Finanzen

EZB zieht Rekordsumme von 300 Milliarden Euro aus dem Bankensystem

Lesezeit: 3 min
18.11.2022 12:23  Aktualisiert: 18.11.2022 12:23
Die Banken der Eurozone erhielten eine erste Gelegenheit, ihre TLTRO-Kredite bei der EZB zurückzuzahlen. Sie gaben knapp 300 Milliarden Euro zurück.

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

--- UPDATE 12:30 Uhr ---

Geldhäuser im Euro-Raum wollen von der EZB gewährte mehrjährige Kreditsalven im Umfang von mehreren hundert Milliarden Euro frühzeitig zurückzahlen. Insgesamt würden Institute bei der dritten Serie zielgerichteter Kreditspritzen, die in der Fachwelt "TLTRO III" genannt werden, 296,29 Milliarden Euro vorzeitig zurückgeben, teilte die Europäische Zentralbank (EZB) am Freitag mit. Das liegt deutlich unter den Erwartungen vieler Analysten, die mit rund 500 Milliarden Euro gerechnet hatten.

Die Währungshüter wollten mit den für die Banken sehr lukrativen langfristigen Kreditgeschäften erreichen, dass die Geschäftsbanken während der Corona-Krise über ausreichend Liquidität verfügen. Zuletzt saßen Banken in der Euro-Zone auf Geldern aus solchen langfristigen Kreditspritzen im Volumen von rund 2,1 Billionen Euro.

--- ENDE UPDATE ---

Die Europäische Zentralbank (EZB) beginnt am Freitag mit dem größten Geldabzug aus dem Euro-Bankensystem in der Geschichte der Währungsunion. Die Banken erhalten dabei eine erste Gelegenheit, Hunderte von Milliarden Euro an billigen Langzeitkrediten an die Zentralbank zurückzuzahlen. Der Schritt ist Teil der von der EZB eingeleiteten Zinswende, mit der sie das erklärte Ziel verfolgt, die rekordhohe Inflation in der Eurozone zu bekämpfen.

Im nächsten Jahr will die Notenbank noch mehr Liquidität abschöpfen, indem sie beginnt, ihr mehrere Billionen Euro schweres Anleihenportfolio abzubauen. Die Zentralbank der Eurozone wird am Freitag bekannt geben, wie viel die Banken von den 2,1 Billionen Euro an mehrjährigen Krediten, die sie im Rahmen ihrer gezielten längerfristigen Refinanzierungsgeschäfte (TLTRO) aufgenommen haben, zurückzahlen wollen.

Diese vorzeitige TLTRO-Rückzahlung ist zwar freiwillig, aber die EZB hat den Banken zuletzt Anreize gegeben, diese Kredite loszuschlagen. Denn auf ihrer Zinssitzung im Oktober hatte die Notenbank beschlossen, die sehr günstigen Konditionen der Langfristkredite anzupassen. Sie kündigte an, die Zinssätze für die TLTRO-III-Kreditspritzen mit Wirkung zum 23. November 2022 zu verändern.

Analysten gehen davon aus, dass die Banken in dieser Woche TLTRO-Kredite im Wert von rund einer halben Billion Euro zurückzahlen werden, was den größten Rückgang der Überschussliquidität seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2000 bedeuten würde.

Die EZB wird abwarten, wie der Markt diesen plötzlichen Rückgang der Liquidität verdaut, um zu beurteilen, wie schnell sie mit der Rücknahme des 3,3 Billionen Euro schweren Programms zum Ankauf von Vermögenswerten fortfahren kann, das auf ihrer Sitzung am 15. Dezember diskutiert werden soll. Am stärksten werden sich die Rückzahlungen auf die Peripherieländer auswirken, da ein größerer Teil ihrer Staatsanleihen wieder auf den Markt kommt, nachdem sie bei der EZB als Sicherheiten für die TLTRO-Kredite hinterlegt wurden.

"Italien, Spanien, Portugal und Griechenland würden eindeutig unter den hohen Rückzahlungen leiden, während die Auswirkungen für Deutschland und Frankreich geringer wären", zitiert Reuters Louis Harreau, Stratege bei Credit Agricole. Harreau gibt jedoch zu bedenken, dass es für die Banken in Südeuropa weniger Anreize zur Rückzahlung gibt, da sie bei ihrer Finanzierung stärker auf TLTRO angewiesen seien als die Banken im Norden der Eurozone.

Der andere Bereich, auf den sich die EZB konzentrieren wird, sind die Geldmärkte, wo sich die Banken untereinander kurzzeitig Geld leihen. Diese Märkte wurden jahrelang durch die Politik der EZB behindert, da die Banken keine hochwertigen Anleihen finden konnten, die sie als Sicherheiten für die Kreditaufnahme verwenden konnten, oder weil sie keinen Anreiz hatten, dies zu tun, da sie die TLTRO nutzen konnten.

Marco Brancolini, ein Analyst bei Nomura, sagte jedoch, dass er von der TLTRO-Rückzahlung keine großen Auswirkungen erwartet, selbst wenn die Banken 600 Milliarden Euro zurückzahlen würden. Er führt eine EZB-Umfrage vom letzten April an, wonach 56 Prozent der Banken das TLTRO-Geld für die Vergabe von Krediten an den privaten Nicht-Finanzsektor verwendeten und 44 Prozent sagten, dass sie auch einen Teil davon bei der EZB hinterlegten.

"Letzteres ist der Teil, der zurückgezahlt werden sollte, mit begrenzten Auswirkungen auf die Realwirtschaft", sagte Brancolini. "Nur ein begrenzter Teil der TLTRO-Mittel wurde für den Kauf von Anleihen verwendet: Es ist unwahrscheinlich, dass die Banken diese Positionen auflösen, da dies kurz vor dem Jahresende zu Verlusten führen würde."

Die Banken hatten bis zum 16. November Zeit, der EZB ihre Absicht mitzuteilen, TLTRO-Kredite zurückzuzahlen, aber die Rückzahlung erfolgt erst am 23. November. Das nächste Rückzahlungsfenster ist für den 21. Dezember angesetzt, was bedeutet, dass sich einige Banken dafür entscheiden könnten, bis dahin zu warten, bevor sie einen Schritt machen, so die Analysten.

"Diese beträchtlichen vorzeitigen Rückzahlungen verringern die Bilanz des Euro-Systems", twitterte EZB-Direktorin Isabel Schnabel nach Veröffentlichung der Zahlen. Zum Euro-System zählen die EZB und die angeschlossenen Notenbanken der 19 Euro-Länder im Währungsraum. Die Rückzahlungen würden zur allgemeinen Normalisierung der Geldpolitik beitragen, erklärte Schnabel. Im sechsköpfigen EZB-Führungsteam ist die deutsche Volkswirtin für die konkrete Umsetzung der Geldpolitik zuständig.


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Bildung für die Zukunft SOS-Kinderdorf Thüringen im Einsatz für die Demokratie

In einer Zeit, in der die Unzufriedenheit mit der Politik wächst, engagiert sich das SOS-Kinderdorf Thüringen mit einem Demokratieprojekt...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Quiet Quitting: Der stille Job-Rückzug mit gefährlichen Folgen
22.12.2024

Ein stiller Rückzug, der Unternehmen erschüttert: Quiet Quitting bedroht die Substanz deutscher Betriebe. Warum immer mehr Beschäftigte...

DWN
Politik
Politik Steuern und Abgaben: Mehrheit der Steuerzahler zahlt 2025 noch mehr – mit oder ohne Ampel!
22.12.2024

Das „Entlastungspaket“ der Ampel ist eine Mogelpackung, denn Steuersenkungen sind nicht vorgesehen. Im Gegenteil: Ab dem 1. Januar 2025...

DWN
Technologie
Technologie DWN-Sonntagskolumne: Künstliche Intelligenz Hype Cycle - Zwischen Revolution und Enttäuschung
22.12.2024

Ist künstliche Intelligenz nur ein Hype oder der Beginn einer Revolution? Zwischen hohen Erwartungen, Milliardeninvestitionen und...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Psychische Gewalt am Arbeitsplatz: Ursachen, Folgen und Lösungen
22.12.2024

So können Unternehmen gegen verbale Übergriffe aktiv werden- Beleidigungen, Drohungen und Beschimpfungen: Rund ein Drittel der...

DWN
Politik
Politik Migrationskrise: Asyl-Rekordhoch in Deutschland und die illegale Migration an den Grenzen geht ungebremst weiter
22.12.2024

In Deutschland leben fast 3,5 Millionen Geflüchtete, von Asylsuchenden über anerkannte Flüchtlinge bis zu Geduldeten. Das ist ein neuer...

DWN
Finanzen
Finanzen Kindergeld beantragen: Tipps und wichtige Infos für 2025
22.12.2024

Wussten Sie, dass Sie Kindergeld bis zu sechs Monate rückwirkend erhalten können? Dies gilt sowohl für Ihr erstes Kind als auch für...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Märchen vorbei? Steht Deutschlands Automobilindustrie vor dem Aus?
22.12.2024

Volkswagen in der Krise, Mercedes, BMW & Co. unter Druck – und hunderttausende Jobs stehen auf dem Spiel. Wie kann der Kampf um...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Credit Suisse-Debakel: Ausschuss sieht Schuld bei Bank
22.12.2024

Die Nervosität an den Finanzmärkten war im Frühjahr 2023 groß - drohte eine internationale Bankenkrise? Für den Schweizer...