Deutschland

Gefährlicher Blindflug: Habeck hat keinen Plan, wie es nach einem Öl-Embargo weitergehen soll

Die Debatte um die Zukunft der Raffinerie in Schwedt deckt auf: Die Bundesregierung hat keinen stringenten Plan, wie es nach einem Öl-Embargo weitergeht, sondern nimmt offenbar schwere Schäden für die Industrie und die Sicherheit des Landes in Kauf.
11.05.2022 11:00
Aktualisiert: 11.05.2022 11:05
Lesezeit: 4 min
Gefährlicher Blindflug: Habeck hat keinen Plan, wie es nach einem Öl-Embargo weitergehen soll
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) spricht mit der Belegschaft der PCK Raffinerie vor dem Hintergrund des geplanten Öl-Embargos der EU gegen Russland. (Foto: dpa) Foto: Monika Skolimowska

Mit Blick auf das drohende Öl-Embargo gegen Russland versuchte der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck am Montag, Mitarbeitern der in ihrer Existenz bedrohten PCK-Raffinerie Schwedt Mut zuzusprechen: Trotz des geplanten EU-Ölembargos gegen Russland soll die Anlage mit rund 1.200 Beschäftigten eine Zukunft haben. Und die aus Schwedt versorgten Tankstellen in Ostdeutschland sollen auch künftig Sprit bekommen, versprach der Minister nach Angaben der dpa.

Im Unternehmen stiften die Embargopläne von Bundesregierung und Europäischer Union aber aus zwei Gründen große Unruhe: Die Raffinerie wird bisher vollständig mit russischem Öl beliefert - und sie hat einen russischen Betreiber, den Staatskonzern Rosneft. Zur Betriebsversammlung mit Habeck kamen die Beschäftigten so zahlreich, dass sie nach draußen verlegt wurde.

Auf der Terrasse stieg Habeck mit dem Mikrofon in der Hand auf einen Tisch, um besser gehört zu werden. Und er schlug einen verständnisvollen Ton an: „Ich will Sie nicht verkackeiern und Ihnen auch nicht irgendwie den Himmel rosarot malen. Es kann sein, dass es an irgendeiner Stelle hakt, es kann sein, dass irgendwas nicht funktioniert.“ Aber wenn sein Plan aufgehe, dann habe das Werk Zukunft und Perspektive.

Habeck sprach von drei Elementen, die zusammenkommen müssten, um eine Schließung der PCK-Raffinerie Schwedt und einen daran anschließenden Energie-Kollaps großer Teile Ostdeutschlands zu verhindern: Die Vorbereitungen für neue Öllieferungen aus anderen Ländern über Schiffe via Rostock; Finanzhilfen des Bundes für mögliche Mehrkosten nach der Umstellung - denn das Öl aus anderen Quellen ist teurer; und eine mögliche Treuhandstruktur anstelle des bisherigen Betreibers Rosneft. „Wenn alles drei klappt, dann haben Sie eine Jobsicherheit für die nächste Zeit“, behauptete Habeck (!).

Nach Habecks Vorstellungen soll Tankeröl in Rostock und Danzig angelandet und über Pipelines in die riesige Anlage an der deutsch-polnischen Grenze gebracht werden. Langfristig könnte sich PCK dann weiterentwickeln hin zu Wasserstoffen - denn wegen der Klimawende sei ja ohnehin eine Abkehr von fossilen Brennstoffen nötig, sagte Habeck.

Unrealistische Annahmen

Nun ist es aber offenbar so, dass eine Versorgung der Raffinerie über den Hafen Rostock mit anschließendem Transport des Öls über Pipelines nach Schwedt überhaupt nicht machbar ist, so zumindest die Einschätzung von Experten, die vom Nachrichtenportal Tichy‘s Einblick zitiert werden. Dort heißt es :

Der stellvertretende Leiter der ifo-Niederlassung Dresden, Prof. Dr. Joachim Ragnitz, schätzt, dass die im Welthandel üblichen Tanker zu groß für den Rostocker Hafen sind. Daher müsste das Öl in Rotterdam in kleinere Schiffe umgepumpt werden. „Das zweite Problem, das ich sehe, ist, dass die Kapazität der Pipeline nicht ausreicht, um dort sowohl Schwedt als auch Leuna mitzubeliefern.“ Die Raffinerie in Leuna versorgt circa 1300 Tankstellen in Sachsen-Anhalt, Thüringen und Sachsen mit Benzin, zudem benötigt die Chemieindustrie in Mitteldeutschland Erdöl.

Größere Schiffe könnten zwar in Danzig anlegen, doch müsste dann über Umwege das Öl in die Pipeline Druschba gepumpt und so nach Schwedt und Leuna transportiert werden. Abgesehen davon, dass darüber mit Polen Verträge geschlossen werden müssen, die sicher nicht zum Nulltarif zu haben sind, wäre dieses Verfahren extrem aufwändig. Zu recht betont daher der Düsseldorfer Ökonom Jens Südekum: „Ersatz für das russische Öl gibt es nur zu höheren Preisen.“ Zu wesentlich, zu empfindlich höheren Preisen.

Offenbar ist dies auch Habeck selbst bewusst. So warnte der Minister die Deutschen kürzlich vor dauerhaft höheren Energiepreisen und Wohlstandsverlusten.

Wie unsicherheitsbehaftet Habecks Vision für Schwedt, Leuna und ganz Ostdeutschland nach einem Öl-Boykott ist, beschreibt Klaus-Rüdiger Mai in seinem Artikel auf Tichy‘s Einblick:

Zur Not, versuchte Habeck zu beruhigen, stünde noch die nationale Erdölreserve in Wilhelmshaven zur Verfügung, die für drei Monate reicht. Man sieht, der Energieminister plant langfristig. Habecks Plan für Schwedt sieht also vor, Öl durch Schiffe in Rostock und Danzig anzuliefern, notfalls die nationale Erdölreserve einzusetzen und die Raffinerie Schwedt, die Rosneft gehört, enteignen zu lassen, um die Verarbeitung umzustellen, da sich russisches Öl von Erdöl aus dem Nahen Osten unterscheidet. Wie viele Unsicherheiten der Plan hat und auf welch wackligen Beinen er steht, wird in Habecks Rede immer wieder deutlich. Der Minister stellt sich vor, das Öl so zu mischen, dass es in der PCK-Raffinerie verarbeitet werden kann. Und räumt ein, dass es technisch, also auf dem Papier, also in der Theorie gehen müsste. Des Utopisten Imperativ ist der Konjunktiv.

„Political Correctness“: PCK-Mitarbeiter riechen den Braten

Die brandenburgische Landesregierung befürchtet allerdings, dass die Lieferungen für Schwedt aus neuen Quellen nur bis zu 70 Prozent der bisherigen Leistung ausmachen würden. Beim Termin mit Habeck in Schwedt forderte Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD): „Die Versorgung muss funktionieren. Wir reden hier über kritische Infrastruktur.“ PCK-Chef Ralf Schairer versicherte: „Wir tun alles, um unseren Weiterbestand zu sichern.“

Die Belegschaft hörte sich Habecks Rede in Ruhe an. Anschließend gab es aber einige kritische Stimmen. Eine Mitarbeiterin forderte, die Druschba-Pipeline, die Schwedt mit russischem Öl versorgt, aus dem geplanten EU-Embargo herauszunehmen. „Es wird nicht funktionieren.“

Ein Beschäftigter, der seit 27 Jahren bei PCK ist, nannte die Entscheidung falsch, aus „political correctness“ auf russisches Öl zu verzichten. Hintergrund für die EU-Sanktionen ist der russische Angriffskrieg in der Ukraine. Habeck hielt dagegen, dass das Embargo mit großer Sicherheit komme. Der Belegschaft rief der Minister zu: „Wenn Sie eine bessere Idee haben - her damit.“

Russlands Fußabdruck im deutschen Ölmarkt

Sebastian Becker skizziert die Bedeutung russischen Erdöls und der Raffinerie in Schwedt für den deutschen Markt in einem Artikel für das Portal Altersvorsorge neu gedacht folgendermaßen: „PCK Schwedt versorgt nach eigenen Angaben Berlin und Brandenburg zu 90 Prozent mit Treibstoff. Wenn die Lieferungen aus Russland ausbleiben, dann steht der öffentliche Verkehr in der deutschen Hauptstadt still. Und dann können die Mitglieder der Bundesregierung nicht mehr in ihren Dienstfahrzeugen zur Arbeit fahren. Die Fabrik garantiert dem Land Brandenburg zudem wichtige Steuereinnahmen. (...) Dabei ist PCK Schwedt, das pro Jahr 11,6 Millionen Tonnen Rohöl verarbeitet, nicht die einzige Raffinerie in Deutschland, an der sich die Russen engagieren. Darüber hinaus hält Rosneft einen gewichtigen Minderheitsanteil von 28,57 Prozent an Bayernoil, das 10,3 Millionen Tonnen pro Jahr produziert. Zusätzlich engagiert sich der Staatskonzern bei der westdeutschen Mineralölraffinerie Oberrhein (Miro) mit einem Aktienpaket von 24 Prozent. Damit kontrolliert Rosneft insgesamt einen Anteil am deutschen Markt für Ölverarbeitung von 12 Prozent. Dabei nimmt es den dritten Rang ein – und liegt folglich auf einem gewichtigen Platz.“

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