Die Rallye bei europäischen Anleihen stockt. Denn Pläne der Europäischen Zentralbank, ihre Anleihebestände deutlich zu reduzieren, und die hohe Inflation in der Eurozone belasten den Markt. Wetten auf einen Kursrückgang deutscher Bundesanleihen, die als die sicherste Anlage in Europa gelten, haben sich in den letzten zwei Wochen verdreifacht. Die Kurse für deutsche und italienische zehnjährige Staatsanleihen sind diese Woche zum ersten Mal seit einem Monat gefallen.
Die jüngste weltweite Anleihenrallye wurde durch Wetten auf einen nachlassenden Preisdruck angetrieben. Doch nun warnen Anleger, dass die Inflation in Europa besorgniserregender ist. Hinzu kommt ein Anstieg der Kreditaufnahme. Die Strategen von Goldman Sachs und BNP Paribas erwarten daher, dass die Renditen auf zehnjährige deutsche Bundesanleihen im ersten Quartal auf 2,75 Prozent steigen werden. Dies wäre der höchste Stand seit mehr als zehn Jahren.
"Der Markt hat all diese positiven Nachrichten eingepreist, sodass er anfällig für einen Umschwung ist", zitiert Bloomberg Guillermo Felices, einen globalen Anlagestrategen bei der US-Investmentfirma PGIM, die ein Vermögen von 1,3 Billionen Dollar verwaltet. "Wir müssen sehr vorsichtig sein, denn dies könnte die Ruhe vor dem Sturm sein."
Im Hinblick auf die EZB-Entscheidung am kommenden Donnerstag erwarten die Anleger Einzelheiten darüber, wie die Notenbank ihre im Rahmen der quantitativen Lockerung gekauften Anleihen im Wert von 5 Billionen Euro abbauen will. Zwar hat die EZB einen schrittweisen Ansatz angedeutet, wahrscheinlich in Form einer Pause bei der Reinvestition fällig werdender Anleihen. Doch wird dies mit einer weiteren massiven Ausweitung der Staatsschulden kollidieren.
Dies wird durch Steuerprogramme vorangetrieben, die die Verbraucher vor einer Lebenshaltungskostenkrise schützen sollen. Im Gegensatz zu früheren staatlichen Finanzspritzen in den letzten zehn Jahren wird der Markt nicht mehr durch Anleihekäufe der Zentralbank gestützt werden. Die Privatanleger werden im nächsten Jahr die größte Menge an Staatsanleihen der Eurozone in diesem Jahrhundert zu verdauen haben, warnen die Banken.
Die Strategen der Commerzbank gehen derzeit davon aus, dass das Angebot an deutschen Bundesanleihen im nächsten Jahr auf den Rekordwert von 270 Milliarden Euro ansteigen wird. Angesichts dieses enormen Emissionsvolumens könnten die Anleger höhere Renditen verlangen, selbst von wirtschaftlich stärkeren Ländern wie Deutschland.
Voraussichtlich wird die EZB ebenso wie die Federal Reserve den Umfang ihrer Zinserhöhungen in der nächsten Woche auf 50 Basispunkte verlangsamen, nachdem sie zuvor eine Reihe von starken Zinserhöhungen um 75 Basispunkte vorgenommen hat. Laut Gurpreet Gill, Makrostratege bei Goldman Sachs Asset Management, müssen die Notenbanker einen Rückgang der Inflation auf 2 Prozent bis 2025 erwarten, um die Zinserhöhung im nächsten Jahr zu unterbrechen.
Die unterschiedlichen Aussichten für die USA und Europa sind vor allem auf die Energiekrise zurückzuführen. Denn der Wirtschaftskrieg gegen Russland belastet die europäische Wirtschaft viel stärker, vor allem die deutsche Wirtschaft, die bisher stark auf russische Energie gesetzt hat. Die durch schwankende Gaspreise bedingte Inflation ist weniger vorhersehbar und wird wahrscheinlich höher bleiben.
"Ich habe das Gefühl, dass wir in Europa in ein anderes Inflationsumfeld eingetreten sind", sagt Gill von Goldman und verweist auf den Kontrast zur historisch niedrigen Inflation in der Eurozone aufgrund der Arbeitnehmerfreizügigkeit. "Das Ausmaß der Inflation ist einfach viel größer: Sie hat sich von Waren und Energie auf Dienstleistungenausgeweitet, insbesondere auf die Mieten."
Das Risiko eines weiteren Inflationsschubs durch steigende Gaspreise hält Mike Riddell, Makro-Portfoliomanager bei Allianz Global Investors, von Anleihen aus dem Euroraum fern, während er US-Staatsanleihen kauft, weil er erwartet, dass die Rezession dort die Inflation in Schach hält. In Europa bestehe das "enorme Risiko" eines weiteren angebotsseitigen Schocks mit einem Kälteeinbruch im Winter, der einen weiteren Anstieg der Gaspreise mit sich bringen könne.