panik bei der Inflationsentwicklung."
EZB-Chefin Christine Lagarde will nicht am Nullzins rütteln. Sie erwartet, dass das mit der Pandemie aufgetauchte Inflationsgespenst wieder verschwindet, wenn die Krise ausgestanden ist. Doch kurzfristig könnte noch mehr Inflationsdruck entstehen als bislang erwartet, warnte ihr Vize Luis de Guindos jüngst. Dies gelte für den Fall, dass durch Lieferkettenprobleme ausgelöste Materialengpässe etwa bei Mikrochips und Halbleitern anhielten.
Selbstverständlich hat Lagarde gar keine andere Möglichkeit als zu hoffen, dass sich die Inflation wieder beruhigt, da sie die laxe Geldpolitik nicht mehr signifikant zurückfahren kann, ohne eine Staatsschuldenkrise in Teilen Europas und einen Abverkauf an den Aktien- und Anleihemärkten auszulösen.
Zudem hatte es aus dem Umfeld der Bundesbank in den vergangenen Tagen mehrfach Warnungen vor einer dauerhaft höheren Inflation gegeben. Erst meldete sich der frühere Präsident Axel Weber zu Wort, dann äußerte sich auch der amtierende Bundesbank-Präsident Jens Weidmann zu den Aussichten.
Tarifrunden könnten entscheidend sein
Ein banger Blick der Europäischen Zentralbank (EZB) gilt auch den Tarifrunden. Wenn die Arbeitnehmer in naher Zukunft kräftige Lohnsteigerungen durchsetzen können, könnte sich der Preisauftrieb verfestigen. Bislang sind laut EZB-Vize De Guindos kaum Auswirkungen der hohen Inflation auf die Lohnrunden zu sehen. "Das könnte sich im Herbst ändern, wenn viele Tarifverhandlungen anlaufen", sagte der Spanier in einem Presseinterview. Die EZB werde dies wachsam verfolgen. Laut der deutschen EZB-Direktorin Isabel Schnabel erwarten die Bürger nun eine kräftigere Preisdynamik, was die zukünftige Lohndynamik verstärken könne.
Hierzulande fordern die Gewerkschaften Verdi sowie DBB-Beamtenbund und Tarifunion für den Öffentlichen Dienst der Länder fünf Prozent mehr Lohn und Gehalt. Am 8. Oktober startet die erste Verhandlungsrunde für die rund 1,1 Millionen Tarifbeschäftigten. Das Ergebnis soll dann laut Verdi auch auf die 1,2 Millionen Beamten übertragen werden.
Laut dem Tarifpolitik-Experten Hagen Lesch vom arbeitgebernahen Institut IW stehen die Verhandlungen noch unter dem Eindruck der Pandemie. "Wenn wir die Krise hinter uns gelassen haben, erwarte ich eine expansivere und dann auch aggressivere Lohnpolitik." Die Arbeitnehmervertreter würden dann wohl darauf verweisen, dass sie während der Krise lange stillgehalten und zwar Corona-Prämien, aber oft keine strukturellen Prämien erhalten haben. Bei guter Konjunktur und durch solche Nachholeffekte sei nicht auszuschließen, dass die Lohnpolitik inflationstreibend wirke. Derzeit ist Deutschland nach Ansicht von DIW-Chef Marcel Fratzscher aber von einer Lohn-Preis-Spirale meilenweit entfernt.