Wirtschaft

Rezession voraus: Geschäftsklima trübt sich europaweit ein

Unternehmen und Bürger rechnen zunehmend mit Gegenwind und wollen Investitionen verschieben.
29.06.2022 11:00
Aktualisiert: 29.06.2022 11:18
Lesezeit: 3 min
Rezession voraus: Geschäftsklima trübt sich europaweit ein
Eine Frau mit Regenschirm läuft am Donerstag (03.06.2004) bei Regen und kühlen Temeraturen durch eine Einkaufspassage in der Münchner Innenstadt. (Foto: dpa) Foto: Peter_Kneffel

Die Stimmung in der Wirtschaft der Euro-Zone hat sich im Juni breitflächig eingetrübt. Das Barometer für das Geschäftsklima fiel um 1,0 auf 104,0 Punkte, wie aus den am Mittwoch veröffentlichten Daten der EU-Kommission hervorgeht. In allen fünf großen Volkswirtschaften der Währungsunion trübte sich die Stimmung ein - besonders stark in den Niederlanden, nicht ganz so heftig in Deutschland, Spanien, Frankreich und Italien. Hohe Inflation, Materialengpässe, Lieferkettenprobleme, der Fachkräftemangel und Unsicherheit über den Fortgang des russischen Krieges gegen die Ukraine gelten aktuell als größte Stimmungskiller.

In allen wichtigen Bereichen der Wirtschaft zeigt die Tendenz nach unten. Sowohl in der Industrie als auch im Einzelhandel, bei den Dienstleistern und besonders stark in der Baubranche wird sich auf schwierigere Zeiten eingestellt. Auch bei den Verbrauchern nimmt der Pessimismus merklich zu. "Der Ausblick der Haushalte auf ihre künftige finanzielle Situation erreichte ein Rekordtief", betonte die EU-Kommission zu ihrer Umfrage. "Gleichzeitig sanken die Absichten, größere Anschaffungen zu tätigen." Auch die allgemeine Wirtschaftslage wird von den Verbrauchern so schlecht bewertet wie lange nicht.

Die sich eintrübende Konjunktur bringt die Europäische Zentralbank (EZB) in die Bredouille. Sie will angesichts der rekordhohen Inflation in der Währungsunion von aktuell 8,1 Prozent im Juli erstmals seit 2011 ihren Leitzins anheben und im September nachlegen. Dadurch steigen die Kreditkosten für Verbraucher wie Unternehmen, worunter Konsum und Investitionen leiden dürften. Das wiederum könnte der ohnehin schwächelnden Konjunktur weiter zusetzen. Die EZB-Volkswirte sagen für das laufende Jahr nur noch ein Wirtschaftswachstum von 2,8 Prozent für die Währungsunion voraus. Im März hatten sie ein Plus von 3,7 Prozent prognostiziert.

Die Erwartung einer nachlassenden Nachfrage wegen einer weltweiten Konjunkturabschwächung belastet den Kupferpreis. Das Industriemetall verbilligt sich um bis zu 1,3 Prozent auf 8260 Dollar pro Tonne. "Der Basismetallkomplex steht aufgrund der schwierigen Nachfrageaussichten infolge der Covid-Lockdowns in China und allgemeiner makroökonomischer Bedenken wegen der Straffung der Geldpolitik und Wachstumsängsten unter Druck", konstatieren die Experten der Bank Standard Chartered.

Institut: Industrie kriegt kaum noch Aufträge

Die Konjunktur in Deutschland ist nach Einschätzung des DIW-Instituts verhalten in den Sommer gestartet. Anders als im Frühjahr teilweise befürchtet sei es zwar nicht zu einem Absturz der deutschen Wirtschaft gekommen, teilten die Berliner Ökonomen am Mittwoch in ihrem Konjunkturbarometer mit. Der Krieg in der Ukraine, die chinesische Corona-Krise und die hohe Inflation belasteten aber merklich. Jüngst hätten vor allem Sorgen wegen einer drohenden Gasknappheit und noch höherer Energiepreise wieder deutlich zugenommen. "Deutschland als exportorientierte Volkswirtschaft bekommt die schwächelnde Weltwirtschaft besonders zu spüren," sagte DIW-Konjunkturexperte Guido Baldi. "Im Sommerhalbjahr dürfte das Bruttoinlandsprodukt kaum spürbar zulegen."

So erhalte die deutsche Industrie deutlich weniger neue Aufträge, besonders aus dem Ausland. Der Auftragsbestand sei zwar immer noch hoch, könne aber nur schleppend abgearbeitet werden. Denn die globalen Lieferketten seien weiter gestört der Mangel an Vorprodukten bleibe vielerorts gravierend. Stützend auf die Konjunktur wirkten zumindest vorerst noch die Dienstleistungen, die seit den Lockerungen der Corona-Schutzmaßnahmen einen Aufschwung erlebt hätten, erklärte das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Dieser Erholungsprozess laufe nun aber schrittweise aus. "Zudem wird die Kaufkraft der Haushalte durch die hohe Inflation merklich verringert."

Deka-Bank: Viele Haushalte greifen auf Erspartes zurück

Die Preise steigen der DekaBank zufolge in der Wahrnehmung der Verbraucher deutlich stärker als in der offiziellen Inflationsstatistik ausgewiesen. Die gefühlte Inflationsrate liege derzeit bei fast 18 Prozent, sagte DekaBank-Chefvolkswirt Ulrich Kater am Mittwoch bei der Vorstellung neuer Konjunkturprognosen. "Das ist ebenfalls historisch hoch", betonte er. Die offizielle Teuerungsrate lag im Mai mit 7,9 Prozent so hoch wie seit dem Winter 1973/74 nicht mehr.

"Das ist konjunkturhemmend", sagte Kater zu der starken Verteuerung. "Das Verbrauchervertrauen ist eingebrochen." Viele Haushalte müssten bereits auf Erspartes zurückgreifen, um über die Runden zu kommen. "Die Sparquote sinkt bereits." Die Inflation drohe alle Bereiche der Wirtschaft zu erfassen.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Gold als globale Reservewährung auf dem Vormarsch

Strategische Relevanz nimmt zu und Zentralbanken priorisieren Gold. Der Goldpreis hat in den vergangenen Monaten neue Höchststände...

DWN
Panorama
Panorama Grillmarkt in der Krise? Holzkohle wird teurer
03.07.2025

Grills verkaufen sich längst nicht mehr von selbst. Nach Jahren des Booms mit Rekordumsätzen schwächelt die Nachfrage. Händler und...

DWN
Finanzen
Finanzen Milliarden für Dänemark – Deutschland geht leer aus
03.07.2025

Dänemark holt 1,7 Milliarden DKK aus Deutschland zurück – ohne die deutsche Seite zu beteiligen. Ein heikler Deal im Skandal um...

DWN
Finanzen
Finanzen Vermögen im Visier: Schweiz plant Enteignung durch Erbschaftssteuer für Superreiche
03.07.2025

Die Schweiz steht vor einem Tabubruch: Kommt die 50-Prozent-Steuer auf große Erbschaften? Die Eidgenossen debattieren über ein riskantes...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Drogeriehandel: Wie dm, Rossmann und Müller den Lebensmittelmarkt verändern
03.07.2025

Drogeriemärkte verkaufen längst nicht mehr nur Shampoo und Zahnpasta. Sie werden für Millionen Deutsche zur Einkaufsquelle für...

DWN
Technologie
Technologie KI-Gesetz: Bundesnetzagentur startet Beratungsservice für Unternehmen
03.07.2025

Die neuen EU-Regeln zur Künstlichen Intelligenz verunsichern viele Firmen. Die Bundesnetzagentur will mit einem Beratungsangebot...

DWN
Panorama
Panorama Sprit ist 40 Cent teurer an der Autobahn
03.07.2025

Tanken an der Autobahn kann teuer werden – und das oft völlig unnötig. Eine aktuelle ADAC-Stichprobe deckt auf, wie groß die...

DWN
Politik
Politik Brüssel kapituliert? Warum die USA bei den Zöllen am längeren Hebel sitzen
03.07.2025

Die EU will bei den anstehenden Zollverhandlungen mit den USA Stärke zeigen – doch hinter den Kulissen bröckelt die Fassade. Experten...

DWN
Finanzen
Finanzen USA dominieren die Börsen
03.07.2025

Die Börsenwelt bleibt fest in US-Hand, angeführt von Tech-Giganten wie Nvidia und Apple. Deutsche Unternehmen spielen nur eine...