Weltwirtschaft

J.P. Morgan bereitet sich auf "Finanzsturm" vor

Lesezeit: 5 min
06.06.2022 09:55
Der CEO der größten US-Bank weist erneut auf massive Gefahren für die Konjunktur hin. Zusätzlich zur grassierenden Inflation droht nun auch noch ein kräftiger Wirtschaftseinbruch. Die Aussagen von Jamie Dimon reihen sich nahtlos in zahlreiche Warnungen nahmhafter Experten ein, die alle so etwas wie einen „perfekten Sturm“ auf die Wirtschaft zukommen sehen.
J.P. Morgan bereitet sich auf "Finanzsturm" vor
J.P. Morgan sieht einen "Finanzsturm" auf die Wirtschaft zukommen. (Foto: dpa)
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Jamie Dimon, CEO der größten US-Bank J.P. Morgan Chase, hat Investoren vor einem „Finanzsturm“ gewarnt und dabei unter anderem auf die Straffung der amerikanischen Geldpolitik und Russlands Einmarsch in die Ukraine verwiesen. „Dieser Hurrikan ist da draußen und kommt auf uns zu“, sagte Dimon auf einer Konferenz am Mittwoch. „Wir wissen nicht, ob es ein kleinerer ist oder Supersturm Sandy. Machen Sie sich auf etwas gefasst.“

Die Wirtschaft sei insgesamt mit einer beispiellosen Kombination von Problemen konfrontiert. Die Ukraine-Krise und steigenden US-Zinsen sind dabei nur die jüngsten Faktoren. Schon zuvor mussten Unternehmen erheblich höhere Rohstoffkosten hinnehmen, seit langem stocken die globalen Lieferketten, schon vorher erreichte die Inflation problematische Werte (warum im aktuellen fragilen Umfeld durch steigende Zinsen eine gewaltige Schulden- und Weltwirtschaftskrise droht, können Sie in unserer großen DWN-Analyse lesen).

Dimon tätigt nicht zum ersten Mal solch alarmierende Aussagen. Schon auf dem Investorentag von JP Morgan hatte er von sich auftürmenden „Sturmwolken“ über der US-Wirtschaft gesprochen. Nun habe er seine Prognose in negativer Hinsicht anpassen müssen – angesichts der fast unlösbaren Herausforderungen, vor denen die Zentralbank Federal Reserve (Fed) bei der Inflationsbekämpfung stehe.

Die Fed müsste laut Lehrmeinung die Zinsen auf 6 bis 7 Prozent oder sogar noch höher anheben, um die Inflation (per April 8,3 Prozent) einzudämmen. Gleichzeitig droht man aber mit einer restriktiven Geldpolitik, die jetzt schon schwächelnde Konjunktur in eine tiefe Rezession zu stürzen und die überschuldete US-Wirtschaft – allen voran den Verbraucher-Mittelstand – zu überfordern.

Die meisten Entscheider würden diese Gefahren unterschätzen. Im Moment schaue die wirtschaftliche Lage noch in Ordnung aus, „die Dinge laufen, alle denken, dass die Fed schon klar kommt“, analysiert Dimon. In Bezug auf die steigenden Preise scheint Dimon ebenfalls pessimistisch zu sein und demnach keine nachlassende Inflations-Dynamik zu erwarten.

JP Morgans Analysten haben jetzt ihre Prognosen für die US-Wirtschaft bis 2023 nach unten revidiert. Unter den US-Großbanken ist Jamie Dimons Bank eine der pessimistischsten. Im Durchschnitt schätzen die Experten der größten Finanzhäuser das Risiko eines längeren Wirtschaftsabschwungs in den USA bis 2023 auf circa 30 Prozent. Streng genommen befinden sich die USA schon in einer Rezession, weil im ersten Quartal 2022 das reale (preisbereinigte) BIP um 1,4 Prozent zurückging.

Eine erste Kostprobe für ein neues, nicht mehr so rosiges, Umfeld dürfte der katastrophale Einbruch des gesamten Technologiesektors am Aktienmarkt sein. Nach der Coronakrise waren Tech-Aktien zu Überfliegern geworden, die aber nun seit einigen Monaten schmerzliche Bruchlandungen erleiden müssen. Zudem ist die Stimmungslage zurzeit sehr schlecht. Das Investoren-Sentiment und das Verbrauchervertrauen sind im Keller, die Unternehmen senken auf breiter Front die Aussichten für ihre Geschäftszahlen und auf Google wird das Wort „Rezession“ so oft gesucht wie seit Frühjahr 2020 nicht mehr. Negative Erwartungen von Investoren, Unternehmen und Konsumenten könnten zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung werden – in einem äußerst fragilen Umfeld.

Es sind vor allem zwei Faktoren, die Dimon beunruhigen: Erstens hat die Federal Reserve signalisiert, dass sie ihre Anleihekaufprogramme zurückfahren und ihre Bilanz verkleinern wird. Die sogenannte „quantitative Straffung“ soll in diesem Monat beginnen und bis zu 95 Milliarden Dollar pro Monat erreichen.

"Wir hatten noch nie eine derartige quantitative Straffung, das heißt, wir haben es mit etwas zu tun, über das man 50 Jahre lang Geschichtsbücher schreiben könnte", sagte Dimon. Mehrere Aspekte der quantitativen Lockerung seien "nach hinten losgegangen", darunter die Negativzinsen, die er als "großen Fehler" bezeichnet. "Die Zentralbanken haben keine andere Wahl, weil es zu viel Liquidität im System gibt. Sie müssen jetzt einen Teil der Liquidität abziehen, um der Spekulation Einhalt zu gebieten […] ."

Der zweite große Faktor, der dem Chef von JP Morgan so viele Sorgen bereitet, ist der Ukraine-Krieg und seine Auswirkungen auf die Rohstoffpreise, einschließlich Lebensmittel und Treibstoff. Der Ölpreis könnte laut Dimon bald 150 bis 175 Dollar pro Barrel erreichen.

J.P. Morgan wappnet sich bilanziell für turbulente Zeiten

JP Morgan ist insoweit konsequent, als dass man die beunruhigenden Prognosen des Geschäftsführers laut seinen Aussagen auch implementiert. Man schütze sich nun vor kommenden Turbulenzen mit einer konservativen Handhabung der Bilanz, „damit wir in schlechten Zeiten für unsere Kunden da sein können“, so Dimon. „Das ist das Umfeld, mit dem wir es zu tun haben.“ Dimon rät Anlegern dazu, sich ebenfalls auf größere wirtschaftliche Turbulenzen vorzubereiten.

Die Kunden der Großbank werden zum Beispiel angehalten, ihre Einlagen nicht einfach so herumliegen zu lassen, sondern wenigstens in Geldmarktfonds zu parken. Dadurch wird zugleich die Bank entlastet, weil diese Einlagen dann durch die im Fonds gehaltenen Wertpapieren (hauptsächlich Anleihen) gedeckt sind – JP Morgan könnte dann die regulatorischen Kapitalanforderungen leichter erfüllen, einen etwaigen Anstieg notleidender Kredite auffangen und perspektivisch auch wieder mehr Kredite vergeben.

Die Großbank hält sich zudem im Bereich der FHA-Darlehen weiterhin stark zurück. „Federal Housing Administration-Loans“ sind von der Regierung garantierte Hypothekenkredite, die sich an einkommensschwache Haushalte richten. Laut Dimon würde in einer Rezession „mit Sicherheit fünf bis zehn Prozent“ dieser riskanten Haus-Kredite notleidend werden (das heißt, der Schuldner gerät in Zahlungsrückstand). Als weitere präventive Maßnahme dürfte JP Morgan in naher Zukunft noch die Rückstellungen für Kreditausfälle erhöhen.

Immer mehr hochrangige Experten warnen vor massiven Verwerfungen

Jamie Dimon ist nicht irgendwer, sondern einer der mächtigsten Menschen an der Wall Street. Wenn der Vorsitzende der bedeutendsten Großbank in den USA vor einem „Finanzsturm“ warnt, sollte man hellhörig werden.

Er ist ist auch bei weitem nicht die einzige prominente Figur in der Finanzszene, die vor so etwas wie einem „perfekten Sturm“ für die Wirtschaft warnt. John Waldron, Präsident der Investmentbank Goldman Sachs, kommentierte die Aussagen von Dimon folgendermaßen: "Dies ist eine der komplexesten, wenn nicht sogar die dynamischste Umgebung, die ich in meiner Laufbahn je gesehen habe. Das Zusammentreffen der vielen Schocks auf das Wirtschaftssystem ist für mich beispiellos".

"Wir gehen davon aus, dass wir vor schwierigeren wirtschaftlichen Zeiten stehen", so Waldron, dessen Analysten einen kommenden Wirtschaftsabschwung als sehr wahrscheinlich ansehen. Was Goldman selbst angeht, so zeigt sich Waldron optimistisch, dass man trotz potenzieller Verwerfungen solide Zahlen erwirtschaften würde. „Wie auch immer das wirtschaftliche Umfeld ist, uns wird es gut gehen.“

Hedgefonds-Milliardär Bill Ackman (Pershing Square Capital Management) ist wie Dimon eher im Lager der alarmistischen Pessimisten. Die US-Notenbank erfülle ihre Aufgabe nicht, die galoppierende Inflation zu bekämpfen. "Wenn die Fed ihre Aufgabe nicht erfüllt, wird der Markt die Aufgabe der Fed übernehmen, und genau das passiert jetzt", sagte Ackman. "Es gibt keine Aussicht auf eine wesentliche Verringerung der Inflation, es sei denn, die Fed hebt die Zinsen aggressiv an oder der Aktienmarkt stürzt ab, was zu einem wirtschaftlichen Zusammenbruch und einer Zerstörung der Nachfrage führen würde."

Die US-Notenbank habe ihre Glaubwürdigkeit verloren habe – noch 2021 hatten Fed-Banker die steigende Inflation als kurzfristige „transitorische“ Entwicklung bezeichnet und lagen mit dieser Einschätzung kolossal daneben. "Die Märkte implodieren, weil die Anleger nicht darauf vertrauen, dass die US-Notenbank die Inflation stoppen wird", und da die Verbraucherpreise im April auf Jahresbasis um 8,3 % gestiegen sind, ist die Inflation nun "völlig außer Kontrolle" geraten, so Ackman.

Michael Burry, der durch seine erfolgreiche Spekulation auf den kollabilerenden US-Immobilienmarkt 2007/2008 berühmt wurde, beschwörte jüngst in einem kryptischen Tweet einen verheerenden Aktiencrash herbei. “Wie ich schon 2008 sagte: Es ist, als würde man einen Flugzeugabsturz beobachten. Es tut weh, es macht keinen Spaß, und ich lächle nicht”. In den letzten Monaten hatte Burry wiederholt auf die Parallelen der heutigen Marktsituation mit der großen Depression in den 1930er-Jahren und der Dotcom-Blase in den Nullerjahren hingewiesen.

Außerhalb der Finanzbranche hatte sich Tesla-Chef Elon Musk neulich sehr negativ zur US-Wirtschaftslage geäußert. Er habe eine „super schlechtes Gefühl“ und rechne mit einer bis zu 18-Monate anhaltenden Rezession. Bei Tesla werden deshalb Neueinstellungen bis auf Weiteres gestoppt.

Bank of England befürchtet „apokalyptische Lebensmittelpreisinflation“

Indes hatte der Chef der Bank of England, Andrew Bailey, zuletzt vor „apokalyptischen Preisanstiegen im Lebensmittelbereich“ gewarnt. Getrieben von exogenen Faktoren – allen voran den explodierenden Weltmarktpreise für Energie und Getreide – würde die Inflation einen Realeinkommens-Schock auslösen. „Das wird einen negativen Einfluss auf die Inlands-Nachfrage haben und die allgemeine wirtschaftliche Aktivität dämpfen, und ich befürchte, es wird auch die Arbeitslosigkeit erhöhen, so Bailey.

Die Inflation in Europa und Nordamerika ist so hoch wie seit 30 Jahren nicht mehr. Auf Nachfrage von Parlamentariern gab Bailey zu, dass er bezüglich einer Bekämpfung der grassierenden Inflation im Prinzip „machtlos“ sei.

Offensichtlich scheinen sich im finanziellen und politischen Establishment die Bedenken zu häufen, dass es - angesichts horrender Energiepreise, (Agrar-)Rohstoffknappheiten, Produktengpässen, einer außer Kontrolle geratenen Inflation und machtloser Zentralbanken - selbst in den westlichen Industrienationen zu sozialen Unruhen und gesellschaftlichen Verwerfungen kommen könnte.


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