Wirtschaft

Wirtschaftsboom: Exilrussen stärken Georgien

Viele Menschen aus Russland sind dieses Jahr nach Georgien emigriert. Die Neuankömmlinge investieren in die Wirtschaft und erzeugen so ein starkes Wachstum.
22.11.2022 15:00
Lesezeit: 5 min
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Einer der größten wirtschaftlichen Profiteure des Kriegs in der Ukraine ist Georgien. Von vielen unbeachtet hat das Land durch den Zustrom vieler Russen profitiert. Seit Beginn des Krieges sind laut der georgischen Regierung Zehntausende von Russen nach Georgien gekommen, wie die unabhängige Nachrichtenorganisation Eurasianet berichtet. Die Daten des Wirtschaftsministeriums deuten darauf hin, dass die Wirtschaft boomt: Das Bruttoinlandsprodukt ist in Georgien zweistellig gestiegen, die Währung ist so stark wie seit Jahren nicht mehr und die Überweisungen fließen in Strömen.

Nicht bei allen Georgiern kommt dieser positive Aspekt jedoch an. Viele sehen als die greifbarste wirtschaftliche Veränderung die steigende Inflation und die Integration der Neuankömmlinge aus Russland funktioniert laut Eurasianet noch nicht wie gewünscht.

Georgische Währung wird immer stärker

Neun Monate nach Beginn des Krieges sind die große Zahl russischer Emigranten in den georgischen Großstädten und ihr wirtschaftlicher Beitrag unübersehbar. An den Devisenmärkten wird der georgische Lari immer stärker. Er wird jetzt zu etwa 2,7 pro US-Dollar gehandelt, verglichen mit einem relativ stabilen Kurs von 3,1 US-Dollar vor dem Krieg. Auch in den Restaurants und Cafés sind Russisch sprechende Gäste in der Regel in der Überzahl, und zwar sowohl in den noblen Etablissements im Stadtzentrum als auch in den bescheideneren Lokalen in den Außenbezirken.

Die Neuankömmlinge „geben Geld in unserer Wirtschaft aus, wenn sie etwas konsumieren, bedeutet das natürlich eine Ankurbelung der Wirtschaft“, sagte Wirtschaftsminister Lewan Dawitaschwili im Oktober im Parlament. Die erste Welle von Migranten kam unmittelbar nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine im Februar aus Russland und floh laut Eurasianet vor Sanktionen und einem harten Vorgehen gegen Kritiker.

Im Sommer verzeichnete Georgien dann laut der Nachrichtenseite eine ungewöhnlich hohe Zahl russischer Urlauber, wobei die Zahlen im August sogar die Werte vor der Pandemie übertrafen. Ende September erlebte Georgien dann laut Eurasianet eine weitere große Welle von Migranten, diesmal Männer im militärischen Alter, die vor dem russischen Mobilisierungsaufruf flohen.

Georgiens Nationalbank nennt Phänomen „Kriegseffekt“

Über die Gesamtzahl derjenigen, die seit Beginn von Russlands Angriffskrieg in der Ukraine aus Russland gekommen und in Georgien geblieben sind, wird nur spekuliert, aber Regierungsbeamte schätzen sie auf etwas weniger als 100.000 - das sind fast 3 Prozent der Bevölkerung des Landes. Da die georgische Einwanderungspolitik russischen Staatsbürgern erlaubt, sich ein Jahr lang ohne Visum im Land aufzuhalten, ist es schwierig, die Zahlen der Migranten von denen der Touristen zu unterscheiden. Und da das Land nach der Pandemie einen allgemeinen Aufschwung des Tourismus erlebt, stellt die Untersuchung der wirtschaftlichen Auswirkungen des russischen Zustroms eine Herausforderung dar.

Die Nationalbank von Georgien, die das Phänomen als „Kriegseffekt“ bezeichnet, hat im Oktober ihre eigenen Berechnungen angestellt und schätzt die Gesamtzahl der russischen und weißrussischen Bürger, die infolge des Krieges ins Land gekommen sind, auf 80.000 bis 90.000. Die Bank geht davon aus, dass diese Menschen in diesem Jahr zusätzliche 500 Millionen Dollar zur georgischen Wirtschaft beisteuern werden, was etwa 15 Prozent aller "reisebedingten Einnahmen" oder Gelder im Zusammenhang mit Migration und Tourismus entspricht.

Mehrere andere Studien bestätigen die erheblichen Auswirkungen der neuen Migranten auf die georgische Wirtschaft. Das Institut für die Entwicklung der Informationsfreiheit, eine georgische Denkfabrik, analysierte Daten vom Ausbruch des Krieges bis Ende August und stellte fest, dass mehr als 45.000 russische Bürger neue Konten bei georgischen Banken eröffnet hatten. Die Einlagen russischer Bürger haben sich im Vergleich zur Vorkriegszeit fast verdreifacht und sind um etwa 1,2 Milliarden Lari (ca. 445 Millionen Dollar) gestiegen.

9.500 neue russische Unternehmen in Georgien

In einer weiteren im November veröffentlichten Studie stellte die Korruptionsbekämpfungsorganisation Transparency International Georgien fest, dass von März bis September 9.500 neue russische Unternehmen (die überwiegende Mehrheit von ihnen Einzelunternehmer, ein Geschäftsmodell, das üblicherweise von einzelnen Freiberuflern genutzt wird) in Georgien registriert wurden, zehnmal mehr als im gesamten Jahr 2021. Die Überweisungen aus Russland verfünffachten sich laut Eurasianet zwischen April und September und erreichten 1,1 Milliarden Dollar. In diesen Studien wurde die jüngste Welle von Überweisungen, die mit der Mobilisierung im September begann, nicht berücksichtigt, so dass die Auswirkungen in Wirklichkeit noch größer sind.

Der Krieg kam jedoch auch zu einem Zeitpunkt, als Georgien nach der pandemiebedingten Rezession bereits eine rasche wirtschaftliche Erholung erlebte und im Januar ein BIP-Wachstum von 18 % im Vergleich zum Vorjahr verzeichnete. Und der Zustrom von Russen ist nur eine der wirtschaftlichen Auswirkungen des Krieges; eine weitere ist laut Eurasianet der Anstieg der Einnahmen durch die steigende Transitnachfrage, da internationale Spediteure versuchen, die traditionellen Routen durch Russland zu vermeiden.

Unabhängig von der Ursache sind die Wachstumsprognosen in die Höhe geschnellt: Der internationale Währungsfonds hatte für Georgien ein BIP-Wachstum von 5,4 Prozent im Jahr 2022 prognostiziert, und unmittelbar nach Beginn von Russlands Angriffskrieg wurde dann vom IWF prognostiziert, dass das Wachstum auf bis zu 3 Prozent fallen könnte. Nun aber rechnet der Fonds mit einem Wachstum von 10 Prozent für das Jahr.

Dramatischer Anstieg der Mieten

„Die georgische Wirtschaft hat sich im Jahr 2022 gut entwickelt, da die negativen Auswirkungen des Krieges in der Ukraine bisher im Allgemeinen weniger stark waren als erwartet“, sagte James John, ein IWF-Beamter, nach einem Besuch in Tiflis Anfang November. „Lebhafte Einnahmen aus dem Tourismus, ein durch den Krieg ausgelöster Anstieg der Einwanderung und der Finanzzuflüsse sowie ein Anstieg des Transithandels durch Georgien folgen auf eine robuste Erholung von der Pandemie."

Die robusten Wachstumszahlen wurden jedoch von der Inflation übertroffen, die der IWF für 2022 auf 10,5 Prozent schätzt. Für viele Georgier ist dies die Zahl, die das wirtschaftliche Bild weniger rosig erscheinen lässt, als Ökonomen und die Regierung es beschreiben. Neben der Inflation hat der Zustrom von Russen laut Eurasianet zu einem dramatischen Anstieg der Mieten geführt.

Eine kürzlich durchgeführte Meinungsumfrage des Internationalen Republikanischen Instituts ergab, dass 71 Prozent der Befragten der Meinung sind, die Wirtschaft des Landes habe sich im vergangenen Jahr verschlechtert. Wirtschaftliche Probleme, darunter Arbeitslosigkeit und steigende Lebenshaltungskosten, standen weiterhin ganz oben auf der Liste der größten Sorgen der Georgier.

Die Umfrage zeigte auch, dass die Georgier dem Zustrom von Russen weitgehend ablehnend gegenüberstehen. 78 Prozent der Befragten lehnten es ab, dass russische Staatsbürger ohne Visum nach Georgien einreisen, ein Unternehmen anmelden oder eine Immobilie erwerben. Doch abgesehen von den unterschiedlichen Ansichten über die Auswirkungen des Zustroms sind sich die Wirtschaftsexperten auch uneins darüber, wie dauerhaft die Auswirkungen sein werden.

Migration konzentriert sich auf Tiflis und Batumi

„Dies ist wahrscheinlich nur ein einmaliger Effekt, und vieles wird von Russlands wirtschaftlicher Lage in der Zukunft abhängen“, sagte Lyaziza Sabyrova, eine Beamtin der Asiatischen Entwicklungsbank am 29. September gegenüber Reportern. Die Auswirkungen der zweiten Migrationswelle, die ein anderes demografisches Profil aufweise, müssten noch untersucht werden, so Sabyrowa.

Otar Nadaraia, Chefökonom der georgischen TBC Bank, glaubt, dass die Auswirkungen länger anhalten könnten: „Ich glaube nicht, dass es sich nur um einen kurzfristigen Effekt handelt. Selbst wenn die geopolitische Lage wieder so wird wie früher, denke ich, dass eine große Zahl von Migranten langfristig in Georgien bleiben wird“, erklärte er Ende September gegenüber Business Media Georgia.

Nadaraia sagt, dass sich die Migration derzeit auf zwei georgische Städte, Tiflis und Batumi, konzentriere und dass für ein gesünderes Wachstum sich auch andere Teile des Landes entwickeln müssten: „Mit einem solchen Ansatz besteht eine gute Chance, dass wir einen größeren Zustrom nicht nur aus Russland, sondern auch aus anderen Ländern erleben werden, was letztendlich dazu beitragen wird, die Abwanderung unserer Bevölkerung aus diesen wirtschaftlich schwachen Gebieten zu verringern.“

Der Zustrom russischer Einwanderer hat unterschiedliche Folgen für Georgien gehabt. Die Wirtschaft profitierte auf der einen Seite, die Inflation bliebt dennoch erhalten und es kam zu einem Anstieg der Mieten. Es bleibt abzuwarten, welchen langfristigen Effekt man in Zukunft sehen wird und in welche Richtung sich die Wirtschaft in Georgien bewegt.

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