Ein Stillstand des Gasverbrauchs im BASF-Werk Ludwigshafen hätte dem britischen Guardian zufolge weitreichende Auswirkungen auf alle Sektoren, von Windeln bis hin zu Medikamenten. Auf dem Gelände des Chemiekonzerns, einem zehn Quadratkilometer großen Industriekomplex, der so weitläufig ist, dass BASF ein eigenes Busnetz betreibt, um seine Mitarbeiter von den Toren zu ihren Arbeitsplätzen zu bringen, ist alles miteinander verbunden.
Nebenprodukte aus der Ammoniakherstellung beispielsweise werden durch ein 2.850 km langes Pipelinenetz von einem Ende des Werks zum anderen geleitet, wo sie zur Produktion von Düngemitteln, Desinfektionsmitteln, Dieselabgasen oder Kohlendioxid für kohlensäurehaltige Getränke wiederverwendet werden.
Ammoniakproduktion bereits reduziert
Das so genannte Verbundprinzip war der Schlüssel zum 157-jährigen Aufstieg der BASF von der „Badischen Anilin- und Soda-Fabrik“ zum größten Chemieunternehmen der Welt. Jetzt, da Wladimir Putin die Energieexporte nach Europa stark eingeschränkt hat, könnte die Verbundenheit zu Russland zum Verhängnis werden. Der Standort im Südwesten Deutschlands ist auf den Rohstoff und Energieträger Gas angewiesen und verbraucht jährlich etwa so viel wie die gesamte Schweiz, und die BASF war aktiv daran beteiligt, dass ein großer Teil dieses Gases billig aus Russland importiert wurde.
Sollte der deutsche Staat in diesem Winter gezwungen sein, Gas für die industrielle Nutzung zu rationieren, kann die BASF laut Guardian nach eigenen Angaben ihren Verbrauch bis zu einem gewissen Grad reduzieren, indem sie einzelne Anlagen drosselt oder in einigen Produktionsschritten Gas gegen Heizöl austauscht. Die BASF hat bereits die Produktion von Ammoniak vor Ort reduziert und die Chemikalie stattdessen aus dem Ausland angeliefert.
Stillstand wäre europaweit spürbar
Da die 125 Produktionsanlagen in Ludwigshafen Teil einer zusammenhängenden Wertschöpfungskette sind, gibt es jedoch einen Punkt, an dem ein Ausfall der Gasversorgung zu einem standortweiten Stillstand führen würde. „Sobald wir deutlich und dauerhaft weniger als 50 Prozent unseres Maximalbedarfs beziehen können, müssten wir den gesamten Standort stilllegen“, sagt Daniela Rechenberger, eine Sprecherin des Unternehmens gegenüber dem Guardian. „Das hat es in der Geschichte der BASF noch nie gegeben und das will hier auch niemand. Aber wir hätten kaum eine andere Wahl.“
Da die deutschen Gasspeicher zu 87 % gefüllt sind, wächst der Optimismus, dass eine Rationierung in diesem Winter abgewendet werden kann. Aber selbst dann könnten die hohen Gaspreise Unternehmen wie die BASF dazu zwingen, die Produktion einzustellen. Da große Teile des Verbundstandorts seit den 1960er Jahren rund um die Uhr in Betrieb sind, ist laut BASF unklar, ob die Produktion danach einfach wieder angefahren werden kann oder ob der Druckabfall zum Ausfall einiger Maschinen führen würde.
Die Folgen eines Stillstands in Ludwigshafen wären weitreichend, nicht nur in Europas größter Volkswirtschaft, sondern auf dem ganzen Kontinent spürbar. Die Initialen der BASF werden immer noch mit Audio- und Videokassetten in Verbindung gebracht, aber das Unternehmen hat dieses Geschäft Mitte der 90er-Jahre verkauft und verkauft nun hauptsächlich im Business-to-Business-Bereich; seine Produkte sind unsichtbarer, aber auch unverzichtbarer geworden.
Herstellung von Zahnpasta bis zu Vitaminen
Die von der BASF hergestellten Chemikalien werden zur Herstellung von Zahnpasta bis zu Vitaminen, von Gebäudeisolierungen bis zu Windeln verwendet. Sie ist einer der weltweit größten Hersteller von Ibuprofen für Schmerzmittel, und ihr größter Kunde ist die Automobilindustrie, was bedeutet, dass die Zerstörung der Pipelines in Ludwigshafen direkte Auswirkungen auf Automobilregionen wie die Emilia-Romagna, Katalonien oder Hauts-de-France hätte.
Eines der wenigen Endprodukte, die noch in Ludwigshafen hergestellt werden, ist AdBlue, eine Flüssigkeit, die zur Reduzierung der Luftverschmutzung durch Dieselmotoren verwendet wird. AdBlue ist für Lkw gesetzlich vorgeschrieben, so dass eine Verknappung den Lkw-Verkehr in ganz Europa zum Erliegen bringen könnte. Nach deutschem Recht wären Haushalte von der Gasrationierung ausgenommen, ebenso wie andere „geschützte“ Kunden wie Pflegeheime und Krankenhäuser. Die Hauptlast der Kürzungen müsste die Industrie tragen, auf die etwa ein Drittel der Nachfrage im Lande entfällt.