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Galt Sebastian Kurz´ Loyalität tatsächlich Österreich?

Ernst Wolff analysiert die Karriere von Österreichs ehemaligem Bundeskanzler Sebastian Kurz.
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avtor
29.01.2022 19:08
Aktualisiert: 29.01.2022 19:08
Lesezeit: 4 min
Galt Sebastian Kurz´ Loyalität tatsächlich Österreich?
Ihm öffnen sich immer neue Türen: Sebastian Kurz. (Foto: dpa)

Er kann auf eine steile Karriere zurückblicken: Mit gerade einmal 35 Jahren war Sebastian Kurz bereits Staatssekretär, Außenminister, zweimal Bundeskanzler und mehr als drei Jahre lang (38 Monate) die politische Nummer eins in Österreich.

Eine außergewöhnliche Leistung, sollte man meinen, hinter der sich eine außergewöhnliche Persönlichkeit verbirgt. Schaut man sich Sebastian Kurz allerdings näher an, so reibt man sich verwundert die Augen. Der gebürtige Wiener ist weder schillernd noch charismatisch, und er verfügt weder über herausragende rhetorische Fähigkeiten noch über einen besonderen intellektuellen Hintergrund.

Auch seine frühe Vita enthält nichts Außergewöhnliches. Er hat sich als Schüler und Student nicht hervorgetan, und sein Jurastudium noch vor den Abschlussprüfungen abgebrochen.

Was aber hat diesen Menschen so erfolgreich gemacht? Um das herauszufinden, sollte man nicht auf Sebastian Kurz, sondern auf die Umstände schauen, unter denen er Karriere gemacht und die er wie kein Zweiter für sich genutzt hat.

Der politische Aufstieg

Kurz wurde 2003 im Alter von siebzehn Jahren Mitglied der Jungen Volkspartei (JVP), der Jugendorganisation der bürgerlich-konservativen Österreichischen Volkspartei (ÖVP). 2010 zog er in den Wiener Gemeinderat und Landtag ein und entschied sich im Alter von 24 Jahren für eine Karriere als Berufspolitiker.

Im Juni 2011 katapultierte ihn eine Kabinettsumbildung auf den Posten eines Staatssekretärs im Innenministerium. Von da an ging es rapide bergauf. Nach der Nationalratswahl in Österreich 2013 wurde er im Dezember desselben Jahres mit 27 Jahren jüngster Außenminister in der österreichischen Geschichte.

2017 wählte die ÖVP ihn zum neuen Vorsitzenden. Im Dezember 2017 verließ er das Außenministerium, übernahm das Amt des Bundeskanzlers und ging eine Koalition mit der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) ein.

Was folgte, war die mit 526 Tagen bis dahin kürzeste Amtszeit eines österreichischen Bundeskanzlers. Die Ibiza-Affäre um Vizekanzler Strache führte im Mai 2019 zum Bruch der Regierungskoalition und beendete Kurz’ Regentschaft, nicht aber seine politische Karriere.

Der gestrauchelte Kanzler ließ sich nämlich noch im selben Monat zum Spitzenkandidaten der ÖVP für die Nationalratswahl nominieren, errang einen überraschend klaren Wahlsieg und ging diesmal eine Koalition mit den Grünen ein.

Doch auch die zweite Amtszeit währte nicht lange. Nach 643 Tagen erklärte Kurz aufgrund eines wegen Korruptionsvorwürfen gegen ihn eingeleiteten Ermittlungsverfahrens am 11. Oktober 2021 seinen Rücktritt, beendete seine politische Kariere und verließ das Land.

Die Anpassungsfähigkeit eines Chamäleons

Auffallend am Politiker Kurz waren vor allem seine Anpassungsfähigkeit und seine Bereitschaft, sich populären Trends anzuschließen und sie für sich zu nutzen.

Als Staatssekretär belegte er als erster Amtsinhaber das neugeschaffene Ressort des „Integrationsbeauftragten“. Während er zunächst liberal auftrat und sich als Anhänger der „Willkommenskultur“ ausgab, spürte er schon bald, dass die öffentliche Meinung auf Grund der Verschärfung der Flüchtlingskrise umschlug. Also änderte er seinen Kurs um 180 Grad und mutierte zum Hardliner.

Dass er diese Haltung auch als Außenminister und Kanzler beibehielt, war nicht etwa auf seine innere Überzeugung zurückzuführen, sondern, wie sein Zurückrudern gegenüber der EU später zeigte, allein auf seinen politischen Opportunismus.

Nicht anders verhielt es sich mit seiner Forderung nach einem Ende der Zuwanderung von Ausländern ins österreichische Sozialsystem, mit der er im Wahlkampf viele Anhänger der FPÖ in die Arme der ÖVP lockte. Ihm dürfte von Anfang an bekannt gewesen sein, dass eine derartige Kürzung im Widerspruch zum Grundsatz der EU steht, dass alle EU-Staaten alle Bürger von EU-Staaten gleich zu behandeln haben.

Auch der Schwenk vom Koalitionspartner FPÖ zu den Grünen hatte nichts mit politischen Prinzipien zu tun, im Gegenteil: Kurz nutzte ganz einfach die Prinzipienlosigkeit der Öko-Partei, deren Vertreter bei den Koalitionsverhandlungen nur ein Ziel kannten – endlich in die Regierung einzutreten.

Kurz verstand es auch wie kein Zweiter, die Macht der sozialen Medien zu nutzen und sich immer wieder in Szene zu setzen. Fast schon legendär sind seine Anbiederung an Jungwähler mit dem Slogan „Schwarz ist geil“ und seine Auftritte im „Geilomobil“, mit dem er sich 2010 vor Wiener Nachtclubs ablichten ließ. Der Erfolg der Kampagne machte ihm offensichtlich klar, wie wichtig sein Erscheinungsbild in den Medien war, und veranlasste ihn, sich in den folgenden Jahren stets PR-wirksam zu vermarkten.

Die Akteure im Hintergrund

Trotz Kurz‘ virtuoser Beherrschung moderner Propaganda-Methoden bleibt die Frage: Wie konnte ein so junger Mann einen solch dramatischen Aufstieg erleben und sich in einer derartigen Weise gegen alte erfahrene Politprofis durchsetzen?

Der „Krone“-Journalist Klaus Knittelfelder ist dieser Frage in seinem Buch „Inside Türkis“ (die Farbe, die Kurz der zuvor schwarzen ÖVP in seiner ersten Amtszeit verpasst hatte) nachgegangen und zu dem Ergebnis gekommen, dass hinter Kurz‘ Erfolg vor allem sein engstes Berater-Team steht. Doch auch die geschicktesten Berater können nicht dafür sorgen, dass ein Kandidat derartigen Zuspruch in so vielen Mainstream-Medien findet.

Dazu bedarf es schon einflussreicherer Kräfte im Hintergrund. Und tatsächlich: Die gibt es, und mit ihnen hat Sebastian Kurz als Außenminister im Jahr 2014 Kontakt aufgenommen, als er sich beim World Economic Forum (WEF) in der Schweiz um einen Platz in der Kaderschmiede der Young Global Leaders bewarb.

Tatsächlich wurde er dort angenommen und bekam einen Platz in der „Class of 2016“, in der er zusammen mit dem damaligen französischen Wirtschaftsminister Emmanuel Macron, dem späteren deutschen Gesundheitsminister Jens Spahn, der Anwältin Amal Clooney und dem US-Schauspieler Ashton Kutcher auf künftige Aufgaben vorbereitet wurde.

Die Kaderschmiede des digital-finanziellen Komplexes

Das vom in der Schweiz lebenden deutschen Professor Klaus Schwab 1971 gegründete WEF hat sich in den vergangenen Jahrzehnten zu einer der einflussreichsten Organisationen der Welt entwickelt. Es versammelt alljährlich die reichsten und mächtigsten Menschen der Erde und vernetzt auf diese Weise die globale Elite wie keine andere Organisation.

Auf diese Weise hat das WEF sich zu einer Art Schaltzentrale des digital-finanziellen Komplexes entwickelt, der in unseren Tagen mit Abstand mächtigsten Kraft der Erde. Genau diesem Konglomerat aus den weltgrößten IT-Konzernen und den Vermögensberatungen mit Blackrock und Vanguard an der Spitze hat Sebastian Kurz mit Hingabe gedient.

Das hat sich insbesondere in der Corona-Krise gezeigt, in der er für extrem harte Maßnahmen gegen die österreichische Bevölkerung gesorgt und so der inzwischen vollständig von den IT-Konzernen abhängigen Pharma-Industrie und dem Online-Handel zu gigantischen Gewinnen verholfen und den Mittelstand des Landes in die Knie gezwungen hat.

In seiner kurzen zweiten Amtszeit hat er die österreichische Politik den Interessen des digital-finanziellen Komplexes so stark unterworfen, dass auch seine Nachfolger sich nicht aus den Fängen der neuen globalen Machthaber werden befreien können.

Wie sehr ihm seine Gönner zu Dank verpflichtet sind, zeigte sich nach seinem Rücktritt, als PayPal- und Palantir-Gründer Peter Thiel, neben Elon Musk und Bill Gates eine der Schlüsselfiguren des digital-finanziellen Komplexes, Kurz umgehend einen hochbezahlten Job im Silicon Valley verschaffte.

Das Signal dieser Geste an Politiker und Wirtschaftsführer in aller Welt dürfte eindeutig sein: Wer dem digital-finanziellen Komplex hilft und sich dabei auch noch in besonderer Weise ins Zeug legt, der wird von ihm auch in schweren Zeiten nicht fallen gelassen, sondern reichlich für seine Ergebenheit belohnt.

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Ernst Wolff

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Ernst Wolff, 69, befasst sich mit der Wechselbeziehung zwischen internationaler Politik und globaler Finanzwirtschaft.

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