Wirtschaft

Zweitgrößter Weizen-Produzent der Welt stoppt den Export

Der zweitgrößte Weizenproduzent der Welt stellt die Ausfuhren ein - mit weitreichenden Folgewirkungen.
16.05.2022 11:00
Aktualisiert: 16.05.2022 11:28
Lesezeit: 3 min
Zweitgrößter Weizen-Produzent der Welt stoppt den Export
Ein Landwirt erntet Weizen. (Foto: dpa) Foto: Raminder Pal Singh

Der weltweit zweitgrößte Weizenproduzent Indien hat den Export des Getreides mit sofortiger Wirkung verboten. Die Entscheidung sei angesichts des plötzlichen Anstiegs der weltweiten Weizenpreise getroffen worden, wodurch die Lebensmittelsicherheit Indiens gefährdet sei, teilte die Exportbehörde des Landes am späten Freitagabend mit.

Erst kürzlich hatten Indiens Premierminister Narendra Modi und andere Vertreter der indischen Regierung verkündet, angesichts eines drohenden Weizenmangels auf dem Weltmarkts im Zuge des Ukraine-Kriegs zu helfen und deutlich mehr Weizen zu exportieren. Die Ukraine und Russland sind beides große Weizenexporteure. Zuletzt gab es wegen des Krieges Lieferengpässe und Preisanstiege. Indische Weizenexporteure hatten seit Kriegsbeginn Exportabkommen mit Ländern wie Ägypten und der Türkei geschlossen, sagte der Chef der Agricultural and Processed Food Products Export Development Authority Tarun Bajaj.

Dann kam aber die aktuelle Extremhitze in Indien dazwischen. Diese verringere die Weizenernte um knapp sechs Prozent, hieß es aus dem Department of Food & Public Distribution. Auch warnten mehrere Ökonomen vor einer möglichen Weizenkrise im Inland.

Indien produziert am zweitmeisten Weizen nach China - rund 100 Millionen Tonnen pro Jahr. Bislang hat Indien kaum etwas davon exportiert. Das zweitbevölkerungsreichste Land mit mehr als 1,3 Milliarden Menschen benötigt selbst viel Weizen. Die Regierung kauft jeweils große Mengen ein, um unter anderem die arme Bevölkerung im Land zu versorgen. Bislang hatten Bauern kaum Anreize, an Exporteure zu verkaufen, da ihnen die Regierung einen subventionierten Preis zahlte, der damals höher als der Weltmarktpreis war.

Ein verschärfter Angebotsengpass treibt den Weizenpreis in Europa indes auf ein Rekordhoch. Der Terminkontrakt steigt um 5,1 Prozent auf 431,75 Euro je Tonne. Getrieben wird die aktuelle Rally vom indischen Verbot für den Export von Weizen. Diese Entscheidung verkompliziere die schwierige Lage auf dem Weltmarkt, schreiben die Analysten der Beratungsfirma Agritel.

"Brot für die Welt" verteidigt Exportstopp

Die Hilfsorganisation "Brot für die Welt" hat Verständnis für Indiens Exportverbot für Weizen geäußert. "Es ist nur gerechtfertigt, wenn die indische Regierung Hunger im eigenen Land durch einen Ausfuhrstopp verhindern will", sagte Francisco Marí, Welternährungsreferent beim evangelischen Hilfswerk, der Tageszeitung "taz" (Montag). Sonst würde der Staat zu wenig Getreide kaufen können, um 500 Millionen arme Inder mit subventioniertem Weizen zu versorgen. Denn Exporteure zahlten den Landwirten wegen der hohen Weltmarktpreise derzeit viel mehr als die Regierung. "Das gefährdet das sehr sensible System, das Indien in den letzten 10, 15 Jahren aufgebaut hat, um sich nicht abhängig zu machen vom Weltmarkt."

Die G7 könnten selber Millionen Tonnen an Weizen zusätzlich zur Verfügung stellen, indem sie zum Beispiel weniger Getreide als Kraftstoff verheizen oder verfüttern würden, sagte Marí angesichts der Kritik der Industrieländer an Indiens Vorgehen. Zudem sollten die G7-Staaten darauf hinweisen, dass Russland trotz der Sanktionen weiter Getreide exportieren dürfe. Solche Signale an die Märkte könnten die Preise senken, da eigentlich genug Getreide auf den Markt komme. Marí rief dazu auf, Ländern wie Tunesien und Ägypten schnell und unbürokratisch zu helfen, wenn diese das wünschten.

Die Entscheidung der Regierung in Neu-Delhi fällt in eine Zeit, in der sich ohnehin seit Monaten größere Hungersnöte anbahnen. So warnten die Vereinten Nationen bereits im vergangenen Jahr vor Hungerkrisen in zahlreichen Ländern - lange bevor es zum Krieg in der Ukraine kam.

Jemen warnt vor Hungersnot

Der größte Weizenimporteur im Jemen hat angesichts explodierender Preise vor einer "katastrophalen Hungersnot" in dem Stellvertreterkriegsland gewarnt. Ohne rasches Handeln würden Hunderttausende Menschen innerhalb weniger Monate extremen Hunger leiden, teilte der jemenitische Konzern HSA Group am Montag mit. "Wenn wir allein arbeiten, können wir nicht versprechen, dass sich eine Katastrophe in den kommenden Monaten abwenden lässt", sagte HSA-Geschäftsführer Nabil Hajil Sajid Anam.

Im Jemen, wo seit sieben Jahren ein von externen Akteuren angefachter Bürgerkrieg tobt, haben nach Angaben des Welternährungsprogramms (WFP) bis zu 19 Millionen Menschen nicht genug zu essen. Dieses Jahr will das WFP Millionen unter anderem mit Mehl, Hülsenfrüchten, Öl, Zucker, Salz oder Bargeld unterstützen. Das Land importiert etwa 90 Prozent seiner Lebensmittel. Eine entscheidende Rolle spielen dabei Unternehmen, die auch Hilfsprogramme wie die des WFP beliefern.

Nach der russischen Invasion in der Ukraine waren die Preise für Weizen auf den höchsten Stand seit 14 Jahren gestiegen. Indiens jüngstes Exportverbot für Weizen hat die Lage noch verschärft. Schon vor dem Ukraine-Krieg waren die Preise für Lebensmittel im Jemen laut WFP im Jahr 2021 um etwa 120 Prozent gestiegen.

Jemenitische Weizen-Importeure müssten am Weltmarkt bevorzugten Zugang erhalten, forderte die HSA Group. Ein Notfallfonds sowie ein Programm zur Finanzierung von Importen müsse außerdem helfen, die starke Entwertung der örtlichen Währung abzufangen. Ende 2020 hatte der Rial bereits 250 Prozent seines Werts verloren gegenüber der Zeit vor Beginn des Bürgerkriegs im Jahr 2015.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Finanzen
Finanzen EU-Vermögensregister und Bargeldbeschränkungen: Risiko für Anleger

Das EU-Vermögensregister gehört derzeit zu den größten Risiken für Anleger. Daher ist es wichtig, sich jetzt zu überlegen, wie man...

DWN
Technologie
Technologie Wäschetrockner: Neues Energie-Label einfach erklärt
06.07.2025

Seit dem 1. Juli gelten für Wäschetrockner strengere Energiekennzeichnungen. Verbraucher sollen Geräte nun besser vergleichen können....

DWN
Unternehmen
Unternehmen Praktika und Probearbeiten: Rechte, Pflichten und Fallstricke für Berufseinsteiger
06.07.2025

Viele Praktikanten kennen ihre Rechte nicht – und riskieren, ausgenutzt zu werden. Was wirklich erlaubt ist, wann Praktika bezahlt werden...

DWN
Technologie
Technologie Lithium: Schlüssel zur technologischen Unabhängigkeit – doch der Rohstoff ist knapp
06.07.2025

Lithium ist der Treibstoff moderner Technologien – von E-Autos bis Energiewende. Doch was passiert, wenn die Nachfrage explodiert und das...

DWN
Politik
Politik Rückkehr der Wehrplicht trotz Wirtschaftsflaute? Nato-Ziele nur mit Pflicht zum Wehrdienst möglich
05.07.2025

Die Nato drängt: „Um der Bedrohung durch Russland zu begegnen“, hat die Nato ein großes Aufrüstungsprogramm beschlossen. Doch wie...

DWN
Unternehmen
Unternehmen KI-Schäden: Wenn der Algorithmus Schaden anrichtet – wer zahlt dann?
05.07.2025

Künstliche Intelligenz entscheidet längst über Kreditvergaben, Bewerbungen oder Investitionen. Doch was passiert, wenn dabei Schäden...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Made in Germany: Duale Berufsausbildung - das deutsche Erfolgsmodell der Zukunft
05.07.2025

Die duale Berufsausbildung in Deutschland gilt als Erfolgsmodell: Dieses System ermöglicht jungen Menschen einen direkten Einstieg ins...

DWN
Panorama
Panorama Was Autofahrer über Lastwagen wissen sollten – und selten wissen
05.07.2025

Viele Autofahrer kennen das Gefühl: Lkw auf der Autobahn nerven, blockieren oder bremsen aus. Doch wie sieht die Verkehrswelt eigentlich...

DWN
Finanzen
Finanzen Steuererklärung 2024: Mit diesen 8 Steuertipps können Sie richtig viel Geld rausholen
05.07.2025

Viele Menschen drücken sich vor der Steuererklärung, weil diese manchmal etwas kompliziert ist. Doch es kann sich lohnen, die...