Brasilien steht vor einem Machtwechsel. Der linke Politiker Luiz Ignacio Lula da Silva hat nach offiziellen Angaben die Präsidentenwahl in Brasilien gewonnen. Der Herausforderer und frühere Präsident kam bei der Stichwahl am Sonntag nach Auszählung von 99,1 Prozent der Stimmen auf 50,8 Prozent, wie das Oberste Wahlgericht mitteilte. Damit sei die Wahl mathematisch zugunsten Lulas entschieden. Der Amtsinhaber Jair Bolsonaro erhielt bei diesem Auszählungsstand 49,2 Prozent der Stimmen. Lula soll sein Amt am 1. Januar antreten.
Nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses schrieb Lula auf Twitter "Demokratie" zu einem Foto seiner linken Hand über der brasilianischen Flagge. Ihm fehlt seit einem Unfall als Metallarbeiter der kleine Finger seiner linken Hand. In seiner ersten Rede als künftiger Präsident Brasiliens versprach Lula, das geteilte Land zu einen und dafür zu sorgen, dass die Brasilianer "die Waffen niederlegen, die sie nie hätten ergreifen sollen". "Ich werde für 215 Millionen Brasilianer regieren, und nicht nur für diejenigen, die mich gewählt haben", sagte er am Abend in seiner Wahlkampfzentrale. "Es gibt keine zwei Brasiliens. Wir sind ein Land, ein Volk, eine große Nation".
US-Präsident Joe Biden gratulierte Lula zu einem Sieg bei "freien, fairen und glaubwürdigen Wahlen", er freue sich auf die weitere Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron schloss sich den Glückwünschen an. Die beiden Staatsoberhäupter würden "die Freundschaftsbande zwischen ihren Ländern erneuern", schrieb Macron auf dem Kurznachrichtendienst.
Ähnlich wie Ex-Präsident Donald Trump in den USA hat auch Bolsonaro bislang unbelegte Zweifel an der Zuverlässigkeit der Wahlmaschinen geäußert und damit Sorgen geschürt, er könnte das Ergebnis nicht anerkennen. Die Wahlbehörden bereiten sich Insidern zufolge darauf vor, dass Bolsonaro das Ergebnis anfechten könnte, sagten mit der Angelegenheit vertraute Personen der Nachrichtenagentur Reuters. Es seien Sicherheitsvorkehrungen getroffen worden für den Fall, dass seine Anhänger auf die Straße gehen. Am Wahltag hatten Straßenkontrollen der Polizei bei Anhängern Lulas Befürchtungen ausgelöst, sie sollten an der Stimmabgabe gehindert werden.
Bei der Wahl waren rund 120 Millionen Bürger aufgerufen, ihre Stimme mit elektronischen Wahlmaschinen abzugeben. Beide Kandidaten stellten sich der Stichwahl, da beim ersten Wahlgang Anfang Oktober kein Kandidat mehr als 50 Prozent der Stimmen erhielt. Der Abstimmung war ein polarisierender Wahlkampf vorausgegangen. Die Kluft zwischen beiden Lagern in der Gesellschaft ist so tief wie nie seit der Rückkehr des Landes zur Demokratie 1985. Beide Politiker machen sich gegenseitig massive Vorwürfe etwa wegen Korruption und haben damit zur Polarisierung der brasilianischen Gesellschaft beigetragen.
Im Ausland wird mit besonderer Aufmerksamkeit der Kampf gegen die Abholzung des Urwaldes im Amazonas-Becken verfolgt. Bolsonaro hatte den Umweltschutz abgeschwächt. Lula rief in seiner Rede am Sonntagabend zur internationalen Zusammenarbeit zum Schutz des Amazonas-Regenwaldes und für einen gerechteren Welthandel auf. Ein Thema des Wahlkampfes im Inland war die Abwehr drohender Hungersnöte. Rapide steigende Lebenshaltungskosten und die Folgen der Coronavirus-Pandemie gefährden die Versorgung mit Nahrungsmitteln in einem Ausmaß, das vor einem Jahrzehnt unvorstellbar erschien. Eine Rolle spielte auch der Umgang mit der Pandemie. Bolsonaro sprach mit Blick auf das Virus von einer "kleinen Erkältung".
In seiner nun dritten Amtszeit ist Lula mit einer angeschlagenen Wirtschaft, engen Haushaltsvorgaben und einer zunehmend einflussreicheren Opposition konfrontiert. Bolsonaros Verbündete bilden den größten Block im Kongress, nachdem die Parlamentswahlen in diesem Monat die Stärke seiner konservativen Koalition untermauert haben.