Manche Nachrichten sind so skurril, dass sie man sich unweigerlich fragt, ob es sich um Satire handelt. In diese Kategorie fällt auch die Pressemitteilung der Königlich Schwedischen Akademie der Wissenschaften, dass der diesjährige Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften an Ben Bernanke, Douglas Diamond und Philip Dybvig geht. Die drei US-Forscher werden für „ihre Forschung zu Banken und Finanzkrisen“ ausgezeichnet.
Wirtschaftsnobelpreis für „Helikopter-Ben“
Diamond und Dybvig haben vor allem dazu geforscht, wie Bankruns Finanzkrisen verschärfen können. Schon das Gerücht über eine mögliche Schieflage der Bank kann zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung werden, wenn eine große Zahl von Sparern gleichzeitig zur Bank rennt, um ihr Geld abzuheben - und die Bank dadurch tatsächlich zusammenbricht. Um dies zu verhindern, empfahlen die beiden Wirtschaftswissenschaftler eine staatlich garantierte Einlagensicherung, durch die der Staat als „Kreditgeber der letzten Instanz“ auftritt und die Spareinlagen der Bankkunden garantiert.
Bernanke, der acht Jahre lang Fed-Chef war und inzwischen Mitglied der einflussreichen US-Denkfabrik Brookings Institution ist, wurde dagegen für seine Forschung zur Großen Depression der 1930er Jahre geehrt. Er habe dabei aufgezeigt, dass der Bankrun ein entscheidender Faktor dafür war, dass die Krise so tief und langanhaltend war. Als die Banken zusammenbrachen, seien wertvolle Informationen über die Kreditnehmer verloren gegangen und die Fähigkeit der Gesellschaft, Ersparnisse in produktive Investitionen zu lenken, sei dadurch stark beeinträchtigt worden, heißt es in der Pressemitteilung der Akademie.
„Die Erkenntnisse der Preisträger haben unsere Fähigkeit verbessert, sowohl schwere Krisen als auch teure Rettungsaktionen zu vermeiden“, sagt Tore Ellingsen, Vorsitzender des Komitees für den Preis in Wirtschaftswissenschaften.
Ben Bernanke, der ehemalige Chef der Federal Reserve, erhält also den Nobelpreis für Erkenntnisse, die „schwere Krisen und teure Rettungsaktionen vermeiden“? Ben Bernanke, Retter der Banken, Vater der Finanzblasen, Meister der Notenpresse, Zerstörer des Preisfindungsmechanismus? Ja, genau der.
Ben Bernanke: Architekt der Bankenrettung
Ben Bernanke war zwischen 2002 und 2014 Mitglied im Offenmarktausschuss der Federal Reserve (FOMC) und war von 2006 bis 2014 Vorstandsvorsitzender der US-Notenbank. Kurz nach dem Platzen der Dotcom-Blase sorgte er für Aufsehen, als er anregte, die US-Notenbank solle Staatsanleihen aufkaufen, um eine aufkommende Deflation zu vermeiden. Japan empfahl er 2002 sogar, die Deflation zu bekämpfen, indem die Zentralbank direkt Geld für die Bürger drucke – und erwarb sich damit den Spitznamen Helikopter-Ben.
Als Mitglied des Offenmarktauschusses war Bernanke mitverantwortlich für die Zinssenkungen, die viele US-Bürger wenige Jahre später in die Subprime-Zinsfalle lockten. Als dann bereits erste Marktteilnehmer – darunter „Mr. Big Short“ Michael Burry – vor einem Platzen der Blase im US-Immobilienmarkt warnten, sagte Bernanke noch im Mai 2007, die Lage im Subprime-Markt sei „unter Kontrolle“.
Als sich dies als dramatische Fehleinschätzung herausstellte, ließ sich der Fed-Chef sogar noch zur Aussage hinreißen, die Krise am Subprime-Markt werde „die gesamte Wirtschaft nicht nennenswert beschädigen“. Auch damit lag Bernanke, dessen Aufgabe die Überwachung der Finanzmärkte war, grandios daneben. Es stellte sich schnell heraus, dass große Wall-Street-Banken knietief in toxischen Papieren steckten.
Es folgte die Insolvenz der Investmentbank Lehman Brothers und der Beinahe-Kollaps von Bear Stearns und Merrill Lynch. Den Zusammenbruch der bis dahin reinen Investmentbanken Goldman Sachs und Morgan Stanley verhinderte Bernanke nur, indem er ihnen mitten in einer Sonntagnacht im September 2008 die Bundesbanklizenz verlieh und ihnen damit den lebensrettenden Zugang zur Liquidität der Fed garantierte.
In der Folge wurden – ganz im Sinne seiner Forschungsarbeit – gigantische Rettungspakete für Banken und Versicherungen geschnürt. Die gesamte Bailout-Rechnung für den US-Steuerzahler belief sich laut Schätzungen des MIT auf knapp 500 Milliarden Dollar. Doch damit war es nicht getan, denn die Finanzkrise sendete Schocks durch die gesamte Weltwirtschaft und drohte, das gesamte System mit in den Abgrund zu reißen.
Also startete die Fed unter Bernankes Aufsicht den gezielten Aufkauf von Anleihen und Wertpapieren (Quantitative Easing, QE), um den Finanzmarkt zu stabilisieren – sehr zur Freude der Wall Street. Denn das führte in erster Linie dazu, dass die Aktienpreise in den kommenden Jahren von einem Allzeithoch zum nächsten eilten, während die Kluft zwischen Arm und Reich auf ein nie dagewesenes Niveau anstieg.
Nobelpreis-Komitee untergräbt Glaubwürdigkeit
Ganz nebenbei dehnte Bernanke dabei die Bilanz der Federal Reserve von 860 Milliarden auf mehr als 4 Billionen Dollar aus, immer von dem Versprechen flankiert, die Fed werde irgendwann aus ihrer Nullzinspolitik aussteigen, die Bilanz abschmelzen und zum Normalzustand zurückkehren. Auch heute sind dieser Zustand und damit ein Ausweg aus der von Bernanke ausgelösten QE-Spirale nicht in Sicht. Zwar hebt die Fed die Zinsen wieder an, doch die Bilanzsumme ist auf fast 9 Billionen Dollar angeschwollen und die Fed als „Käufer der letzten Instanz“ fest im Finanzmarktgefüge etabliert.
Mit der Verleihung an Bernanke verliert der Nobelpreis weiter an Glaubwürdigkeit. Zugegeben: Schon mit der Verleihung des Friedensnobelpreises an Barack Obama im Jahr 2009 lag die Messlatte der Erwartungen denkbar niedrig. Obama war damals gerade erst zum US-Präsidenten gewählt worden und wurde schon für seine „außerordentlichen Bemühungen zur Stärkung der internationalen Diplomatie und der Zusammenarbeit zwischen den Völkern“ ausgezeichnet. Später ging er in die Geschichte ein als der erste US-Präsident, der sich in allen acht Jahren seiner zwei Amtszeiten im Krieg befand und Kriegseinsätze in mindestens sieben Ländern befehligte (Afghanistan, Irak, Syrien, Libyen, Jemen, Somalia und Pakistan).
Und dennoch: Bernanke den Nobelpreis für „seine Forschung zu Banken und Finanzkrisen“ zu verleihen erreicht ein neues Niveau in punkto Zynismus. Das in etwa so, als hätte man Robert Oppenheimer, dem Vater der Atombombe, den Nobelpreis für seinen Beitrag zum Weltfrieden verliehen. Da ist es auch nur wenig tröstlich, dass der Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften streng genommen gar kein echter Nobelpreis, sondern ein von der Schwedischen Reichsbank gestifteter Preis „in Erinnerung an Alfred Nobel“ ist. Dieser rotiert derzeit wohl so stark in seinem Grab in Stockholm, dass man es auch in Washington D.C. noch gut hören kann.