Der Leiter der Virologie der Berliner Charité, Christian Drosten, hat die Corona-Pandemie für beendet erklärt. Seine Ansicht nach erlebe Deutschland im aktuellen Winter die „erste endemische Welle mit dem Sars-Cov-2-Virus und nach meiner Einschätzung ist die Pandemie damit vorbei“. Drosten, der während der Pandemie als einer der wichtigsten Berater der Bundesregierung fungierte, tätigte die Aussagen im Interview mit dem Tagesspiegel.
Drosten und DIVI-Chef erklären Pandemie für beendet
Laut Drosten werde die Immunität in der Bevölkerung nach diesem Winter so breit und belastbar sein, dass das Virus im Sommer kaum noch durchkommen könne. Einzige Ausnahme wäre eine weitere Mutation. „Aber auch das erwarte ich im Moment nicht mehr“, so Drosten weiter. Ähnlich äußerte sich Christian Karagiannidis, Intensivmediziner und Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin (DIVI), die auch die freien Intensivkapazitäten im Land erfasst.
„Ich rechne fest damit, dass die Pandemie jetzt zunehmend ausläuft“, sagte Karagiannidis gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). „Das ist wie ein Stein, den man ins Wasser wirft und der am Anfang eine sehr hohe Welle erzeugt, die dann immer kleiner wird. So ähnlich ist es im Moment auch mit der Pandemie. Sicherlich werden wir noch die eine oder andere kleine Welle erleben. Aber wir merken, dass die Immunitätslage der Bevölkerung solide ist und wir auf den Intensivstationen deutlich weniger Covid-Patienten haben. Da ist die Influenza jetzt das größere Problem.“
Karagiannidis räumte auch mit der lange Zeit vorherrschenden Meinung auf, die Intensivbetten in Deutschland würden durch zunehmende Covid- oder Grippe-Fälle knapp. „Wir haben in den letzten zwei Jahren noch einmal 25 Prozent der High-Care Intensivbetten verloren, weil wir einfach kein Personal haben. Die Betten stehen leer in den Räumen, aber es fehlen die Pflegekräfte und regionale auch Ärzte“, sagte der DIVI-Vorstand gegenüber den RND. Es sei eine Illusion zu glauben, dass diese Betten jemals wieder eingesetzt würden. „Wir haben diese Kapazitäten für immer verloren. Das ist die neue Realität, für die wir eine Lösung finden müssen.“
FDP fordert erneut Ende aller Maßnahmen
Die jüngsten Aussagen Drostens führten umgehend zu einer politischen Debatte über ein Ende aller Corona-Maßnahmen. Aktuell gilt etwa in vielen Bundesländern noch eine Maskenpflicht im öffentlichen Nahverkehr. So sagte etwas der Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) auf Twitter: „Christian Drosten gehörte in der Pandemie zu den vorsichtigsten Wissenschaftlern. Nun lautet sein Befund: Die Pandemie ist vorbei. Wir sind im endemischen Zustand. Als politische Konsequenz sollten wir die letzten Corona-Schutzmaßnahmen beenden.“
Buschmann hatte allerdings schon einmal angekündigt, alle Maßnahmen würden zum Frühling auslaufen, nur um sich dann von Gesundheitsminister Lauterbach (SPD) wieder einfangen zu lassen. Am Ende stimmte einer Überarbeitung des Infektionsschutzgesetzes ebenso zu wie einer Verlängerung der Corona-Maßnahmen. Unterstützung erhielt Buschmann von Bundestagesvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP).
„Mit dieser Erklärung von Christian Drosten, auf dessen Expertise Karl Lauterbach immer gebaut hat, wird jeglicher Grundrechtseinschränkung zur Eindämmung des Corona-Virus die Grundlage entzogen“, sagte Kubicki dem Tagesspiegel. Er erwarte, dass die Koalitionspartner im Bund so schnell wie möglich zusammenkämen und eine entsprechende gesetzliche Änderung des Infektionsschutzgesetzes angingen.
„Dies ist verfassungsrechtlich geboten“, so Kubicki weiter. Auch die Länder müssten jetzt ihre jeweiligen Maßnahmen beenden, forderte der FDP-Politiker. Das bedeute, der von vielen als problematisch angesehene „Flickenteppich“ finde damit ein Ende. Ähnlich sieht das Torsten Herbst, Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion
„Seit dem Auftreten der Omikron-Variante ist die Gefährlichkeit der Infektionen erheblich zurückgegangen. Wir werden uns daran gewöhnen, mit Covid-19 im Alltag zu leben.“ Daher könne die Politik spätestens im kommenden Frühjahr auch die besonderen Maßnahmen des Infektionsschutzgesetzes wie die Maskenpflicht in Verkehrsmitteln aufheben.
Drosten verteidigt Maßnahmen mit Horrorszenarien
Die strikten Maßnahmen in Deutschland mit monatelangen Lockdowns bis hin zu Kontaktbeschränkungen rechtfertigte Drosten im Nachhinein dennoch als absolut gerechtfertigt. Es sei nie darum gegangen, die Pandemie aufzuhalten, so Drosten. Vielmehr sei von Anfang an klar gewesen, dass das nicht möglich sei. Dazu malte er im Tagesspiegel wieder altbekannte Horrorszenarien an die Wand.
„Hätte man gar nicht gemacht, dann wäre man in Deutschland in den Wellen bis zu Delta auf eine Million Tote oder mehr gekommen. Also musste man Kontakte reduzieren“, so der Charité-Virologe. Dabei unterschlägt er wiederholt, dass beispielsweise Schweden ohne Lockdowns durch die Pandemie kam und heute als einer der Gewinner der Krise dasteht. Dort hatte die Stockholmer Regierung trotz eines verhältnismäßig lockeren Kurses auch keine Millionen Toten zu beklagen.
Zwar schnellten in Schweden am Anfang der Pandemie die Todeszahlen in die Höhe – was dem Land viel Kritik aus dem Ausland einbrachte – doch war ein Großteil der Todesfälle auf ein schlechtes Pflegemanagement und wiederholte Ausbrüche in Alten- und Pflegeheimen zurückzuführen. In der breiten Bevölkerung gab es auch dort keine drastische Zunahme der Todesfälle, wie sie Drosten hier an die Wand malt.
Eine Auszählung der Weltgesundheitsorganisation zufolge ist Schweden mit seinem lockeren Kurs deutlich besser durch die Pandemie gekommen als Deutschland, wie das Ärzteblatt berichtet. Deutschland bescheinigte die WHO trotz strenger Lockdowns eine höhere Übersterblichkeit als einigen Nachbarländern, unter anderem auch Schweden. Hierzulande seien pro 100.000 Einwohner 116 Menschen mehr gestorben als erwartet. In Schweden soll die Übersterblichkeit mit 56 Menschen deutlich darunter gelegen haben.