Politik

DWN-Kommentar Cüneyt Yilmaz: Es entsteht eine wunderschöne bipolare Welt

Der 24. Februar 2022 markierte den Startschuss für die Errichtung einer bipolaren Welt zwischen den USA und Russland. Endlich!
19.03.2022 13:00
Lesezeit: 4 min
DWN-Kommentar Cüneyt Yilmaz: Es entsteht eine wunderschöne bipolare Welt
Es entsteht eine bipolare Weltordnung. (Google Maps/DWN/Cüneyt Yilmaz)

Die Worte in der Überschrift sollten so verstanden werden, wie sie aufgesetzt wurden. In meinen Analysen vor meiner Tätigkeit als Redakteur (seit 2007) plädierte ich durchgehend dafür, dass die gesamte Welt nur dann eine stabile Balance bilden kann, wenn die zwei großen und erfahrenen Player der Weltgeschichte sich aufraffen, um erneut ihrer Verantwortung gerecht zu werden. Es hat zwar lange gedauert, doch offenbar tritt nun das ein, was ich mir erhofft hatte.

Die USA und Russland sind in einem dialektischen Verhältnis endgültig zurück auf dem Schachbrett der Welt – mit ihren Nuklearwaffen, die entscheidend sind, um eine bipolare Balance aufzubauen. Mit einem riesigen Knall hat Moskau unter Billigung Washingtons die Schaffung einer Weltordnung eingeleitet, die sich in einer ähnlichen Form von 1947 bis 1989 bewährt hatte.

Lesen Sie auch: DWN-KOMMENTAR Cüneyt Yilmaz: Darum geht es wirklich im Krieg in der Ukraine

Bereits am 19. September 2020 hatte ich in einem Artikel mit dem Titel „Endkampf zwischen Nationalisten und Globalisten geht in entscheidende Runde“ ausgeführt: „Es gibt sehr viele Hinweise darauf, dass die Welt wie im Kalten Krieg auf eine bipolare Balance zwischen den USA und Russland zusteuert. Zumindest hatte dieses Konzept in der Vergangenheit funktioniert und könnte in einer modifizierten Form erneut zum Einsatz kommen (…) Die EU wird erkennen, dass Freiheit und Demokratie nicht die einzigen Pfeiler sind, auf denen Staaten beruhen können. Die Staaten Kontinentaleuropas werden ihre Rüstungsausgaben nicht nur erhöhen. Es wird auch höchstwahrscheinlich zu einer Militarisierung der Politik und der politischen Rhetorik kommen.“

Dass sogar der ukrainische Präsident Wladmir Selenskij kürzlich davon sprach, dass seit der Invasion der Ukraine eine „Mauer durch Europa“ gehe, bestätigt die Prognose aus dem Jahr 2020. Doch auch in Moskau wird mittlerweile Klartext geredet. Russland und die USA sollten nach Ansicht des russischen Außenministers Sergej Lawrow zu den Grundsätzen der friedlichen Koexistenz während des Kalten Krieges zurückkehren. Das meldete die russische Nachrichtenagentur „Interfax“ Anfang März 2022. Am 8. Februar 2022 titelte sogar das „Wall Street Journal“: „Joe Biden, ein Präsident für den Neuen Kalten Krieg!“ All das sind sehr erfreuliche Nachrichten, die dazu beitragen werden, seit dem Ende des Kalten Kriegs endlich wieder klare Strukturen in der Welt zu schaffen.

Kritiker dürften sich gegen die Entstehung dieser neuen (alten) Weltordnung sträuben, weil sie eigentlich die EU und China als Gründer einer neuen Ordnung eingeplant hatten. Doch diese Idee war von Anfang an eine Totgeburt.

Auch die EU war von Anfang an zum Scheitern verurteilt – und zwar aus zwei Gründen. Erstens war es ein großer Fehler, Großbritannien in die EU aufzunehmen. London hatte sich durch den Nicht-Beitritt zur Währungsunion immer die Option offengehalten, irgendwann aus der EU auszutreten. Und mit dem Brexit hat Großbritannien auch den Zerfall der EU in ihrer jetzigen Form eingeleitet. Die Kontinentaleuropäer haben niemals verstanden, dass Großbritannien kein europäisches Land ist. Briten sind ihrem Selbstverständnis nach nur Briten und die Erben eines großen weltumspannenden Reichs – und keine Kontinentaleuropäer.

Der einzige Staatsmann in Europa, der das verstanden hatte, war Charles de Gaulle. „Colonel Motors“, wie er genannt wurde, legte im Jahr 1963 sein Veto gegen die Aufnahme Großbritanniens gegen die damalige EWG ein. Er argumentierte, dass Großbritannien den damals sechs Ländern des Blocks „seine eigenen Bedingungen auferlegen“ wolle. Der „Insular“-Charakter des Inselstaates jenseits des Ärmelkanals habe eine wirtschaftspolitische „Struktur“ geschaffen, die sich „grundlegend“ von „der der Kontinentaleuropäer“ unterscheide. Hätten die Kontinentaleuropäer auf de Gaulle gehört, wäre der Startschuss für den Niedergang der EU im Jahr 2020 ausgeblieben.

Der zweite Fehler lag in der Tatsache, dass die Türkei nicht als EWG-Gründungsmitglied fungieren konnte und wollte. Die EWG wurde im Jahr 1957 gegründet. Damals regierte in der Türkei die Demokratische Partei (DP) unter Premier Adnan Menderes. Seine außenpolitische Ausrichtung neigte in Richtung der USA. Er war kein Verfechter der europäischen Integration der Türkei, sondern wollte eine Allianz zwischen den USA und der Türkei schmieden. Kontinentaleuropa und Großbritannien stand er reserviert gegenüber.

Wenn die Türkei tatsächlich eines der Gründungsmitglieder der EWG gewesen wäre, wäre es möglich gewesen, die europäische Geschichte neu zu schreiben. Denn die Kombination aus einer aufkommenden Wirtschaftsmacht (Deutschland), einer aufkommenden Atommacht (Frankreich) und einer aufkommenden konventionellen Militärmacht (Türkei) mit Zugang zu den wichtigsten Energiegebieten der Welt hätte sowohl die USA als auch die Sowjetunion früher oder später in die Schranken weisen können, weil es im Rahmen dieser Kombination auch möglich gewesen wäre, irgendwann eine europäische Armee (Stichwort: PESCO) aufzubauen. Doch in den Folgejahrzehnten sollten die kontinentaleuropäisch-türkischen Beziehungen niemals unter einem guten Stern stehen.

Darüber hinaus hatten die Politikmacher in Ankara kein Interesse daran, sich den Gesetzen und Bestimmungen der Brüsseler Bürokraten zu unterwerfen, weshalb die verschiedenen Regierungen in Ankara außenpolitisch in Richtung der USA ausschwenkten. Die türkische Außenpolitik ist aktuell gekennzeichnet durch einen Balanceakt zwischen den USA und Russland, was auch in Zukunft der Fall sein wird. Zwischen diesen beiden Mächten dürfte die Türkei aller Wahrscheinlichkeit nach als „Scharnier“ der bipolaren Ordnung agieren.

Fazit: Am 24. Februar 2022 sind die Würfel endgültig gefallen. Als globale Gewinner mache ich die USA und Russland aus. Die globalen Verlierer sind die von Energieträgern abhängigen großen Volkswirtschaften Chinas und der EU.

Im Rahmen der neuen bipolaren Ordnung zwischen Washington und Moskau dürfte jede Seite ihren Anteil an „Bündnispartnern“ bekommen. Welches europäische Land, in welches Lager fällt, werden die betroffenen Länder nicht selbst entscheiden dürfen.

Diese Entscheidung obliegt den beiden „Großen“ – genau wie im Februar 1945 in Jalta.

(Nachtrag: Wer möchte, kann natürlich weiterhin dem US-Präsidenten Biden Senilität und dem russischen Präsidenten Putin psychische Störungen vorwerfen. Jeder sieht nur das, was er sehen will!)

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Technologie
Technologie BradyPrinter i7500: Revolution im Hochpräzisionsdruck

Sie haben genug vom altmodischen Druck großer Etikettenmengen? Keine Kalibrierung, keine Formatierung, kein umständliches Hantieren mit...

X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

avtor1
Cüneyt Yilmaz

                                                                                ***

Cüneyt Yilmaz ist Absolvent der oberfränkischen Universität Bayreuth. Er lebt und arbeitet in Berlin.

DWN
Technologie
Technologie Arbeitsmarkt: Top-Berufe, die es vor 20 Jahren noch nicht gab
31.03.2025

Eine Studie von LinkedIn zeigt, wie Künstliche Intelligenz (KI) neue Jobs und Fähigkeiten schafft, Karrieren und Arbeitswelt verändert:...

DWN
Finanzen
Finanzen Commerzbank-Aktie: Kurs knickt nach Orcel-Aussage deutlich ein
31.03.2025

Die Commerzbank-Aktie muss nach einer starken Rallye einen Rückschlag hinnehmen. Unicredit-Chef Andrea Orcel hatte zuvor einen möglichen...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft EU vor Herausforderungen: Handelskriege könnten die Wirtschaft belasten – der Ausweg heißt Binnenmarkt
31.03.2025

Die protektionistischen Maßnahmen der USA und mögliche Handelskonflikte belasten die EU-Wirtschaft. Experten wie Mario Draghi fordern...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Betonblock: Lego verklagt Hersteller von Anti-Terror-Betonklötzen
31.03.2025

Lego verklagt das niederländische Unternehmen Betonblock. Die Anti-Terror-Blöcke des Herstellers erinnerten zu sehr an die...

DWN
Technologie
Technologie Neue EU-Vorschriften: Plug-in-Hybriden drohen deutlich höhere CO2-Emissionen
31.03.2025

Mit der Einführung neuer, verschärfter Emissionsmessungen für Plug-in-Hybride (PHEVs) wird die Umweltbilanz dieser Fahrzeuge erheblich...

DWN
Politik
Politik Marine Le Pen wegen Veruntreuung zu Fußfesseln verurteilt - FN-Chef Bardella: "Hinrichtung der französischen Demokratie"
31.03.2025

Marine Le Pen wurde in Paris wegen der mutmaßlichen Scheinbeschäftigung von Mitarbeitern im Europaparlament schuldig gesprochen - das...

DWN
Technologie
Technologie Balkonkraftwerk mit Speicher: Für wen sich die Investition wirklich lohnt
31.03.2025

Balkonkraftwerk mit Speicher: eigenen Strom gewinnen, speichern und so Geld sparen. Doch so einfach ist es leider nicht, zumindest nicht...

DWN
Finanzen
Finanzen US-Börsen: Der Handelskrieg gefährdet die US-Ausnahmestellung
31.03.2025

Da Investitionen nach neuen Möglichkeiten abseits der zuletzt florierenden US-Finanzmärkte suchen, wird an der Wall Street diskutiert, ob...