Weltwirtschaft

Europas Düngemittelproduktion liegt am Boden

Lesezeit: 3 min
14.09.2022 09:41  Aktualisiert: 14.09.2022 09:41
Die Erdgasknappheit in Europa wird weltweit zur Belastungsprobe. Durch die enge Verbindung zwischen Düngemittelherstellung und Erdgas, stehen die Länder vor der Wahl zwischen Nahrungsmittelproduktion oder Wärmeversorgung.
Europas Düngemittelproduktion liegt am Boden
Die Europäische Düngemittelproduktion ist in Not. (Foto: dpa)

Benachrichtigung über neue Artikel:  

Ein Bericht der Wirtschaftsnachrichtenseite Oilprice, verdeutlicht die enge Verbindung von Erdgas mit Düngemitteln und dadurch wiederum mit dem Lebensmittelmarkt. So wirken sich laut Oilprice Energiekrisen auf nahezu jeden Aspekt unseres Lebens aus. Das gilt insbesondere für die Lebensmittelmärkte, da die Lebensmittelproduktion im nächsten Jahr voraussichtlich stark gefährdet sein wird.

Lebensmittelmärkte verunsichert

In den letzten Monaten mit dem Anstieg der Energiepreise steigen auch die Kosten für die Herstellung und den Transport von Lebensmitteln, wie Oilprice schreibt. Gleichzeitig haben der Einmarsch Russlands in der Ukraine und die Drohungen Putins, dass Russland seine Getreideexporte ändern könnte, die Unsicherheit auf den Lebensmittelmärkten noch verstärkt.

Das Problem bei einer Energiekrise ist, dass sie eigentlich eine Krise für alles ist. In einer Welt, in der praktisch jeder Wirtschaftszweig in irgendeiner Form auf Energie zurückgreifen muss, ist eine galoppierende Inflation nicht vermeidbar. Das Phänomen ist nicht neu - wir erleben es durch die Pandemie nun schon seit fast zwei Jahren. Während die Politik umfangreiche Möglichkeiten hat, um die steigenden Inflationsraten einzudämmen, kann sie laut Oilprice gegen die bevorstehende Nahrungsmittelknappheit weit weniger tun.

Europas Düngemittelhersteller machen Verlust

Seit Monaten warnt die Agrarindustrie den Rest der Welt, dass die Nahrungsmittelproduktion des nächsten Jahres ernsthaft bedroht ist, da die Düngemittelindustrie in am Boden liegt. Industrielle NPK-Dünger (benannt nach ihrer Zusammensetzung aus Stickstoff-, Phosphor- und Kaliumoxid) sind in hohem Maße von der Versorgung mit Erdgas abhängig. Etwa 70 Prozent der Kosten der Düngemittelproduktion sind allein auf den Preis von Erdgas zurückzuführen, das in großen Mengen zur Herstellung der Ammoniumphosphatschlämme verwendet wird, aus denen Düngemittel entstehen.

Nach Angaben der CRU Group verlieren die europäischen Düngemittelhersteller in der Region derzeit etwa 2.000 Dollar für jede Tonne produzierten Ammoniak. Da Russland die Erdgaslieferungen nach Europa zunächst gedrosselt und dann auf unbestimmte Zeit gestoppt hat, was die Gaspreise in die Höhe trieb, hat die Düngemittelbranche des Kontinents bis zu 70 Prozent ihrer Produktionskapazitäten stillgelegt und befindet sich am Boden. Wie dramatisch die Situation ist, zeigt die Abhängigkeit der Lebensmittelproduktion von Dünger. Handelsdünger spielt eine wesentliche Rolle bei 40 bis 60 Prozent der weltweiten Nahrungsmittelproduktion. Wenn man Lebensmittel nicht als Selbstversorger anbaut, ist man bei den meisten Grundnahrungsmitteln auf NPK-Dünger angewiesen.

Experten für Ernährungssicherheit warnen schon seit Jahren vor dieser Art von Lebensmittelkrise und seit Anfang dieses Jahres vor dieser speziellen Krise in der Produktion von Düngemittel. Nach vielen Jahrzehnten des großzügigen Einsatzes von chemischen Düngemitteln sind die landwirtschaftlichen Böden laut Oilprice weltweit auf verheerende Weise nährstoffarm geworden. Ohne einen erhöhten jährlichen Düngemitteleinsatz könnten diese abgebauten Böden nur noch einen Bruchteil ihrer derzeitigen Kapazität produzieren, bei geringerem Nährstoffgehalt.

Putins Wut über Getreidehandelsabkommen

Russland und die Ukraine produzieren zusammen so viel Getreide für den Weltmarkt, dass sie oft als der Brotkorb der Welt bezeichnet werden. Der Krieg in der Ukraine hat auch die Versorgung des Marktes mit Getreide aus der Region gefährdet und in diesem Sommer zu einer Nahrungsmittelknappheit im importabhängigen Afrikanischen Staaten südlich der Sahara geführt.

Das Ende Juli abgeschlossene Getreidehandelsabkommen zwischen Moskau und Kiew, das die Lebensmittelknappheit entschärfen und gleichzeitig der besetzten Ukraine Einkommen verschaffen sollte, hat den russischen Präsidenten Wladimir Putin laut Reuters wütend gemacht. Zwar habe Russland zugestimmt, das in Abkommen vorerst weiterlaufen zu lassen, doch die Problematik hat die extreme Volatilität, der von Russland beeinflussten Getreide- und Düngemittel-Lieferketten deutlich gemacht.

Die ärmsten Länder sind am schlimmsten dran

Bereits im Juli schätzte die International Fertilizer Association, dass bei einer Verlängerung des Krieges in der Ukraine und anhaltend hohen Gaspreisen, die den Einsatz von Düngemitteln einschränken, fast 2 Prozent der weltweiten Mais-, Weizen-, Reis- und Sojaproduktion verloren gehen könnten. Das amerikanische Nachrichtemagazin Newsweek schrieb dazu: „Selbst kleine Rückgänge in der Getreideproduktion können zu erheblichen Preissteigerungen führen.“

Die ärmsten Länder sind laut Oilprice besonders hart betroffen. Die Getreideknappheit in Afrika in diesem Sommer werde im Vergleich zu den Nahrungsmittelkrisen, die afrikanische Nationen, Mexiko und andere Entwicklungsländer mit einem großen inputabhängigen Agrarsektor treffen werden, verblassen.

Wenn die Problematik für die Düngemittelproduktion so groß ist, stellt sich die Frage, warum die Welt nicht mehr Geld und Gas zur Verfügung stellt. John Harple, Erdgasmarkler für den Düngemittelsektor hat gegenüber Newsweek eine Antwort: „Die Länder können die Düngemittelproduktion nicht vorziehen, weil sie so besorgt sind, dass sie nicht genug Erdgas haben, um die Häuser der Menschen zu heizen. Sie müssen sich zwischen der künftigen Nahrungsmittelproduktion und der Wärmeversorgung entscheiden, und sie werden die Wärmeversorgung wählen.“



Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Die Edelmetallmärkte

Wegen der unkontrollierten Staats- und Unternehmensfinanzierung durch die Zentralbanken im Schatten der Corona-Krise sind derzeitig...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Konfliktlösung ohne Gericht: Verbraucherschlichtung als Chance für Ihr Business
27.04.2024

Verabschieden Sie sich von langwierigen Gerichtsverfahren! Mit dem Verbraucherstreitbeilegungsgesetz (VSBG) senken Sie Ihre Kosten,...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Krieg in der Ukraine: So ist die Lage
27.04.2024

Wegen Waffenknappheit setzt der ukrainische Präsident, Wolodymyr Selenskyj, auf Ausbau der heimischen Rüstungsindustrie, um sein Land...

DWN
Finanzen
Finanzen Hohes Shiller-KGV: Sind die Aktienmärkte überbewertet?
27.04.2024

Bestimmte Welt-Aktienmärkte sind derzeit sehr teuer. Diese sind auch in Indizes wie dem MSCI World hoch gewichtet. Manche Experten sehen...

DWN
Finanzen
Finanzen EM 2024 Ticketpreise explodieren: Die Hintergründe
27.04.2024

Fußball-Enthusiasten haben Grund zur Freude: Es besteht immer noch die Chance, Tickets für die EM 2024 zu erwerben. Allerdings handelt es...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Deutschland als Unternehmensstandort: Zwischen Herausforderungen und Chancen
27.04.2024

Trotz seines Rufes als europäischer Wirtschaftsmotor kämpft Deutschland mit einer Vielzahl von Standortnachteilen. Der Staat muss...

DWN
Immobilien
Immobilien Deutschlands herrenlose Häuser: Eine Chance für den Markt?
27.04.2024

Herrenlose Immobilien - ein kurioses Phänomen in Deutschland. Es handelt sich hier um Gebäude oder Grundstücke, die keinen...

DWN
Finanzen
Finanzen Reich werden an der Börse: Ist das realistisch?
27.04.2024

Viele Anleger wollen an der Börse vermögend werden. Doch ist das wahrscheinlich - oder wie wird man tatsächlich reich?

DWN
Politik
Politik DWN-Kommentar: Deutsche müssen über Abschiebungen diskutieren - mit aller Vorsicht
26.04.2024

Liebe Leserinnen und Leser, jede Woche gibt es ein Thema, das uns in der DWN-Redaktion besonders beschäftigt und das wir oft auch...