Ermittler haben trotz dreimonatiger Suche bisher nicht herausfinden können, wer genau für die Sprengung der Nord Stream-Pipelines verantwortlich ist. Neben dem Schaden für die Nord Stream AG, führte die Sprengung auch für den Standort Lubmin vor Ort zu einer Reihe von Konsequenzen und Veränderungen, wie der Lubminer Bürgermeister Axel Vogt, der auch gleichzeitig Verbandsvorsteher des Industriehafens Lubmin ist, verdeutlicht.
Gewerbesteuererträge von 2,75 Millionen Euro jährlich
Wie wichtig die Nord-Stream-Pipeline für Lubmin als Standort ist, zeigen der Bereich Gewerbesteuer und die Erdgaslieferungen, die über Jahre durch die Pipelines gesichert wurden, wie Vogt gegenüber DWN schildert: „Die Gasanlandestation Nord Stream in unserem Industriegebiet Lubminer Heide hat während des Betriebes für die Gemeinde Lubmin Gewerbesteuererträge, zuletzt unter Volllast (59,2 Mrd. Kubikmeter p.a.), von 2,75 Millionen Euro jährlich generiert. Lubmin ist ein Ort mit circa 2.100 Einwohnern. Daher war diese Einzelgewerbesteuer ein nennenswerter Ertrag für uns. Unabhängig davon ersetzen die jetzigen anerkennenswerten LNG-Projekte in Deutschland in Summe nicht vollständig die bisherigen Erdgaslieferungen über die Nord-Stream-Pipelines (2021 = 59,2 Milliarden. Kubikmeter Erdgas).“
Um die Wichtigkeit der Nord-Stream-Pipelines und das gemeinsame russische und europäische Investment für Lubmin zu verstehen, lohnt es sich, auch auf einen weiteren Aspekt zu schauen. Vogt zufolge gäbe es ohne dieses Investment und die Pipelines das wichtige Erdgasverteilungsnetz ab Lubmin über die Onshore-Gaspipelines OPAL, NEL und EUGAL nicht. Diese haben grundsätzlich eine strategische Bedeutung für die aktuellen LNG-Projekte des Unternehmens Deutsche ReGas und des „Bundesprojektes“ RWE/Stena Power am Standort Lubmin.
LNG-Projekte schaffen neue Arbeitsplätze
Lubmin ist ein zentraler Punkt für die Weiterverteilung von Gas in andere Gebiete in Deutschland und Europa. Wie die Gasverteilung funktioniert, erklärt Vogt gegenüber den DWN: „Das LNG wird regasifiziert über diese Pipelines in das deutsche und europäische Gasfernleitungsnetz geschickt. Insofern ist es für unseren Wirtschaftsstandort Lubminer Heide eine Möglichkeit, neue Arbeitsplätze zu schaffen und den Standort mit energetischen Projekten insgesamt weiter auszubauen. In der nahen Zukunft kommen diverse Wasserstoff-Projekte (Elektrolyse am Standort und Import per Tanker über unseren Hafen) hinzu.“
Der größte Schaden durch die Sprengung wurde in Lubmin Vogt zufolge durch die wegfallenden Gewerbesteuereinahmen deutlich. Da der „Onshore-Gasbetrieb“ weiterhin laufe und das Unternehmen Gascade für die Nord-Stream-Station sowieso die Betriebsführerschaft ausübt, gingen durch die Sabotage keine nennenswerten Arbeitsplätze verloren.
Vogt: „Gibt keine belastbaren Fakten für Russland als Täter“
Vogts größte Befürchtung war zunächst ein Imageschaden für den Industriestandort Lubmin. Durch die LNG- und Wasserstoff-Projekte kam es jedoch nicht zu einem solchen Szenario und Lubmin ist weiterhin einer der bedeutendsten europäischen Energieknotenpunkte der Zukunft. Dazu zähle laut Vogt auch die Anladung und Einspeisung von Offshore-Windstrom der Windparks in der Ostsee zwischen den Inseln Rügen und Bornholm. Weitere Projekte seien geplant.
Bezüglich der Sabotage selbst kann Vogt keine Angaben machen, da der Vorfall in dänischen beziehungsweise schwedischen Gewässern stattgefunden hat und die Ermittlungsergebnisse der Geheimhaltung unterliegen. Die Ermittlungen bezüglich der Täterschaft laufen weiter an und haben noch keine neuen Erkenntnisse gebracht. Die USA und Europa hatten früh nach den Explosionen im September Russland die Schuld an der Sabotage zugeschoben. Nach Vogts Kenntnisstand gibt es keine belastbaren Fakten, die für Russland als Auftraggeber oder Täter der Anschläge sprechen. Seiner Ansicht nach muss weiter in alle Richtungen ermittelt werden. Gleichzeitig habe man auch in Lubmin Sicherheitsstandards bezüglich der „kritischen Infrastrukturen“ rund um den Industriehafen deutlich erhöht.
Menschen in der Region werden wegen Nord Stream stigmatisiert
Finanziell hat der Sabotageakt der Gemeinde in dem Punkt nicht soweit geschadet, dass man in Schulden geraten ist. Die Gemeinde ist schuldenfrei und hat in den letzten zehn Jahren ausreichende Finanzrücklagen gebildet, um Einbrüche wie zum Beispiel bei den Gewerbesteuereinnahmen kompensieren zu können. Mit den LNG- und Wasserstoff-Projekten erwartet man zudem in den nächsten Jahren wieder deutliche Zuwächse in den Gewerbesteuereinnahmen.
Sorgen bereitet Vogt eher eine Folge, die man nicht bemessen kann: „Nicht messbar ist die teilweise beobachtete Stigmatisierung der Menschen in unserer Region in Bezug auf unsere ostdeutsche Geschichte und die russischen Investments in die Gaspipelines (z.B. ‚Putinversteher‘, ‚Russlandfreunde‘ und Ähnliches). Dennoch haben alle mehr als zehn Jahre mit dem russischen Erdgas gut und günstig gelebt.“