Mitte Dezember sah die Welt für Nancy Faeser noch positiv aus. Die Innenministerin hatte mit der Schweiz einen Aktionsplan zur Migration ausgehandelt mit dem man plante, besser gegen Schleuser und illegale Migration vorzugehen. Faeser erklärte damals, der Plan erlaube die Kontrolle über die Migrationsbewegungen. Nach den Silvesterkrawallen mit Angriffen von jungen Männern mit Migrationshintergrund auf Polizei und Feuerwehr in Berlin kritisiert nun die deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) den Aktionsplan gegenüber Bild als nicht ausreichend.
„Aktionsplan ist ein Tropfen auf den heißen Stein“
Kernkritikpunkt der Polizeigesellschaft ist, dass Faeser Symbolpolitik betreibe, so der Vize-Chef der Polizeigewerkschaft, Heiko Teggatz: „Wenn man den Grenzabschnitt Schweiz zu Deutschland betrachtet, von Bahnstrecken bis zu Straßenübergängen, dann ist der Aktionsplan ein Tropfen auf den heißen Stein. Schleierfahndungen sind nicht mit stationären Grenzkontrollen zu vergleichen. Das ist eine bewusste Politik, die Frau Faeser betreibt. Sie vermischt Migration und Zuwanderung.“
Auch Polizeigewerkschafter Manuel Ostermann, Vorstandsmitglied der deutschen Polizeigesellschaft Nordrhein-Westfalen, ist auf Nachfrage von Bild besorgt und kritisiert den Aktionsplan. Vorher hätte die Schweizer Seite nicht nachgefragt, illegal Einreisende weiter nach Deutschland fahren zu lassen. Jetzt sei offiziell ein Abkommen gefunden worden. Für die Sicherheitsbehörden sei die Lage aber gleich und der Migrationsdruck bleibe hoch.
Laut Ostermann würden die rhetorischen Floskeln der Ministerin nichts an dem Fakt ändern, dass es keine Grenzkontrollen gibt. Hier werde mit Rhetorik versucht, das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung zu stärken, aber faktisch schwäche man deren Sicherheit und Sicherheitsbehörden wegen fehlender Zuständigkeiten.
Das Problem ist die sogenannte Schleierfahndung
Problem am Plan ist, dass Zurückweisungen durch die Bundespolizei nur bei Basel nach Weil am Rhein stattfinden. Dort befindet sich auf Schweizer Seite ein deutsches Polizeirevier. Nur in diesem Revier können Fingerabdrücke genommen, Fotos gemacht und Personen zurückgewiesen werden. Diese zurückgewiesenen Migranten werden zu den Schweizer Behörden weitergeleitet. Der Flüchtling hat dann die Möglichkeit, an einen anderen Grenzübergang zwischen der Schweiz und Deutschland zu gehen.
An allen anderen Grenzübergängen außer Basel-Weil am Rhein gilt nur die „Schleierfahndung“. Diese Fahndungen bedeuten, dass keine groß angelegten Personenkontrollen zwischen beiden Ländern existieren. Nur Zoll-Warenprüfungen werden gezielt kontrolliert. Rechtlich ist die Grenze zur Schweiz seit 2008 eine Binnengrenze innerhalb des Schengenraums. Durch diese Richtlinien darf die Bundespolizei an den meisten dieser Grenzübergänge nur stichprobenartige Kontrollen durchführen. Pässe dürfen angeschaut und unerlaubte Einreise festgestellt werden, rechtlich gibt es aber keine Ermächtigung für grenzpolizeiliche Maßnahmen und Zurückweisungen.
9716 Personen als illegal Einreisende registriert
Wenn als Beispiel ein illegal Einreisender festgestellt wird, der schon mal einen Asylantrag gestellt hat und ausreisepflichtig ist, dann hat die Bundespolizei an diesen Grenzübergängen generell keine Mittel, um ihn daran zu hindern, wieder nach Deutschland einzureisen und er muss rechtlich gesehen durchgewunken werden. Auf Anfrage von Bild erklärte das Bundesinnenministerium: „Aus polizeitaktischen Maßnahmen können wir keine Auskunft über Kontrollörtlichkeiten geben. Die Maßnahmen werden unterhalb der Schwelle von Binnengrenzkontrollen, lageangepasst, zeitlich und räumlich flexibel umgesetzt (sog. Schleierfahndung)“.
Das Problem für Deutschland ist, dass über solche Grenzübergänge, an denen die Schleierfahndung umgesetzt wird, verstärkt Migranten aus Österreich, Italien und Frankreich illegal ins Land eingereist sind. 9716 Personen wurden dabei von der Bundespolizei als illegal Einreisende registriert. Die deutsche Polizeigewerkschaft erklärt jedoch, dass die Dunkelziffer viel höher liegt.
Viele werden wegen der Schleierfahndung gar nicht erst kontrolliert und damit auch nicht registriert. Rechtlich müsste die Schweiz die Flüchtlinge in das Land zurückschicken, aus dem sie in die Schweiz eingereist sind. Denn nach dem Dublin-Abkommen müssen Migranten in dem Land einen Asylantrag stellen, von dem aus sie in die EU eingereist sind.
Schweizer Behörde: „Wir können die Migranten nicht festhalten“
Reto Kormann von der Schweizer Migrationsbehörde sagt gegenüber der ARD, dass für die Schweiz die bürokratischen Hürden zu groß seien, um die Flüchtlinge wieder nach Italien, Frankreich und Österreich zurückzuschicken: „Auch Österreich nimmt natürlich nicht alle Leute zurück, bevor nicht klar erwiesen ist, dass diese Leute tatsächlich in Österreich ein Asylgesuch gestellt haben. Österreich hat gewisse Fristen, die sie für die Abklärung einhalten müssen. Aber in dieser Zeit sind diese Leute, die weiter nach Frankreich, nach Deutschland wollen, längst untergetaucht und abgereist.“
So läuft das Prozedere wie folgt ab: Wenn die Migranten kein Asylgesuch in der Schweiz gestellt haben, dann hat der Schweizer Staat Kormann zufolge keine Möglichkeit, sie in der Schweiz festzuhalten. Diese Flüchtlinge erhalten einen Wegweisungsbescheid und sind dann gezwungen, die Schweiz zu verlassen. Der Zustand, dass die Schweiz die Migranten weiter nach Deutschland reisen lässt, gefällt weder Deutschland noch der Schweiz und aus diesem Grund hatten sich beide Seiten für den Aktionsplan entschlossen.
Deutschland und die Schweiz hatten im Aktionsplan festgelegt, ein Treffen zu planen, um zu evaluieren und sich auszutauschen. Angesichts der Kritik der deutschen Polizeigewerkschaft wäre ein solches Treffen sicher notwendig. Es bleibt abzuwarten, welche Zukunft der von beiden Ländern festgelegte Aktionsplan am Ende hat und ob er wegen fehlender Wirksamkeit überhaupt einen Sinn ergibt.