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Pressestimmen zum Wirken von Benedikt XVI.

Lesezeit: 6 min
02.01.2023 11:00  Aktualisiert: 02.01.2023 11:40
Zwei Tage nach seinem Tod ist Benedikt XVI. öffentlich im Petersdom aufgebahrt. Vor der Kirche bilden sich lange Schlangen. Lesen Sie Einschätzungen der deutschen und internationalen Presse zum Leben und Wirken des früheren Papstes.
Pressestimmen zum Wirken von Benedikt XVI.
Der Leichnam des emeritierten Papstes Benedikt XVI. ist im Petersdom öffentlich aufgebahrt, zahreiche Menschen erweisen ihm die letzte Ehre. (Foto: dpa)

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Seit Montagmorgen können sich Gläubige im Petersdom vom emeritierten Papst Benedikt XVI. verabschieden. Der frühere Pontifex wurde dort zwei Tage nach seinem Tod öffentlich aufgebahrt. Um kurz nach 9.00 Uhr öffneten die Pforten der großen Basilika im Vatikan. Vor der Kirche und den Sicherheitskontrollen standen Menschen lange in der Schlange - manche warteten gar schon seit mitten in der Nacht.

Benedikt war am Samstagmorgen im Alter von 95 Jahren gestorben. Danach wurde er zunächst in der Kapelle des Vatikan-Klosters Mater Ecclesiae, in dem er nach seinem Rücktritt als Papst im Jahr 2013 fast zehn Jahre lang gelebt hatte, aufgebahrt. Freunde und frühere Weggefährten beteten schon dort an dem Leichnam, auch Benedikts Nachfolger Franziskus.

Am frühen Montagmorgen wurden die sterblichen Überreste dann von einem Kleinbus den kurzen Weg vom Kloster zum Petersdom gebracht. Dort liegt Benedikt vor dem großen Altarraum. Links und rechts steht jeweils ein Mitglied der Schweizer Garde, der historischen Leibgarde der Päpste. Die Besucher stehen im Mittelgang an.

Unter den ersten Trauergästen war Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni. Staatspräsident Sergio Mattarella war kurz vor 9.00 Uhr in der Basilika, wie Agnello Stoia, der Pfarrer des Petersdoms, der Nachrichtenagentur Ansa sagte. Auch Benedikts langjähriger Weggefährte und Privatsekretär Georg Gänswein war im Dom.

Vor der Kirche standen mehrere Hundert Leute um den ganzen Petersplatz herum Schlange, um Einlass zu bekommen. «Ich möchte mich von ihm verabschieden», sagte ein Gläubiger aus Deutschland, der stundenlang anstand. «Seit 1.00 Uhr, ich war der Erste», erzählte er. «Ich erwarte eine gewisse Stille und Demut, so wie er es sich gewünscht hat», sagte ein Mann aus Regensburg, wo der gebürtige Bayer Ratzinger einst Universitätsprofessor war und wo dessen Bruder Georg 2020 starb.

Bis 19.00 Uhr sollten die Tore des Petersdoms am Montag für Besucher geöffnet sein, am Dienstag und Mittwoch können Menschen von 7.00 bis 19.00 Uhr in die Kirche und am aufgebahrten Benedikt vorbeigehen. Am Donnerstag ist dann der große Trauergottesdienst geplant, den um 9.30 Uhr Papst Franziskus selbst zelebrieren will. Zu dem Requiem, das nach dem Wunsch von Benedikt schlicht gehalten sein dürfte, werden laut Angaben der Präfektur von Rom bis zu 60 000 Menschen erwartet.

Aus Deutschland kündigte sich bereits Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier an. Der Vatikan lud Delegationen aus Deutschland - also Benedikts Heimat - und Italien offiziell ein. Allerdings können auch Politiker oder Diplomaten aus anderen Ländern kommen. Darüber hinaus werden viele hohe Geistliche erwartet, etwa Weggefährten Benedikts und jene Kardinäle, die er in den Kardinalsstand erhoben hatte.

Medienspiegel zum Tod Benedikts XVI.

Peter Hahne schreibt in seinem Nachruf bei Tichy's Einblick:

Womit bleibt er mir in Erinnerung? Die drei Reden während seines unvergessenen Deutschland-Besuches 2011 waren politisch und kirchenhistorisch reinster Sprengstoff. Seine Gegner rieben sich verzweifelt daran. Bewusste Missdeutungen aus den eigenen Reihen. Und die geistig-geistlich unterbelichtete „Elite“ unter unseren Theologen und Politikern lief Amok. Das beste Zeichen, dass er Volltreffer gelandet hat.

Im Bundestag sprach er über die Weisheit Salomos. Ich hörte auf der Pressetribüne atemlos zu. Unvergessen der Seitenhieb auf die „Grünen“, die den Plenarsaal größten Teils verlassen hatten, zu dumm für solches Niveau: „Schade, dass ausgerechnet Sie das jetzt nicht hören können.“ Es war die Passage über den Schutz der Schöpfung Gottes, von Atheisten Umwelt genannt. Er zitierte Augustinus: „Nimm das (von Gott gesetzte) Recht weg – was ist dann ein Staat noch anderes als eine große Räuberbande?“ Was für ein prophetisches Wort! Es brauchte nur wenige Jahre…

Dann die Regensburger Rede über die Gefahr des Islams. Heute wissen wir aus Erfahrungen im eigenen Land: Er hat untertrieben. Und dann Freiburg! Die Meute heulte auf und die verhinderten Zeitgeist-Politiker auf den Bischofsstühlen verbreiteten: Er will die Kirche in ein frommes Eckchen verbannen. Das Gegenteil war der Fall. „Entweltlichung“ meinte er wie Bonhoeffer: keine Verschmelzung mit der Welt (Jesus und Paulus lassen grüßen), immer unabhängig bleiben vom herrschenden Zeitgeist, sich nie blenden lassen vom Beifall der Welt.

Und vor allem: finanziell unabhängig bleiben als „arme Kirche“. Wie man weiß, war er ein entschiedener Gegner der Kirchensteuer. In einem spektakulären Interview mit der „Schwäbischen Zeitung“ sagte sein Privatsekretär Gänswein, und aus ihm sprach O-Ton Benedikt, wie ich weiß: „Geld erstickt den Glauben und behindert die Evangelisation und die alleinige Abhängigkeit von Jesus.“

Rzeczpospolita: Benedikt XVI. ging das Missbrauchsproblem an

Zum Tod des emeritierten Papstes Benedikt XVI. schreibt die polnische Zeitung «Rzeczpospolita» am Montag:

«Benedikt XVI. geht in die Geschichte ein als der erste Papst seit mehreren hundert Jahren, der abdankte. Es wäre jedoch sehr ungerecht, wenn man sich nur an diese Tatsache erinnern würde. Die heutige Kirche wird seit Jahrzehnten von der Krise um den sexuellen Missbrauch Minderjähriger gebeutelt. Und wenn man unter den vielen Entscheidungen Benedikts XVI. nach einer wegweisenden und wichtigen sucht, dann findet man sie genau in dieser Frage.

Die allgemeine Auffassung, dass Franziskus den entschiedenen Kampf gegen Verbrecher in Soutanen aufgenommen hat, ist nicht ganz richtig. Der jetzige Papst folgt dem von Benedikt XVI. eingeschlagenen Weg. Er war es, der noch als Präfekt der Glaubenskongregation die ersten Richtlinien zu diesem Thema für die Kirchen in den USA und Irland entworfen hat; er war es, der Johannes Paul II. um eine Änderung des Gesetzes zu diesem Thema für die gesamte Weltkirche gebeten hat; ihm ist es auch zu verdanken, dass Johannes Paul II. der Glaubenskongregation das Recht zugestanden hat, über Sexualverbrechen zu urteilen und die Verjährung aufzuheben. Schließlich war er es - schon als Papst - der der Welt offen sagte, dass die Kirche ein Problem hat.»

Magyar Nemzet: Benedikt XVI. verkörperte das wahre Europäertum

Zum Tod des emeritierten Papstes Benedikt XVI. schreibt die regierungsnahe Budapester Tageszeitung «Magyar Nemzet» am Montag:

«Er war das Musterbild des wahren, im Aussterben befindlichen europäischen Menschen. (...) Denn vergeblich hat man die ursprünglich so schöne Idee verfälscht und zum Synonym für die Europäische Union gemacht, in der Realität existiert das Europäertum wirklich. Ein Europäertum, das Werte bedeutet und nicht unbegrenzte Freizügigkeit. (...) Der emeritierte Papst versuchte mit seinem eigenen Beispiel die Aufmerksamkeit darauf zu lenken, was für einen Wert Europa darstellt, wie wunderbar es ist. Und dass wir es gemeinsam bewahren müssen. (...) Noch nie war Europa so reich wie heute, doch noch nie war es in seiner Seele so ärmlich, so verwirrt, so verloren.»

Le Figaro: Papst Benedikt XVI. bleibt in Erinnerung

Zum Tod des emeritierten Papstes Benedikt XVI. schreibt die konservative französische Tageszeitung «Le Figaro» am Montag:

«Selten wurde ein zeitgenössischer Papst so verleumdet. Für seine Gegner war Kardinal Ratzinger in erster Linie der "Panzerkardinal", eine abscheuliche Anspielung auf seine deutsche Geschichte. (...)

War Benedikt XVI. von der Situation einer von Skandalen schon vergifteten Institution erschüttert? War er schnell von der Größe seines Amtes überfordert und bestürzt über den Widerstand der Kurie gegen die notwendigen Reformen? Dieser Mann, der an der traditionellen Messe festhielt und als konservativ galt, vollzog eine Tat von unerhörter Kühnheit. Sein Verzicht auf den Stuhl Petri veränderte in einem Augenblick den Status des päpstlichen Amtes.

Benedikt XVI. hatte weder das Charisma von Johannes Paul II. noch das Temperament von Franziskus, aber die Nachwelt wird sich an diesen großen Papst mit seinem sanften Lächeln erinnern müssen, der von einer Welt ohne Kultur und ohne Hoffnung geplagt wurde, der er ein wenig von seinem Glauben an Jesus Christus vermitteln wollte.»

Lidove noviny: Papst Benedikt XVI. war distanziert von Deutschland

Zum Tod des emeritierten Papstes Benedikt XVI. schreibt die konservative Zeitung «Lidove noviny» aus Tschechien am Montag:

«Ein Prophet gilt nichts im eigenen Land, sagt ein altes Sprichwort. Das traf wohl auf niemanden so sehr zu wie auf Joseph Ratzinger, den späteren Papst Benedikt XVI. Noch bevor er im Jahr 2005 zum Oberhaupt der katholischen Kirche gewählt wurde, hatte er als Kardinal fast ein Vierteljahrhundert der römischen Kurie gedient und die einflussreiche Glaubenskongregation geleitet. Dabei kam es mit niemandem sonst so oft zu Konflikten wie mit der Kirchengemeinde in seinem Heimatland Deutschland. Ob es nun um die Haltung zur Abtreibung ging, um die Frage einer größeren Beteiligung der Laien am Kirchenleben oder um die Zukunft des Zölibats: Immer wenn deutsche Katholiken den Wunsch äußerten, die bisherigen Positionen zu überdenken, war aus Rom ein klares Nein zu vernehmen.»

Reutlinger General-Anzeiger zum Tod von Benedikt XVI.

Ein Kopfmensch wie Benedikt denkt konsequent in der Ratio und in der reinen Lehre, geleitet vom tiefen Glauben. Bisweilen beschlich einen das Gefühl, dass ihn menschliche Schwächen dabei irritieren, wo sie doch nur das Leben abbilden. Als Katholik habe ich ihn immer sehr geschätzt, aber mich auch an ihm abgearbeitet. Natürlich der endlosen Zirkeldebatten in unserer Kirche wegen, die vieles lähmen. Wobei man eines nie vergessen sollte: Welche Institution sonst muss schon Rechenschaft ablegen für 2 000 Jahre Geschichte? Das ist schwere Bürde und Last. Ja, der schlaue Bayer war beeindruckend - ein Petrus, ein Fels. Aber nicht ohne Makel. Wie wir alle.

Hannoversche Allgemeine Zeitung» zum Tod von Benedikt XVI.

Es ist die Tragik Joseph Ratzingers, dass sein Pontifikat das Potenzial zu etwas Großem gehabt hätte. Anders als Johannes Paul II. erkannte er die für die Kirche und ihre Glaubwürdigkeit existenzielle Bedrohung durch den Missbrauchsskandal. Aber er zog die falschen Konsequenzen. Ideologisch vergraben in das Erbe des Augustinismus mit seiner Skepsis, ja Aversion gegen die menschliche Autonomie, machte er bis zuletzt die «böse Welt» für den Missbrauch verantwortlich. Mängel in Verfassung und Lehre der Kirche kamen ihm dabei ebenso wenig in den Sinn wie das systemische Versagen der kirchlichen Hierarchie.

Stuttgarter Zeitung zum Tod von Benedikt

Was bleibt von diesem Pontifikat? Vor allem der letzte Akt: ein radikaler, revolutionärer Schritt. Der 265. Nachfolger Petri geht in Pension - freiwillig, ohne Druck von außen oder todbringende Krankheit. Aus Einsicht in die eigene Schwachheit, sein Scheitern, die Grenzen pontifikaler Macht. Der Rücktritt zeugte von Größe, Demut und Abstand zur Welt, die Joseph Ratzinger als Mensch stets auszeichneten. Doch für das Machtamt des Papstes, der führen, dirigieren und entscheiden muss, war das zu wenig. Im Duett mit dem medialen Menschenfischer Johannes Paul II. konnte er seine intellektuelle Brillanz in die Waagschale werfen. Doch als Papst agierte er glücklos und tragisch. Das Rettungsprojekt, das er als Kardinal begonnen hatte und als Papst fortführen wollte, die geistige und geistliche Erneuerung der Kirche, blieb in den Anfängen stecken. Auch Benedikt konnte den Bruch der Kirche mit der modernen Welt und den Rückzug ins Getto des Glaubens nicht aufhalten.


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