Der Bundestag hat das transatlantische Wirtschafts- und Handelsabkommen CETA zwischen der EU und Kanada ratifiziert. Für das entsprechende Gesetz stimmten 559 Abgeordnete aus den Parteien SPD, CDU/CSU, FDP und Bündnis 90/Grüne. Geschlossen dagegen stimmten die Abgeordneten der Parteien Die Linke und AfD.
Das Comprehensive Economic and Trade Agreement (kurz: CETA, zu Deutsch: „Umfassendes Wirtschafts- und Handelsabkommen“) wurde bereits seit 2009 verhandelt und am 30. Oktober 2016 zwischen der EU und Kanada unterzeichnet. Seitdem wird CETA vorläufig angewendet. Vollends in Kraft tritt das Abkommen jedoch erst, wenn alle EU-Mitgliedsstaaten den Vertrag in nationales Recht überführen. Nach Deutschland fehlen noch elf weitere Staaten.
CETA – Handelsabkommen zwischen Kanada und EU
Die deutsche Wirtschaft äußerte Zustimmung zur Ratifizierung des Abkommens. „Es muss der EU jetzt neuen Schwung in der Handelspolitik verleihen. Deutschland und die EU brauchen offene Märkte, gerade in Zeiten des zunehmenden Protektionismus“, sagte der Präsident des Industrieverbandes BDI, Siegfried Russwurm gegenüber der Tagesschau.
Ähnlich äußerte sich Automobilverband VDA. „Wir müssen unsere Zusammenarbeit mit anderen Ländern ausbauen und intensivieren“, so VDA-Präsidentin Hildegard Müller. Es brauche mehr Investitions- und Handelsabkommen sowie mehr Energie- und Rohstoffpartnerschaften. Der Chemieverband VCI verwies beispielhaft auf die Mercosur-Staaten Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay sowie Australien, Südostasien, Indien, Afrika und auch die USA. „CETA sollte nur ein erster Schritt auf dem Weg zum freien Handel sein.“
Unter CETA fallen demnach 98 Prozent aller Waren, die zwischen Kanada und der EU gehandelt werden. Die EU-Kommission erhofft sich durch CETA einen BIP-Zuwachs um 12 Milliarden Euro jährlich. Laut Industrieverband DIHK profitierten europäische Unternehmen pro Jahr vom Wegfall der Zölle in Höhe von rund 590 Millionen Euro. Seit der vorläufigen Anwendung von CETA sind deutsche Exporte nach Kanada um 25 Prozent gestiegen. 2021 wurden nach Kanada deutsche Güter im Wert von zehn Milliarden Euro exportiert, die Importe summierten sich auf 6,2 Milliarden.
„Wir verdanken dem Abkommen, dass die Ausfuhren nach Kanada in den letzten fünf Jahren um mehr als ein Viertel gestiegen sind“, sagte der Präsident des Großhandelsverbandes BGA, Dirk Jandura. „Selbst 2020 gab es trotz der Corona-Pandemie einen Zuwachs von über 15 Prozent. CETA hat insbesondere kleinen und mittleren Unternehmen geholfen, nach Kanada zu exportieren und sich dort zu etablieren.“
CETA stärkt Konzerne und schwächt den Mittelstand
Ob CETA jedoch tatsächlich ein Abkommen zur Stärkung des deutschen Mittelstands ist, darf mindestens bezweifelt werden. Das Vertragswerk wurde vielmehr für Großunternehmen und Konzerne geschrieben, denen es um Markenschutz, Zollsenkung und nicht zuletzt eine Ausschaltung des Wettbewerbs geht. Das zeigt sich nirgendwo deutlicher als an den – auch im Vorfeld vielfach kritisierten – Schiedsgerichten („investor-state dispute settlements“, kurz: ISDS). Neben der Zollfreiheit sind diese zentraler Bestandteil des Abkommens.
Demnach können Investoren im Rahmen von CETA künftig gegen Unterzeichnerländer auf Schadenersatz und Entschädigung klagen, wenn sie ihre Investitionen in dem Land gefährdet sehen. Die Hürden zum Zugang solcher Schiedsgerichtsverfahren, beispielsweise bei Patentrecht- oder Wettbewerbsstreits, sind derart hoch, dass sie in der Regel nur von Konzernen geleistet werden können. Dazu ziehen sich diese Verfahren über lange Zeit hin, sodass kein Mittelständler sich die andauernden Rechtskosten leisten können wird.
Bisher ist auch unklar, was alles vom CETA-Investorenschutz erfasst wird. Laut Angaben des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) seien den Schiedsverfahren enge Grenzen gesetzt. Demnach müssten Unternehmen nicht nur ihren Sitz in Kanada haben, um Deutschland auf Schadenersatz verklagen zu können, sondern auch ihre Geschäftstätigkeit sowie maßgebliche Direktinvestitionen. Ausgeschlossen wären nach dieser Auslegung auch rein finanzielle Investitionen, beispielsweise durch institutionelle Fonds.
Dagegen kommt ein Rechtsgutachten, das im Auftrag des Vereins „Mehr Demokratie e.V.“ erstellt wurde, zu dem Schluss, dass solche indirekten Investitionen sehr wohl unter die Investorenschutzregeln fallen würden. Darin heißt es: „CETA verwendet jedoch einen breiten Investitionsbegriff, ohne besondere Anforderungen an eine Mindesteinflussmöglichkeit durch die Investition zu stellen. […] CETA differenziert demnach nicht zwischen […] ausländischen Direktinvestitionen und den davon nicht abgedeckten Portfolioinvestitionen, sondern regelt beide gleichermaßen.“
Ein Beispiel für Schiedsgerichte: Chevron vs. Ecuador
Für Konzerne sind diese Schiedsgerichte eine Gelegenheit, sich im Zweifel über nationales Recht hinwegsetzen zu können. Das veranschaulicht der Fall Chevron gegen Ecuador, der verschiedene Gerichte und Schiedsstellen bereits seit Anfang der Neunziger beschäftigt. Was war Auslöser des Streits? Zwischen 1964 und 1992 förderte das US-Unternehmen Texaco, das später von Chevron übernommen wurde, im Amazonasgebiet Ecuadors Erdöl.
Als Folge der Exploration entstanden schwere Umweltschäden, etwa 900 Müllhalden mit toxischen Abfallprodukten und mehr als 30.000 betroffene Menschen, bei denen unter anderem ein Anstieg von Krebserkrankungen nachgewiesen wurde. Die Geschädigten reichten Sammelklagen ein, zunächst in den USA und dann – als sich die US-Gerichte für unzuständig erklärten – in Ecuador. 2008 entschied das Oberste Gericht Ecuadors, dass Chevron Schadenersatz in Höhe von 27 Milliarden US-Dollar zahlen müsse.
Chevron ging gegen das Urteil vor und nutzte dabei auch seinen Einfluss auf die US-Regierung, um Ecuador zuvor zugesicherte Handelsvorteile zu entziehen. Darüber hinaus verklagte Chevron die Regierung von Ecuador 2009 vor dem Ständigen Schiedshof in Den Haag und bezog sich in seiner Klage auf ein bilaterales Investitionsschutzabkommen (BIT).
Das Schiedsgericht kommt zu dem Schluss, dass das BIT für Ecuador bindend ist und das Andenland dem Ölkonzern 112 Millionen Dollar Schadenersatz zahlen muss. Außerdem macht das Schiedsgericht Ecuador 2016 haftbar für Rechtsverweigerung gegenüber Chevron und setzt die Vollstreckung des zuvor vom ecuadorianischen Gericht ausgesprochenen Urteils aus. Ecuadors Einspruch gegen den Schiedsspruch wurde abgelehnt, das Land erkennt das Ergebnis aus Den Haag nicht an.
Trotz jahrelangem Widerstand: Grüne stimmen für CETA
CETA stand mehrfach auf der Kippe. Eine frühere Ratifizierung scheiterte vor allem am öffentlichen Widerstand. 2016 gingen in Deutschland an einem Tag mehr als 200.000 Bürger auf die Straße, um gegen die Handelsabkommen TTIP und CETA zu protestieren. Sie fürchteten vor allem eine Aushöhlung von Umwelt- und Verbraucherschutzstandards sowie eine Aushebelung demokratischer Gesetzgebungsprinzipien und Rechtsstaatlichkeit. Angeführt wurde die Protestbewegung damals unter anderem von den Grünen.
Umso größer ist nun der Ärger an der Basis der Grünen, dass die Partei mit 100 ihrer 116 Abgeordneten für das transatlantische Handelsabkommen stimmte. Nur 3 Abgeordnete stimmten dagegen, der Rest enthielt sich oder war abwesend. Fraktionschefin Katharina Dröge begründete die Zustimmung ihrer Partei unter anderem damit, dass die Grünen den Investorenschutz durch eine „Interpretationserklärung“ abgeschwächt hätten.
Demnach sollen Konzerne nur noch vom Investorenschutz Gebrauch machen können, wenn ihnen „direkte Enteignung“ oder „Diskriminierung“ drohe. Und auch dann sollten auch nicht, wie bisher vorgesehen, geheim tagende Schiedsgerichte, sondern ordentliche Gerichte zuständig sein. „Missbräuchliche Klagen gegen Klimaschutz und Nachhaltigkeit seien damit Geschichte“, behauptete Dröge. Nachprüfen lässt sich diese Aussage nicht, denn besagte „Interpretationserklärung“ lag den Abgeordneten zum Zeitpunkt der Abstimmung nicht vor.
Kritiker bezeichnen die Schiedsgerichtsbarkeit in CETA als nur „geringfügig besser“ als in anderen Investitionsschutzabkommen. „Wichtiger sind eigentlich die materiellen Schutzstandards, die den Investoren gewährt werden“, sagte Cornelia Maarfield von der NGO Climate Action Network Europe gegenüber Euractiv.
Kritik von Linken, Umweltaktivisten und Verbänden
„Auch in CETA geht es nicht nur um direkte Enteignung, sondern auch um 'indirekte Enteignung'“, so Maarfield weiter. „Es gewährt Investoren auch ein 'Recht auf faire und gerechte Behandlung', was von vielen Schiedsgerichten dahingehend interpretiert wird, dass das regulatorische Umfeld stabil bleiben muss. Da die Staaten jedoch im Gefolge mehrerer Krisen gefordert sind, kann sich das regulatorische Umfeld erheblich ändern“.
Für die Partei Die Linke ist die Begründung der Grünen daher „nichts weiter als eine Mogelpackung“, wie Christian Leye von der Linksfraktion äußerte. Mehrere Rechtsgutachten würden die Auffassung seiner Partei bestätigen, wonach sich CETA ohne Neuverhandlung nicht entschärfen lasse. Der Pakt schaffe „Konzernsonderrechte, die den staatlichen Gestaltungsspielraum stark einschränken können“ und weiter: „Die Grünen sind umgekippt wie eine Topfpflanze im Wind“ und „Sie veräppeln ihre Basis“.
Ähnlich kritisch äußerten sich Verbände und Umweltaktivisten. In gemeinsamen Stellungnahme erklärten ATTAC Deutschland, die NaturFreunde Deutschlands und das Umweltinstitut München, dass sie im Gegensatz zu Industrievertretern nicht einmal zur Expertenanhörung geladen wurden. Sie kritisierten vor allem, dass CETA den Handel mit fossilen Brennstoffen zwischen Kanada und Deutschland schütze. Für Nachhaltigkeitsziele wie die Pariser Klimaziele oder die Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) seien keine sanktionsbewehrten Durchsetzungsmechanismen vorhanden.
„Eine Regierung, die globalen Konzernen Sonderklagerechte gegen staatliche Regulierungen einräumt und schon mit einer Neuauflage von TTIP liebäugelt, macht keinen zeitgemäßen Neuanfang“, sagte Hanni Gramann von ATTAC gegenüber den Nachdenkseiten. „Es gibt keine guten Gründe dafür, außer Dienstbarkeit gegenüber Konzerninteressen.“