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Wirtschaft in schwerer Depression: Arbeitgeber rechnen mit Union und SPD ab!

Deutschlands Wirtschaft reißt die Geduld mit den Parteichefs der möglichen Schuldenkoalition (so wird die designierte Bundesregierung aus Union und SPD nicht nur von der FDP bezeichnet). In einem Brandbrief fordern Arbeitgeber von den künftigen Koalitionären eine historische Politikwende. Die Vertreter zeigen inzwischen sogar Verständnis für den Höhenflug der AfD, weil die etablierte Politik schlicht nicht liefert.
28.03.2025 16:03
Lesezeit: 3 min
Wirtschaft in schwerer Depression: Arbeitgeber rechnen mit Union und SPD ab!
Rainer Dulger, Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA): „Die kommenden vier Jahre müssen durch die Parteien genutzt werden – sonst schließt sich das Fenster, Wachstum in Europa gestalten zu können.“ (Foto: dpa) Foto: Sebastian Gollnow

Arbeitgeberpräsident Dulger: Brandbrief der Wirtschaft an Union und SPD

In einer Pressemitteilung von Arbeitgeberchef Rainer Dulger, die sich wie ein Brandbrief liest, erklärt der Wirtschaftsboss zu den laufenden Koalitionsverhandlungen den Vorsitzenden von Union und SPD: „Was die Wählerinnen und Wähler längst erkannt haben, müssen auch die Koalitionäre anpacken: Unsere Sozialsysteme haben keine nachhaltig tragfähige Finanzierung mehr. Mir ist noch kein einziger Vorschlag bekannt, der die steigenden Sozialbeiträge begrenzt.“

Kernbotschaft: Die Leute draußen im Land haben es „längst erkannt“, nur ihr kriegt es offenbar nicht mit. Eine bemerkenswerte Tonlage für einen Top-Verband der deutschen Wirtschaft und eine direkte Botschaft an Friedrich Merz, Lars Klingbeil, Markus Söder und Saskia Esken.

Tiefe Depression innerhalb der Unternehmen

Doch hinter dem Text verbirgt sich nicht weniger als ein Frontalangriff der Wirtschaft auf die unfähige Politik. „Was wir bislang aus den Arbeitsgruppen hören, stimmt mich nicht zuversichtlich. Ein Aufbruchsignal an die Wirtschaft ist noch nicht dabei. Die kommenden vier Jahre müssen durch die Parteien genutzt werden – sonst schließt sich das Fenster, Wachstum in Europa gestalten zu können.“

Es klingt freundlich, doch bei Dulger und seinen Mitgliedsunternehmen schwindet die Geduld. Der Hintergrund ist längst mehr nicht nur „ernst“, sondern dramatisch: Folgt man den Aussagen und Statements der letzten Wochen und Monate, beschreiben die Wirtschaftsverbände tagtäglich Insolvenzen und Stellenabbau in den Betrieben. In den Unternehmen gibt es eine tiefe Depression. Die Folge: Investitionsentscheidungen werden in diesen Tagen immer öfter nicht mehr für Deutschland getroffen, sondern fürs Ausland. Einmal abgewanderte Firmen oder Firmenteile kommen aber in der Regel nicht zurück. Die Investitionen, die heute nicht in Deutschland getroffen werden, sind die Wirtschaftsflaute der kommenden zehn Jahre, heißt es.

Und: Auch in der Wirtschaft äußern inzwischen Vertreter Verständnis für den Höhenflug der AfD, weil die etablierte Politik schlicht nicht liefert.

„Wir brauchen eine Koalition, die das nächste Jahrzehnt vorausdenkt“

Arbeitgeberpräsident Dulger: „Wir brauchen eine Koalition, die das nächste Jahrzehnt vorausdenkt. Ein Reformprogramm für Deutschland muss die vielen Vorschlagspapiere der Arbeitsgruppen ergänzen und fortentwickeln. Angesichts der geopolitischen und geoökonomischen Verwerfungen ist dies die wohl schon historische Aufgabe der vier Parteivorsitzenden, eine grundlegende Politikwende einzuleiten. Wer jetzt nicht entschlossen handelt, der bereitet dem Anstieg des Extremismus und Populismus den Weg.“

Arbeitgeber fordern: Schnelle Reform der Sozialsysteme

Wenn die Reform der Sozialsysteme nicht rasch und tiefgreifend gelingt, so der Spitzenverband der deutschen Wirtschaft, droht ein spürbarer Wohlstandsverlust für alle: „Bekommen wir das nicht gestoppt, landet nicht nur noch weniger Netto vom Brutto bei den Beschäftigten.

Auch die Belastungen für die Unternehmen steigen weiter, was uns bei Investitionen in Deutschland weiter zurückwirft.“ Und: „Auf die Mindestlohn-Kommission darf nicht weiter politischer Druck ausgeübt werden. Wir sollten uns nicht immer weiter vom Modell der Sozialpartnerschaft bei der Lohnfestsetzung entfernen.“ Hintergrund ist die politische Festsetzung des Mindestlohns, der auch die Tarifabschlüsse nach oben treibt und den Standort Deutschland mitten in der Krise noch teurer macht, anstatt Kapital anzulocken.

Ausdrückliche Forderung einer „Politikwende“

Das Schreiben ist auch deshalb bemerkenswert, weil solche Töne zuletzt gegenüber der Ampel und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) angeschlagen wurden. Wegen der vielen, sehr unterschiedlichen Mitgliedsunternehmen, muss Dulger in der Regel einen eher diplomatischen Ton anschlagen.

Dass er das Wort von der „Politikwende“ ausdrücklich verwendet, ist ein Zeichen an Kanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU), seine Wahlversprechen zu halten: „Die Chefverhandler von Union und SPD müssen die Chance nutzen, den Koalitionsvertrag noch zu einem großen Wurf zu machen. Wir brauchen eine Koalition, die das nächste Jahrzehnt vorausdenkt. Angesichts der geopolitischen und geoökonomischen Verwerfungen ist dies die wohl schon historische Aufgabe der vier Parteivorsitzenden, eine grundlegende Politikwende einzuleiten.“

„Ein Reformprogramm für Deutschland muss die vielen Vorschlagspapiere der Arbeitsgruppen ergänzen und fortentwickeln.“ Wenn das nicht passiert, droht der Wirtschaft der Kollaps.

Arbeitgeberpräsident für mehr 40-Stunden-Wochen

Zuletzt plädierte Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger für eine längere Wochenarbeitszeit. „Es wäre gut, wenn wir uns wieder bei mehr Beschäftigten in Richtung 40 Stunden bewegen“, sagte er der DPA. Die wöchentliche Arbeitszeit betrug 2023 nach Angaben des Statistischen Bundesamts im Durchschnitt 34,3 Stunden.

„Wenn wir uns darüber freuen, dass wir im Moment 46 Millionen Erwerbstätige haben, dann müssen wir auch darüber reden, dass diese 46 Millionen nicht wesentlich mehr arbeiten als die Deutschen vor etwa 20 Jahren“, merkte Dulger an. Damals habe es weniger Beschäftigte und Einwohner gegeben.

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Mirell Bellmann

Mirell Bellmann schreibt als Redakteurin bei den DWN über Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Zuvor arbeitete sie für Servus TV und den Deutschen Bundestag.

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