Unternehmen

Frieden in der Ukraine ist „schwarzer Schwan“ für Energiekonzerne

Lesezeit: 3 min
25.02.2023 12:21  Aktualisiert: 25.02.2023 12:21
Ein Waffenstillstand in der Ukraine ist derzeit unwahrscheinlich. Dennoch müssen die Energiekonzerne dieses Risiko als „schwarzen Schwan“ in Betracht ziehen.

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Die großen Energiekonzerne wie Exxon Mobil und Shell haben infolge des Durcheinanders, das durch die Sanktionen gegen Russland verursacht wurde, Gewinne in Rekordhöhe erzielt. Nun hängen ihre Geschäft entscheidend davon ab, wie sich der Krieg in der Ukraine weiterentwickelt. Ein schneller Frieden und eine Verständigung mit Russland würden ihnen massive Verluste beibringen.

Nachdem der Krieg in der Ukraine vor genau einem Jahr begonnen hatte, stieg der Brent-Ölpreis im März 2022 vorübergehen auf 133 Dollar pro Barrel. Heute kostet ein Barrel Brent nur noch knapp 83 Dollar und somit deutlich weniger als zu Beginn des Krieges, als der Brent-Ölpreis bei 96 Dollar lag. Diese Schwankungen mögen extrem erscheinen, sie sind auf dem Ölmarkt aber vollkommen normal. Ähnliche Schwankungen gibt es fast jedes Jahr.

Nicht normal waren aber die Schwankungen auf dem Erdgasmarkt. Nachdem Russland die Pipeline-Lieferungen nach Europa gekappt hatte, erreichte der TTF-Benchmark-Gaspreis Ende August ein Niveau, das fast 580 Dollar pro Barrel Öl entspricht. Hintergrund waren neben dem Ukraine-Krieg die Hamsterkäufe europäischer Staaten, der Brand in einer großen US-Gasexportanlage und die Trockenheit in Europa, unter der die Stromerzeugung aus Wasserkraft litt.

Die US-Hersteller von Flüssigerdgas, die Europa mit teurem LNG belieferten, nachdem das billige russische Pipeline-Gas ausblieb, gehörten (neben den großen Ölkonzernen) ebenfalls zu den großen Gewinnern des Energiekrise, die sich aus Krieg und Sanktionen ergeben hat. Sie würden wohl am meisten verlieren, wenn der Ukraine-Konflikt früher als erwartet enden sollte.

Sicherlich deutet derzeit alles darauf hin, dass der Krieg in der Ukraine noch über Jahre dauern wird. Doch die großen Energieunternehmen, die Milliarden von Dollar in Projekte mit einem Zeithorizont von 10 oder 15 Jahren investieren wollen, müssen dennoch das Risiko eines Friedens mit einbeziehen, der zu erneuten direkten Lieferungen fossiler Brennstoffe aus Russland in den Westen führen könnte.

James Henderson vom Oxford Institute for Energy Studies (OIES) hält das Risiko eines Friedens mit Russland für gering. "Die russische Frage ist viel mehr ein Münzwurf, ein schwarzer Schwan", zitiert ihn das Wall Street Journal. Eine viel größere Bedrohung für die Energiekonzerne ist seiner Ansicht die Abkehr von fossilen Brennstoffen im Rahmen des Kampfes für das Weltklima.

Was kommt nach dem Krieg?

Viele in der Energiebranche gehen derzeit davon aus, dass die rund 30 Milliarden Kubikmeter russisches Gas, die noch immer über die Ukraine und die TurkStream-Pipeline in die EU fließen, irgendwann auf Null sinken werden. Aber wenn es in den nächsten Jahren unerwartet zu einem Waffenstillstand kommen sollte, dann könnte diese Annahme falsch sein.

Allerdings ist unklar, ob EU-Staaten wie Deutschland, die den Konflikt mit Russland besonders hart ausgetragen haben, wieder russische Energie beziehen würden, selbst wenn der unmittelbar Konflikt vorüber ist. Wahrscheinlich wird Europa nicht wieder massive 40 Prozent seiner Erdgasimporte aus Russland beziehen. Eine Einigung mit den russischen Energieerzeugern wird schwierig, aber die wirtschaftlichen Argumente liegen auf der Hand.

Es hat einen Grund, warum die Flüssigerdgas-Lieferungen aus Russland in die EU nach Angaben von Rystad Energy im vergangenen Jahr um 11 Prozent gestiegen sind. Die europäische Industrie leidet unter den hohen Preisen. Nach Angaben von Goldman Sachs sind die Gaspreise für den industriellen Gebrauch in der EU derzeit fast doppelt so hoch wie in den USA. In der Folge müssen selbst Unternehmen wie BASF schließen oder ihren Standort verlagern.

Ohne den Konflikt mit Russland wäre Flüssiggas aus den USA für Europa im Vergleich zum Pipeline-Gas viel zu teuer. Zu hoch wären die Kosten für die Verflüssigung des Erdgases, für den Transport und die Wiedervergasung. Außerdem ist die Infrastruktur, die Europa und Russland verbindet, größtenteils noch intakt. Selbst ohne die zerstörten NordStream-Pipelines gibt es laut OIES noch eine verfügbare Kapazität von 100 Milliarden Kubikmetern.

In einem der fünf Szenarien, die das Columbia Center on Global Energy Policy für russisches Gas entworfen hat, würde Europa im Falle eines Waffenstillstands wieder 56,5 Milliarden Kubikmeter Pipelinegas aus Russland importieren. Das wäre weniger als die Hälfte des Vorkriegsniveaus, aber etwa doppelt so viel wie heute, sodass der Bedarf der Region an LNG sinken würde.

Für die LNG-Produzenten in den USA wäre eine Rückkehr der EU-Staaten zum billigen russischen Pipeline-Gases am folgenschwersten. Sie bemühen sich, die Wahrscheinlichkeit einer solchen Entwickeln zu verringern, indem sie Europa mit langfristigen Verträgen von bis zu 20 Jahren an sich binden. Es ist auffällig, dass die EU-Staaten zögern, sich über derart lange Zeiträume zu verpflichten, wie das Wall Street Journal berichtet.

Offenbar ist man in Brüssel entschlossen, nun ganz auf erneuerbare Energiequellen umzusteigen. Vor dem Ukraine-Konflikt schätzte Rystad Energy, dass die EU bis 2030 über eine Wind- und Solarkapazität von 688 Gigawatt verfügen würde. Das wären 75 Prozent mehr als 2022. Doch seit dem Krieg wurden zusätzliche Maßnahmen angekündigt, sodass die Wind- und Solarkapazität bis zum Ende dieses Jahrzehnts nun voraussichtlich 858 Gigawatt betragen wird.

 


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Zu Weihnachten Zukunft schenken

Gerade zu Weihnachten wünschen sich viele Menschen, etwas von ihrem Glück zu teilen und sich für diejenigen zu engagieren, die es nicht...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Credit Suisse-Debakel: Ausschuss sieht Schuld bei Bank
22.12.2024

Die Nervosität an den Finanzmärkten war im Frühjahr 2023 groß - drohte eine internationale Bankenkrise? Für den Schweizer...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Der Volkswagen-Deal: Worauf sich VW und die IG Metall geeinigt haben
22.12.2024

Stellenabbau ja, Werksschließungen nein: Mehr als 70 Stunden lang stritten Volkswagen und die IG Metall um die Sparmaßnahmen des...

DWN
Technologie
Technologie Webasto-Geschäftsführung: „Der Einsatz von KI ist eine strategische Notwendigkeit“
22.12.2024

Angesichts des wachsenden Drucks durch die Transformation hin zur Elektromobilität und steigender Kosten in der Branche sprechen Markus...

DWN
Panorama
Panorama Vollgas in die Hölle: Arzt gab sich als Islamkritiker und Musk-Fan - wirr, widersprüchlich!
21.12.2024

Er galt bei den Behörden nicht als Islamist, präsentierte sich als scharfer Kritiker des Islams. Er kämpfte für Frauenrechte und...

DWN
Panorama
Panorama Magdeburg: Anschlag auf Weihnachtsmarkt - fünf Tote, 200 Verletzte - Verdächtiger ist verwirrter Islam-Gegner
21.12.2024

Einen Tag nach der tödlichen Attacke auf dem Weihnachtsmarkt in Magdeburg sitzt der Schock tief. Erste Details zum Tatverdächtigen werden...

DWN
Immobilien
Immobilien Grundsteuer 2025: Alles rund um die Neuerung
21.12.2024

Ab Januar 2025 kommt die neue Grundsteuer in Deutschland zum Einsatz. Viele Hausbesitzer und künftige Käufer sind besorgt. Und das...

DWN
Immobilien
Immobilien Förderung jetzt auch für Kauf denkmalgeschützter Häuser
21.12.2024

Wer ein altes Haus kauft und klimafreundlich saniert, bekommt oft Hilfe vom Staat. Das gilt künftig auch für Denkmäler.

DWN
Politik
Politik So wollen die Schweiz und die EU enger zusammenarbeiten
21.12.2024

Die Schweiz ist nicht in der EU, aber es gibt etliche Abkommen. Doch die sind teils veraltet. Das soll sich nun ändern. Was bedeutet das...