Politik

Was bei einem Taiwan-China-Konflikt auf die deutsche Industrie zukommt

Lesezeit: 5 min
21.08.2022 08:20  Aktualisiert: 21.08.2022 08:20
Der Konflikt zwischen China und Taiwan spitzt sich weiter zu. Ein drohender Konflikt hätte auch weitreichende Konsequenzen für die deutsche Wirtschaft. Denn China ist Deutschlands wichtigster Handelspartner und Taiwan ist ein wichtiger Chip-Hersteller – und ohne Chips stehen in vielen deutschen Produktionsstätten alle Bänder still.
Was bei einem Taiwan-China-Konflikt auf die deutsche Industrie zukommt
Taiwan behauptet sich im Schatten des übermächtigen Chinas. (Foto: iStock.com/Sean824)
Foto: Sean824

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Kaum eine Industrienation ist von Taiwan abhängiger als Deutschland. Der Inselstaat vor der Küste Chinas ist einer der wichtigsten Halbleiter-Produzenten der Welt. Ohne die Chips aus Taiwan kämen ganze Industriezweige in Deutschland zum Erliegen. Kein Auto, keine Waschmaschine und kein Kühlschrank kommen heute noch ohne sie aus. Daher kommen die Nachrichten aus Asien, dass sich der Konflikt zwischen China und Taiwan wieder zuspitzt, auch für die deutsche Industrie, die schon mit drohenden Gasengpässen zu kämpfen hat, zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt.

Taiwan-China-Konflikt: Ein seit Jahrzehnten andauernder Streit

Die Spannungen zwischen Taiwan und China sind über Jahrzehnte historisch gewachsen. Seit 1949 besteht auf der Insel im Westpazifik die Republik China. Dorthin hatten sich die Elite und die Streitkräfte der Republik China nach ihrer Niederlage im Bürgerkrieg gegen die Kommunistische Partei zurückgezogen. Während infolgedessen auf dem chinesischen Festland die Volksrepublik China unter der Herrschaft der Kommunistischen Partei ausgerufen wurde, wurde auf Taiwan ab den 80er-Jahren schrittweise eine Demokratisierung des bis dahin herrschenden Einparteiensystems durchgeführt. Heute zählt Taiwan neben Japan zu einem der demokratischsten Staaten Asiens. Außerdem ist der Inselstaat trotz seiner geringen Größe und Einwohnerzahl die Nummer 22 unter den Volkswirtschaften der Welt.

Doch Taiwans rechtlicher Status ist nach wie vor umstritten. China beansprucht das Territorium für sich und verfolgt seit Langem die sogenannte „Ein-China-Politik“. Demnach gibt es nur ein China, zu dem auch Macau, Hongkong und Taiwan gehörten. Alle Staaten, die zur Volksrepublik China diplomatische Beziehungen unterhalten möchten, müssen diese Doktrin akzeptieren. Auch Deutschland hat sich in der Vergangenheit zur „Ein-China-Politik“ bekannt. Als Folge dessen ist es deutschen Regierungsvertretern nicht gestattet, sich mit hochrangigen Vertretern Taiwans zu treffen. Um die Volksrepublik China nicht zu verstimmen, lehnte die Bundesregierung 2006 sogar die Visa-Anträge hochrangiger taiwanesischer Politiker zur Einreise nach Deutschland ab.

Vor diesem Hintergrund erklären sich auch die heftigen Reaktionen Pekings auf den Besuch der US-Kongressabgeordneten Nancy Pelosi in der taiwanesischen Hauptstadt Taipeh. Es war der hochkarätigste Staatsbesuch eines US-Politikers in Taiwan seit 25 Jahren. Pelosi hielt trotz harscher Kritik aus Peking an dem Besuch fest, mit der Folge, dass die chinesische Regierung sie mit Sanktionen belegte und die bislang größten Militärmanöver in den Gewässern um Taiwan durchführte. Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums in Peking bezeichnete die Manöver als „notwendige Warnung an die USA und Taiwan“ und als „angemessene“ Reaktion auf deren „Provokationen“. Die Sorge auf der 23-Millionen-Einwohner-Insel wächst zunehmend, dass China sich vom Vorgehen Russlands in der Ukraine ermutigt sehen könnte und einen Einmarsch in Taiwan vorbereitet.

Die Folgen des Taiwan-China-Konflikts für deutsche Wirtschaft

Nun könnte man in Deutschland meinen, Taiwan sei weit weg und wir hätten ohnehin schon genug Probleme mit den Folgen des Ukraine-Kriegs und der gegen Russland verhängten Sanktionen. Was geht uns da der Streit im Westpazifik an? Und man läge damit grandios daneben, denn Deutschlands Wirtschaft ist sowohl von China als auch von Taiwan extrem abhängig. Die Abhängigkeit Deutschlands von China ist den meisten hierzulande wohl noch bewusst, immerhin ist China laut Statistischem Bundesamt Deutschlands mit Abstand größter Handelspartner – zum sechsten Mal in Folge. 2021 wurden Waren im Wert von 245,9 Milliarden Euro zwischen Deutschland und der Volksrepublik China gehandelt (Exporte und Importe). China ist für Deutschland zweitwichtigstes Exportland (103,7 Milliarden Euro) und wichtigstes Importland (142,3 Milliarden Euro).

Die Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft von Taiwan ist dagegen weniger bekannt. Dabei ist kaum ein Industrieland so sehr auf IT-Komponenten „Made in Taiwan“ angewiesen wie Deutschland. In Taiwan befinden sich mit TSMC (Taiwan Semiconductor Manufacturing Company) und UMC (United Microelectronics Corporation) zwei der größten Halbleiter-Produzenten der Welt. TSMC ist nach Samsung und Intel der größte Hersteller von Halbleitern und sogar der größte Hersteller von Halbleiterprodukten, die dann wiederum an andere Halbleiterhersteller geliefert werden. Der deutsche Chip-Hersteller Infineon beispielsweise ist längst aus dem Wettbewerb ausgestiegen und bestellt selbst bei TSMC und UMC. Die taiwanesischen Chip-Hersteller dominieren den Weltmarkt mit einem Marktanteil von rund 66 Prozent. Allein TSMC steht für 56 Prozent der weltweiten Produktion, UMC kommt immerhin auf 7 Prozent.

Ebenso wichtig, wie die Produktion der Halbleiter selbst, ist die Montage der kleinen Siliziumplättchen auf Platinen und das Testen der Chips. Auch hier hat ein Unternehmen aus Taiwan weltweit die Nase vorn. Die ASE Group (Advanced Semiconductor Engineering). Das Unternehmen mit Sitz in der südtaiwanesischen Metropolregion Kaohsiung kommt in diesem Segment auf einen weltweiten Marktanteil von 25 Prozent. Und auch beim Chip-Design spielt Taiwan eine führende Rolle, wie aus einem Bericht der NZZ hervorgeht. Demnach sind zwar immer noch die USA weltweit tonangebend, mit sechs der zehn größten Unternehmen in diesem Bereich. Aber das kleine Taiwan stellt immerhin drei der zehn größten Chip-Designer und liegt damit auf dem zweiten Platz.

Experten warnen vor massiven Auswirkungen

Ein offener Konflikt zwischen China und Taiwan, ausgelöst etwa durch den Einmarsch der Volksbefreiungsarmee auf der Insel, hätte weitreichende Konsequenzen für Deutschland. Die Folgen wären nach Ansicht vieler Experten deutlich schlimmer als die Auswirkungen des Ukraine-Krieges. Das ifo-Institut hat beispielsweise errechnet, dass ein Handelskrieg mit China für Deutschland sechs Mal teurer wäre als der Brexit. Im ZDF-Interview bekräftigte ifo-Präsident Hans-Werner Sinn diesen Punkt: „Schaut man die riesengroße Palette von Gütern an, die wir aus China importieren, ist die Frage eher: Was kommt nicht aus China?“

Bei über 600 Produktgruppen des Statistischen Bundesamtes läge der Importanteil für chinesische Waren über 50 Prozent. Und bei den für die Industrie besonders wichtigen Waren wie seltenen Metallen, Aluminium, Magnesium oder vielen chemischen Zwischenprodukten läge der Anteil Chinas an den Importen gar bei zwei Dritteln und mehr.

„Wer den Handel mit China einschränken möchte, sägt den Ast ab, auf dem wir sitzen. Die Leidtragenden wären die einfachen Bürger, denn ihr Lebensstandard sänke erheblich“, so Sinn weiter.

Auch die andere Seite der Medaille, die Abhängigkeit von taiwanesischen Halbleitern, hätte immense Auswirkungen. Im WiWo-Interview erklärte der in Taiwan lebende Digitalisierungsexperte Sascha Pallenberg kürzlich: „Um es deutlich zu sagen: Deutsche Unternehmen aller Größe würden stillstehen, wenn die Lieferungen aus Taiwan ausfielen – egal ob Hidden Champion im mittelständischen Maschinenbau oder Hightech-Konzern im Dax. Ein Versuch Chinas, sich die Insel einzuverleiben, würde die ganze Weltwirtschaft erschüttern, weil die Produktion der IT-Komponenten schlagartig zum Erliegen käme.“

Einen Vorgeschmack der wirtschaftlichen Folgen, die ausbrechender Konflikt zwischen Taiwan und China auf die deutsche Wirtschaft hätte, lieferte bereits die globale Halbleiter-Krise der letzten zwei Jahre . Einer Umfrage des ifo-Insituts zufolge klagten zwischenzeitlich fast zwei Drittel der deutschen Industriebetriebe über Engpässe und Probleme bei Vorlieferungen von Chips. Die Knappheit bei Halbleitern und Chips macht sich insbesondere bei den Herstellern elektrischer Ausrüstungen bemerkbar (84,4 Prozent) sowie bei den Autobauern und ihren Zulieferern (83,4 Prozent). Viele Automobilhersteller mussten ihre Produktion drosseln und Gewinneinbußen hinnehmen

Einen Vorgeschmack der wirtschaftlichen Folgen, die ausbrechender Konflikt zwischen Taiwan und China auf die deutsche Wirtschaft hätte, lieferte bereits die globale Halbleiter-Krise der letzten zwei Jahre. Einer Umfrage des ifo-Insituts zufolge klagten zwischenzeitlich fast zwei Drittel der deutschen Industriebetriebe über Engpässe und Probleme bei Vorlieferungen von Chips. Die Knappheit bei Halbleitern und Chips macht sich insbesondere bei den Herstellern elektrischer Ausrüstungen bemerkbar (84,4 Prozent) sowie bei den Autobauern und ihren Zulieferern (83,4 Prozent). Viele Automobilhersteller mussten ihre Produktion drosseln und Gewinneinbußen hinnehmen.

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André Jasch ist freier Wirtschafts- und Finanzjournalist und lebt in Berlin.  


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