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Finanzexperte Max Otte: Die Inflation wird anhalten - und könnte sogar noch steigen

Lesezeit: 6 min
09.01.2022 12:59  Aktualisiert: 09.01.2022 12:59
Max Otte im Gespräch mit DWN-Chefredakteur Hauke Rudolph: Der Ökonom, Finanzexperte und Buchautor gibt einen Ausblick auf die die zukünftige Entwicklung der Inflation, die Maßnahmen der Zentralbanken und die Wirtschaftspolitik der Staaten.
Finanzexperte Max Otte: Die Inflation wird anhalten - und könnte sogar noch steigen
Max Otte. (Foto: dpa)

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Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Herr Prof. Otte, wie beurteilen Sie die Arbeit von EZB und FED? Wie lange können die beiden Zentralbanken ihre Politik des billigen Geldes noch aufrechterhalten?

Max Otte: Das geht noch eine Weile. Allerdings befinden wir uns jetzt schon in einer Transformation des Wirtschafts- und Geldsystems, so dass diese Frage, die immer wieder gestellt wird, es so nicht ganz trifft. Dazu muss ich etwas weiter ausholen.

Die Krisenbekämpfung verlief bislang in drei Stufen. Zunächst kam die Politik des billigen Geldes und der Niedrigzinsen. Diese Ära läutete der damalige US-Notenbank-Chef Alan Greenspan schon 1987 ein. Auch die Finanzkrise 2008 wurde primär durch billiges Geld, ergänzt durch Bankenrettungen, bekämpft. Dann kamen die Negativzinsen, die 2014 von der Skatbank zum ersten Mal auch für vermögende Privatkunden eingeführt wurden, nachdem die EZB sie vorher schon für die Guthaben der Geschäftsbanken bei der EZB erhoben hatte. Schon die Negativzinsen haben ein stark zwangswirtschaftliches Element. Während meines Studiums der VWL in Köln und an der Princeton University in den USA hätte ich wohl einen Professor, der über Negativzinsen doziert, nicht ganz ernst genommen.

Die Geldpolitik ist ein "weiches" Instrument. Billiges Geld muss dazu führen, dass Kredite aufgenommen werden, damit der Wirtschaftskreislauf belebt wird. Das geschah in den letzten Jahrzehnten in gewissem Ausmaß. Allerdings haben die Niedrigzinsen vor allem die Haushalte der teilweise hoch verschuldeten Staaten entlastet. Und die Vermögenden nahmen Kredite auf, um weitere Vermögenswerte wie Aktien und Immobilien zu erwerben. Die Sparer hatten das Nachsehen. In meinem Buch "Investieren statt Sparen" habe ich den jährlichen Vermögensverlust durch Niedrigzinsen für die deutschen Sparer mit 80 bis 120 Milliarden Euro berechnet. Seitdem hat sich die Situation verschlimmert.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Und was ist die dritte Stufe?

Max Otte: Schon in der Finanzkrise kam zur Geldpolitik die Fiskalpolitik hinzu - das heißt, die direkten Staatsausgaben. Diese müssen auch durch Steuern oder Schulden finanziert werden, aber sie sind direkt ausgabenwirksam und wirken damit sofort belebend auf die Konjunktur. Grundsätzlich können solche Ausgaben auf zweierlei Weise getätigt werden: einmal breit verteilt an viele Bürger. So ist zum Beispiel das Kurzarbeitergeld in der Finanzkrise oder auch jetzt in der COVID-Krise eine Art Helikoptergeld, das an viele Menschen geht. Zweitens kann die Fiskalpolitik auch durch spezielle ausgabenwirksame Programme wie z.B. den "Green New Deal" der EZB oder das Infrastrukturprogramm in den USA eingreifen. So hat die Bundesregierung in dieser Pandemie einen fiskalischen Impuls von 20 Prozent des BIP über zwei Jahre gesetzt. Das ist sehr viel.

Jetzt kommt eine vierte Stufe hinzu.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Welche ist das?

Max Otte: Zunächst einmal möchte ich darauf hinweisen, dass Geld- und Fiskalpolitik als Instrumente schon lange bekannt sind. Nach der Stagflation der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts war die Fiskal- oder Nachfragepolitik durch staatliche Konjunkturprogramme diskreditiert; man wandte sich der Angebotspolitik, also der Verbesserung der Produktions- und Standortfaktoren zu. Nun kommt die Fiskalpolitik mit Wucht zurück, weil die Geldpolitik nicht mehr wirkt. Aber auch das reicht nicht mehr.

Wir führen deshalb mittlerweile Mechanismen der staatlichen Wirtschaftslenkung und Zentralverwaltungswirtschaft ein. Die Fed kann zum Beispiel direkt Kredite an Unternehmen vergeben. Die EZB wird folgen, verlässt ihr geldpolitisch ausgerichtetes Mandat und will zum Beispiel Kredite auch nach "grünen" Kriterien vergeben. Was das dann sein wird, hängt von der Willkür der jeweiligen EZB-Beamten ab.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Für wie wahrscheinlich halten Sie einen Börsen-Crash? Eine Korrektur?

Max Otte: Eine Korrektur kann immer kommen, auch unerwartet. Die beiden letzten Male - beim Corona-Crash Anfang 2020 und bei der scharfen Korrektur Ende 2018 - haben wir aber beide Male einen V-förmigen Verlauf der Börsen gesehen. Das ist auch beim nächsten Mal wahrscheinlich, denn die Notenbanken und die Staaten greifen, wie oben beschrieben, mittlerweile auch zu harten zwangs- oder staatswirtschaftlichen Maßnahmen, um die Wirtschaft am Laufen zu halten.

Deswegen ist das wahrscheinlichste Szenario auch eine Katastrophenhausse, ein "Melt-up" (das Gegenteil eines Crashs, also nicht Panikverkäufe sondern Panikkäufe – Anm. d. Red.). Das Wort "Katastrophenhausse" hat der österreichische Nationalökonom Ludwig von Mises geprägt: es beschreibt einen Zustand, in dem immer mehr Menschen das Vertrauen in das Geldsystem verlieren und in Sachwerte flüchten.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wozu raten Sie Anlegern in der derzeitigen Situation?

Max Otte: Sachwerte, Sachwerte, Sachwerte. Der klassische Sachwert in Deutschland ist die Immobilie. Allerdings sind die Preise schon massiv gestiegen; seit Corona auch in ländlichen Regionen. Zudem sind Sie mit der Immobilie immobil: man kann sie besteuern, Gebühren erheben, die Immobilie mit Zwangshypotheken belegen, und so weiter und so fort. Der größte Vermögens-Vernichter ist das neu gebaute Eigenheim im Grünen: zum einen sind die Baupreise stark gestiegen, und zum anderen ist es nach Einzug gleich mal zehn bis zwanzig Prozent weniger wert, denn es ist dann eben kein Neubau mehr. Immobilien sind daher nicht mein favorisierter Sachwert, obwohl auch ich ein paar habe.

Für mich sind Aktien die Basis des Vermögenserhalts und -aufbaus. Aktien guter Unternehmen sind reale Wirtschaftsgüter wie Immobilien, sie sind direkte Beteiligungen an der Wirtschaft. Es gibt etliche Unternehmen, die gut durch die aktuelle Krise kommen oder sogar von ihr profitieren: Google, Microsoft, aber auch mittelständische deutsche Unternehmen wie Sixt oder Bechtle. Diese Unternehmen werden auch in einigen Jahren noch gute Geschäfte machen. Zudem haben viele Unternehmen Preissetzungsmacht und werden auch mit einer Inflation gut zurechtkommen. Auf solche Unternehmen setzen wir in unseren Fonds. Es ist unser Handwerk, Unternehmen zu finden, die sich auch in diesen Zeiten gut entwickeln werden. Und da gibt es durchaus etliche.

Hinzukommen sollten als Notreserve und Krisenabsicherung die physischen Edelmetalle Gold und Silber, in Höhe von vielleicht fünf bis fünfzehn Prozent des Anlagevolumens. Wer dann noch Geld hat und sich auskennt, kann ja auch selektiv Kunst kaufen.

In meinem Investmentausblick 2021 - 2022 habe ich auf dem Privatinvestor-Tag die Grundsätze der Vermögensaufteilung für die kommende Investmentsaison erläutert.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Welchen Rat haben Sie für diejenigen, die ihr Geld anlegen wollen, aber vor Aktien zurückschrecken?

Max Otte: Um Aktien geht kein Weg herum. Diejenigen, die meinen, dass das Preisniveau zu hoch sein, können vielleicht etwas mehr Edelmetalle kaufen. Und dann den Betrag, den sie für Aktien bereithalten wollen, in drei oder vier Teile aufteilen und alle acht Monate einen Teil diszipliniert investieren, sei es in Einzeltitel oder in Fonds. Steigen die Börsen, sind Sie da.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wie beurteilen Sie die Inflationsaussichten? Glauben Sie, dass der Optimismus von Politik und Zentralbanken nur vorgetäuscht ist?

Max Otte: Ja. Die Inflation muss uns etliche Jahre erhalten bleiben und vielleicht sogar noch steigen. Mittlerweile haben wir in Deutschland Preissteigerungen bei Konsumgütern von über fünf und den USA sogar von über sechs Prozent. In der Inflations- und Stagflationsdekade der 1970er Jahre betrugt die Inflationsrate im Durchschnitt fünf Prozent. Da wären wir also schon wieder.

Die aktuelle Inflation ist übrigens höher als die vier Prozent, die in einem Arbeitspapier des Internationale Währungsfonds bereits 2014 für einen längeren Zeitraum gefordert wurden, um der Schulden Herr zu werden. Aber die Lage hat sich seit 2014 ja auch massiv verschlechtert.

Neben dramatisch steigenden Schulden erleben wir zum ersten Mal seit Jahrzehnten Angebotsschocks und Lieferengpässe. Die Erzeugerpreise, die der allgemeinen Inflation vorauslaufen, stiegen zuletzt um 18 Prozent. Da kommt noch einiges auf uns zu.

Zudem ist die Inflationsbremse der Notenbanken kaputt. Normalerweise würde eine Notenbank Staats- oder Unternehmensanleihen an die Banken verkaufen und so Geld einsammeln. Das können sie aber nicht, da sie auf Papieren von unsoliden Schuldnern sitzen. Wenn sie verkaufen, fallen die Preise dieser Papiere durch den Verkaufsdruck. Das heißt im Umkehrschluss, dass die Zinsen steigen und das die Wirtschaft bremst. Zudem müssten diejenigen Banken, die noch solche Papiere halten, diese teilweise abschreiben. Damit würden Verluste realisiert, die viele Banken und das System insgesamt in Schwierigkeiten bringen könnten.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Die mittel- und nordeuropäischen Länder, die auf finanzpolitische Solidität setzen, als auch die Südländer, für die finanzpolitische Disziplin ein Fremdwort zu sein scheint, haben eine gemeinsame Währung. Ist es Zeit, dass wir uns von der Währungsunion verabschieden? Was wäre eine mögliche Alternative?

Max Otte: Ich habe nach der Eurokrise für einen Austritt der am stärksten betroffenen Länder aus der Eurozone plädiert. Das ist nicht passiert. Stattdessen steckt der Süden Europas in einer tiefen Depression - in vielen Ländern hat das Niveau der wirtschaftlichen Aktivität noch nicht den Stand von 2008 erreicht, die Arbeitslosigkeit und insbesondere die Jugendarbeitslosigkeit ist erschreckend hoch. Wir zementieren diesen Zustand mit hohen Transferleistungen an den Süden. Auch ein DEXIT, ein Austritt Deutschlands aus der Eurozone, wäre machbar, wenn auch kurzfristig mit hohen Belastungen verbunden.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Inwiefern sind die derzeitigen Ereignisse mit dem Great Reset verbunden?

Max Otte: Wenn wir unter dem Great Reset das verstehen, was Klaus Schwab in seinem gleichnamigen Buch beschrieben hat, dann sind diese Vorgänge Teil des Great Reset: der weitgehenden Umstellung der Welt von real auf digital, zunehmender Überwachung und Digitalisierung und auch autoritärer Regierungsformen. Noch Mitte der 2010er Jahre war der Technologische Totalitarismus ein intensiv diskutiertes Thema. Ich habe da zum Beispiel einen Beitrag zu einem von Frank Schirrmacher herausgegebenen Sammelband geschrieben, an dem auch Sigmar Gabriel, Martin Schulz, Matthias Döpfner, Juli Zeh, Sascha Lobo und Shoshanna Zuboff mitwirkten. Heute wird das Thema Technologischer Totalitarismus kaum noch öffentlich diskutiert. Meine Vermutung: er ist ein Stück weit Realität geworden, und man will das heiße Eisen nicht anfassen.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Herr Professor Otte, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Zur Person: Prof. Dr. Max Otte (Jhg. 64) ist promovierter Wirtschafts- und Politikwissenschaftler. Er ist Gründer des „PI Vermögensbildungsfonds“ (WKN: A1J3AM), des „Max Otte Multiple Opportunities Fonds“ (WKN: A2ASSR) sowie des Kapitalanlagebriefs „Der Privatinvestor“. Max Otte ist Autor von über zwanzig Büchern, darunter „Rettet unser Bargeld!“ (2016) sowie „Die Krise hält sich nicht an Regeln. 99 Antworten auf die wichtigsten Fragen nach dem Corona-Crash“ (2021).


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