Wer sich in Deutschland einbürgern lassen will, soll dafür künftig grundsätzlich nicht mehr die Staatsangehörigkeit des Herkunftslandes seiner Familie aufgeben müssen. Das geht aus einem Entwurf des Bundesinnenministeriums für ein neues Staatsangehörigkeitsrecht hervor, der am Freitag den anderen Ressorts der Bundesregierung zur Abstimmung zugeleitet wurde.
Das im Koalitionsvertrag vereinbarte Vorhaben für ein «modernes Staatsangehörigkeitsrecht» lockert zudem für bestimmte Gruppen die Anforderungen an den Erwerb der deutschen Sprache. Dieser ist im Regelfall Voraussetzung für die Einbürgerung. Außerdem wird die Mindestaufenthaltszeit bis zur Antragstellung verkürzt.
In dem Entwurf, der der Deutschen Presse-Agentur vorliegt, heißt es, dass es Erleichterungen beim Sprachnachweis geben sollte und die Verpflichtung zu einem Einbürgerungstest für alle Ausländer wegfallen sollte, die mindestens 67 Jahre alt sind. Damit solle die Lebensleistung der sogenannten Gastarbeiter-Generation gewürdigt werden, denen in den ersten Jahren ihres Aufenthalts in Deutschland weder Sprachkurse noch andere Integrationsangebote offen standen.
Profitieren sollen von den Erleichterungen aber nicht nur ältere Menschen, die über ein Anwerbeabkommen nach Deutschland gekommen sind, sondern alle Angehörigen dieser Altersklasse. Auf eine schriftliche Prüfung wird in diesem Fall verzichtet. Das hilft etwa Analphabeten, die es unter den früheren Gastarbeitern gibt.
Außerdem soll es, was den Sprachnachweis angeht, auch für jüngere Einbürgerungswillige eine Härtefallregelung geben. In begründeten Ausnahmefällen - etwa wegen der Pflegebedürftigkeit eines Familienmitglieds - soll es ausreichen, dass sich der Betreffende ohne nennenswerte Probleme im Alltag in deutscher Sprache mündlich verständigen kann.
Das Vorhaben ist Teil einer von SPD, Grünen und FDP angekündigten umfassenden Reform der Migrations- und Integrationspolitik. Getragen wird es von dem Verständnis, dass die Verleihung der Staatsangehörigkeit den Weg zu einer umfassenden Teilhabe und Mitwirkung öffne, wovon sowohl die Eingebürgerten als auch die Gesellschaft profitieren sollten.
Der Entwurf sieht generell die Möglichkeit zur Einbürgerung nach fünf Jahren rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalts in Deutschland vor - bisher waren es acht Jahre. Bei besonderen Integrationsleistungen - etwa herausragenden Leistungen in Schule und Beruf, ehrenamtlichem Engagement oder besonders guten Sprachkenntnissen - sollen drei Jahre Aufenthalt ausreichen.
Die durch frühere Reformen bereits eingeschränkte sogenannte Optionspflicht für in Deutschland geborene Kinder von Ausländern soll komplett abgeschafft werden. Das bedeutet, dass sie sich als junge Erwachsene nicht mehr zwischen der deutschen Staatsbürgerschaft und der Staatsbürgerschaft der Eltern entscheiden müssen.
Die für den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit eines Kindes ausländischer Eltern durch Geburt im Inland erforderliche Dauer des rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalts eines Elternteils wird zudem von acht auf fünf Jahre verkürzt. «Durch die erhebliche Verkürzung der Aufenthaltsdauer eines Elternteils wird sich die Zahl der Kinder ausländischer Eltern, die bereits durch Geburt in Deutschland die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben, erhöhen», heißt es in dem Entwurf.
Die 2019 eingeführte Einbürgerungsvoraussetzung der «Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse» soll aus dem Staatsangehörigkeitsgesetz gestrichen werden. Eine Einbürgerung kommt allerdings dem Entwurf zufolge nicht infrage, wenn «der Ausländer gleichzeitig mit mehreren Ehegatten verheiratet ist oder er durch sein Verhalten zeigt, dass er die im Grundgesetz festgelegte Gleichberechtigung von Mann und Frau nicht akzeptiert».
Die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen im Bundestag, Filiz Polat, bezeichnete das Reformvorhaben als «überfällig». «Deutschland ist seit langem ein Einwanderungsland. Somit ist es allerhöchste Zeit, dieser Tatsache durch eine Reform des Einbürgerungsrechts Rechnung zu tragen», teilte sie am Samstag mit. «Menschen, die sich in unsere Gesellschaft einbringen, Steuern zahlen, haben einen Anspruch auf Teilhabe, mitzubestimmen sowie zu wählen.» Das sei ein Beitrag zur Behebung eines wachsenden Demokratiedefizits.
Der Koalitionspartner FDP betonte die Auswirkungen des Staatsangehörigkeitsrechts auf die Wirtschaft. «Wenn wir unseren Wohlstand wahren wollen, brauchen wir mehr reguläre Einwanderung in den Arbeitsmarkt», sagte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Konstantin Kuhle. Daher müsse die Ampel-Koalition zügig ein Einwanderungsgesetz mit einem Punktesystem nach dem Vorbild erfolgreicher Einwanderungsländer auf den Weg bringen. In diesem Zusammenhang müsse auch die Einbürgerung erleichtert werden.
«Klar ist, dass es dabei aber keinen Rabatt auf die Anforderungen an die deutsche Staatsbürgerschaft geben darf», sagte der FDP-Politiker. Die Mehrstaatigkeit dürfe nicht über viele Generationen weitervererbt werden, sondern der Doppelpass müsse möglichst auf die ersten Generationen begrenzt bleiben, forderte er. Schon bei den Beratungen im Vorfeld hatte sich die FDP für diesen sogenannten Generationenschnitt ausgesprochen.
Die Union war bereits als die ersten Ideen der Ampel-Regierung für die geplante Reform des Staatsangehörigkeitsrechts bekannt wurden, Sturm gelaufen gegen diese Pläne. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt hatte gesagt: «Die deutsche Staatsbürgerschaft zu verramschen, fördert nicht die Integration, sondern bezweckt geradezu das Gegenteil und wird zusätzliche Pulleffekte bei der illegalen Migration auslösen.» Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei (CDU) hatte zwar eingeräumt, Deutschland sei ein Einwanderungsland und auf Migration für den Arbeitsmarkt angewiesen. Gleichzeitig betonte er: «Das bedeutet aber nicht, dass man flächendeckend mit dem deutschen Pass um sich wirft.»