Politik

Waffen für die Ukraine: Schweizer Neutralität könnte bald kippen

Die Schweiz hat eine jahrhundertelange Tradition der Neutralität. Diese könnte jedoch bald der Vergangenheit angehören. Der Druck auf die Regierung wächst, Schweizer Waffen an die Ukraine zu liefern.
17.02.2023 13:25
Aktualisiert: 17.02.2023 13:25
Lesezeit: 3 min

Die Schweiz ist bekannt für Berge, Schokolade, Banken – und ihre Neutralität. Doch letztere steht in der Alpenrepublik gerade auf dem Prüfstand und das Land womöglich davor, mit seiner jahrhundertelangen Tradition als neutraler Staat zu brechen.

Auslöser dafür ist der bald ein Jahr dauernde Krieg in der Ukraine. Eine pro-ukrainische Stimmung in der Öffentlichkeit setzt Regierung und Politiker unter Druck, das Ausfuhrverbot von in der Schweiz hergestellten Waffen in Kriegsgebiete zumindest aufzuweichen.

Schweiz stellt Neutralität auf den Prüfstand

Denn Staaten mit Waffen Schweizer Ursprungs in ihren Beständen dürfen diese nur mit Zustimmung der Regierung an Dritte weitergeben. Eine Genehmigung dafür wird allerdings fast immer verweigert. So wurde Dänemark die Ausfuhr von Schützenpanzern aus Schweizer Produktion an die Ukraine ebenso untersagt wie Deutschland die Lieferung von Munition für den deutschen Flugabwehrpanzer Gepard an Kiew.

Der Grund liegt zum einen im Neutralitätsrecht, das auf die Jahre 1907 und 1815 zurückgeht und der Schweiz unter anderem untersagt, eine Kriegspartei zu bevorzugen. Zudem verbietet das Kriegsmaterialiengesetz die Ausfuhr von Waffen an Länder, die in einen bewaffneten internationalen Konflikt verwickelt sind.

Die Rufe aus den europäischen Nachbarländern, die Weitergabe von Schweizer Waffen an die Ukraine zuzulassen, sind mit der Verschärfung des russischen Angriffs allerdings immer lauter geworden. Und die beiden Sicherheitsausschüsse des Parlaments haben empfohlen, die Vorschriften zu lockern. Die Gesetzgeber sind in dieser Frage aber gespalten.

Lockerung bei Waffenlieferungen durch Dritte geplant

„Wir wollen neutral sein, aber wir sind Teil der westlichen Welt“, sagte etwa Thierry Burkart, Präsident der liberalen FDP. Der Rechtsanwalt hat einen Antrag an die Regierung gestellt, die Weitergabe von Waffen an Länder mit ähnlichen demokratischen Werten wie die Schweiz zu ermöglichen.

„Wir sollten nicht das Vetorecht haben, andere daran zu hindern, der Ukraine zu helfen“, sagte Burkart zur Nachrichtenagentur Reuters. „Wenn wir das tun, unterstützen wir Russland, was keine neutrale Position ist.“ Andere Länder, die die Ukraine unterstützen und etwas für die Sicherheit und Stabilität Europas tun wollen, könnten nicht verstehen, warum die Schweiz „Nein“ sagen muss.

Diese Sichtweise teilen immer mehr Schweizer Wähler: In einer kürzlich veröffentlichten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Sotomo befürworteten 55 Prozent der Befragten die Wiederausfuhr von Waffen in die Ukraine. „Hätten wir diese Frage vor dem Krieg gestellt, hätte die Zustimmung wahrscheinlich weniger als 25 Prozent betragen“, sagte Lukas Golder, Co-Direktor des Meinungsforschungsinstituts GFS-Bern. „Über eine Änderung der Neutralität zu sprechen, war in der Vergangenheit ein Tabu.“

Die Regierung, die nach der Ablehnung der deutschen und dänischen Gesuche um die Erlaubnis zur Weitergabe von Waffen aus Schweizer Provenienz unter Druck aus dem Ausland steht, will den parlamentarischen Beratungen nicht vorgreifen. Bern halte sich an den bestehenden Rechtsrahmen und werde die Vorschläge zu gegebener Zeit behandeln, erklärte ein Sprecher des Wirtschaftsministeriums, das für Waffenexporte zuständig ist.

Schweizer Rüstungsbranche erhöht den Druck

FDP-Präsident Burkart hat eigenen Angaben zufolge von anderen Parteien positive Signale für eine Gesetzesänderung erhalten. Für eine Änderung sprechen sich auch die Sozialdemokraten (SP) und die Grünliberalen aus, die Grünen sind dagegen. Die rechtskonservative Schweizerische Volkspartei (SVP), die größte Partei des Landes und traditionell ein entschiedener Verfechter der Neutralität, scheint gespalten.

„Wer Waffenlieferungen in ein Land, welches in einen bewaffneten Konflikt verwickelt ist, zulässt, gibt die Neutralität auf und zerstört die Grundlage von Frieden und Wohlstand in unserem Land“, erklärte etwa SVP-Nationalrat David Zuberbüler. Anderer Ansicht ist sein Parteikollege Werner Salzmann. Der SVP-Ständerat warnte in der „Aargauer Zeitung“ jüngst vor einem Kollateralschaden für die Schweizer Rüstungsindustrie, die ebenfalls die Bemühungen für eine Gesetzesänderung unterstützt.

Die in der Schweiz produzierenden Rüstungsunternehmen, zu denen unter anderem der US-Konzern Lockheed Martin und die deutsche Rheinmetall gehören, lieferten im Jahr 2021 nach Regierungsangaben Waren im Wert von 800 Millionen Franken ins Ausland. Die Schweiz gehört damit zu den 15 größten Rüstungsexporteuren der Welt. Eine starke Rüstungsindustrie ging bisher Hand in Hand mit der Tradition der Neutralität.

Doch das Gleichgewicht dieser Dualität sieht der Verband der Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie (Swissmem) bedroht. „Einige unserer Mitglieder haben Verträge verloren oder investieren wegen der aktuellen Einschränkungen nicht mehr in der Schweiz“, sagt Swissmem-Direktor Stefan Brupbacher. Die aktuelle Situation schwäche die Schweizer Sicherheitspolitik, beeinträchtige die Glaubwürdigkeit der Außenpolitik und schade den Unternehmen. „Es ist an der Zeit, das zu ändern.“

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Technologie
Technologie BradyPrinter i7500: Revolution im Hochpräzisionsdruck

Sie haben genug vom altmodischen Druck großer Etikettenmengen? Keine Kalibrierung, keine Formatierung, kein umständliches Hantieren mit...

X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Technologie
Technologie Lithium-Boom in Sachsen: entdecktes Vorkommen reicht für 800.000 E-Autos
06.04.2025

Nicht nur Milliarden-Investitionen und Hunderte neue Jobs: Fällt der Goldrausch im Erzgebirge noch größer aus als gedacht? In Zinnwald...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Autozulieferer Webasto baut 650 Stellen in Deutschland ab
06.04.2025

Der angeschlagene Autozulieferer Webasto will im Zuge seiner Sanierung rund 650 Stellen in Deutschland abbauen. Der Stellenabbau soll schon...

DWN
Politik
Politik AfD löst die FDP im Bundestag ab: AfD hat die meisten Unternehmer in ihrer Fraktion
06.04.2025

Wirtschaftskompetenz in der Politik? Fehlanzeige: Immer weniger Unternehmer im Bundestag vertreten: nur noch 37 Abgeordnete mit...

DWN
Immobilien
Immobilien Drastischer Mietkostenanstieg voraus: Der Gebäude-TÜV soll kommen
06.04.2025

Das Deutsche Institut für Normung (DIN) hat Mitte Februar 2025 einen Entwurf mit Vorgaben für „Verfahren zur Überprüfung der...

DWN
Politik
Politik Russischer Angriff auf Nato-Staaten? Deutsche Sicherheitsexperten warnen vor Panikmache
05.04.2025

Ukraine-Krieg: Zahlreiche Sicherheitsexperten kritisieren Alarmismus wegen eines potenziellen russischen Angriffs. Ihre Kritik: Diplomatie...

DWN
Politik
Politik AfD-Kandidat erstmals ins Verfassungsgericht gewählt: Zweidrittelmehrheit im Thüringer Landtag
05.04.2025

Die AfD hat einen Kandidaten für den Thüringer Verfassungsgerichtshof durchgesetzt: Rechtsanwalt Bernd Falk Wittig wurde mit...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Stahlindustrie: Aufrüsten für Deutschlands Sicherheit?
05.04.2025

Die deutsche Stahlindustrie befindet sich seit Jahren schon im Dauerkrisenmodus. Doch jetzt soll aufgerüstet werden, eventuell sogar mit...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Social-Media-Recruiting: So gelingt die Talentsuche in sozialen Netzwerken
05.04.2025

Social-Media ist längst nicht mehr nur eine Privatangelegenheit, sondern wird auch von Unternehmen gezielt zur Bewerbung ihrer Produkte,...