In den Vereinigten Staaten untersuchen derzeit acht Geheimdienste sowie der National Intelligence Council, woher das Corona-Virus stammte und wie es auf den Menschen übertragen wurde. Die Einschätzungen liegen weit auseinander, eine klare Beantwortung der Frage ist nicht in Sicht.
Energie-Ministerium ändert Einschätzung
Zuletzt hatte das Energieministerium seine Einschätzung zum Ursprung des Corona-Virus geändert. Wie das Wall Street Journal berichtet, geht die Organisation nun davon aus, dass das Virus wahrscheinlich aus einem chinesischen Labor in der Millionenstadt Wuhan stammt und dass sich dort wahrscheinlich Angestellte der Einrichtung erstmals mit dem Virus angesteckt hatten. Bislang war die Behörde in der Frage unentschlossen.
Die Änderung der Einschätzung soll in einem geheimen Bericht an das Weiße Haus und an ausgewählte Mitglieder des Kongresses notiert worden sein. Wie namentlich nicht genannte Quellen dem Wall Street Journal sagten, bewertet das Energieministerium seine neue Einschätzung allerdings mit einem niedrigen Grad an Gewissheit („low confidence“).
Die vom Wall Street Journal befragten Insider wollten keine Details preisgeben, auf welcher Basis das Energieministerium seine Einschätzung änderte – noch hat die Behörde der Öffentlichkeit Beweise oder Informationen dafür vorgestellt.
Auch ist nicht absehbar, ob der an das Weiße Haus gerichtete Bericht irgendwann der Öffentlichkeit vorgestellt wird. Ein Sprecher des Energieministeriums lehnte es gegenüber dem Wall Street Journal zudem ab, überhaupt Fragen zur Änderung der Einschätzung seiner Behörde zu beantworten.
Einem vom Wall Street Journal befragten Geheimdienstler zufolge basierte die Meinungsänderung des Energie-Ministeriums auf „neuen geheimdienstlichen Erkenntnissen, dem Studium akademischer Literatur und Konsultationen mit Experten, die nicht der US-Regierung angehören.“
Mehrheit glaubt an natürliche Übertragung
Derzeit führen acht amerikanische Geheimdienste sowie der National Intelligence Council (NIC) eigene Untersuchungen zum Ursprung des Virus durch.
Beim NIC handelt es sich um eine Behörde, die Brücken zwischen der Geheimdienst-Community und der Politik bauen soll. Der offizielle Auftrag besteht darin, die politische Führung mit hochklassigen Einschätzungen und Informationen aus der Welt der Geheimdienste zu versorgen, die möglichst neutral und unabhängig von den Präferenzen der amtierenden Regierung ausgewählt und vorgetragen werden.
Die Einschätzungen der acht Geheimdienste und des NIC zum Ursprung des Corona-Virus weichen indes stark voneinander ab und der Öffentlichkeit werden kaum Informationen über die Gründe und Motive zu teil.
So vertreten der National Intelligence Council sowie vier namentlich nicht bekannte Geheimdienste derzeit die These, dass das Virus aus der Natur stammt und durch ein Wirtstier auf den Menschen übertragen wurde – wie dies in der Vergangenheit bereits mehrfach geschehen war. Alle Institutionen vertreten diese These mit geringer Wahrscheinlichkeit („low confidence“).
Zwei Geheimdienste – das Federal Bureau of Investigation (FBI) und das Energieministerium – vertreten die „Labor-These“ – allerdings aufgrund von unterschiedlichen Gründen. Aus dem Bericht des Wall Street Journals ist nicht zu entnehmen, welche Gründe dies sind. Die Anfrage eines republikanischen Senators im Sommer 2022, derzufolge das FBI seine Untersuchungserkenntnisse mit der Öffentlichkeit teilen solle, wurde von der Behörde „mit Rücksicht auf die Integrität der anhaltenden Ermittlungen“ abgelehnt.
Zwei weitere Geheimdienste tendieren zu keiner der beiden Thesen beziehungsweise sind unentschlossen zwischen einer natürlichen Übertragung und einem Labor-Unfalls. Bei einem dieser Geheimdienste handelt es sich um die Central Intelligence Agency, der zweite unentschlossene Geheimdienst ist nicht bekannt.
Das gespaltene Lagebild stammt aus dem Jahr 2021, als sich die Geheimdienste und weitere US-Behörden nach mehrmonatiger Prüfung nicht auf eine gemeinsam vertretene These einigen konnten.
Einig sind sich alle an den Untersuchungen beteiligten Organisationen nur darin, dass das Virus nicht Folge eines chinesischen Programms zur Biowaffen-Forschung sei, so das Wall Street Journal.
Politisch aufgeladene Forschung
Ein großes Problem bei der Beantwortung der Frage, woher das Virus stammt und wie es auf den Menschen übertragen wurde, stellt die politische Kontaminierung des Sachverhalts dar.
Die Suche nach dem Ursprung des Virus ist längst in den sich verschärfenden Machtkampf zwischen den USA und China eingebettet, welchen die Trump-Regierung mit der Lancierung eines Handels- und Wirtschaftskriegs gegen die Chinesen im Jahr 2018 eingeläutet hatte.
Schon wenige Wochen nach dem Ausbruch der Pandemie Anfang des Jahres 2020 begann die Trump-Administration zudem, öffentlich einen „Labor-Unfall“ in China als Grund für die Pandemie ins Spiel zu bringen – ohne dafür irgendwelche Beweise vorzulegen. Ex-Präsident Donald Trump deutete zudem Reparationsforderungen gegen China an, sollte sich seine These erhärten.
Trumps Nachfolger Biden forderte die Beibehaltung der Untersuchungen zum Ursprung der Pandemie. Dem Nationalen Sicherheitsberater Jake Sullivan zufolge empfahl er auch ein Engagement des Energie-Ministeriums, weil dieses über eine Reihe eigener Laboratorien und Expertise auf dem Feld von ansteckenden Krankheiten verfügt.
Die chinesische Regierung antwortete auf Trumps Vorwürfe mit Ablehnung und Gegenvorwürfen. So verwies sie darauf, dass die USA über ein großes Netz an Forschungslaboren zur biologischen Kriegsführung verfügten und stellte insbesondere Fragen zu Vorgängen, die sich im Sommer 2019 in Fort Detrick in den USA ereignet hatten.
Am Standort Fort Detrick bündeln sich mehrere Einrichtungen und Labore, die im Auftrag des Verteidigungsministeriums und auf dem Gelände der US-Armee an Erregern im Rahmen der biologischen Kriegsführung forschen. Im August 2019 wurde der Betrieb dort aufgrund von Sicherheitsbedenken auf Weisung des Center for Disease Control and Prevention eingestellt. Konkret ging es darum, dass das Abwasser der Labore nicht ausreichend von Erregern de-kontaminiert worden sein soll.
Pekings Außenamtssprecherin Mao Ning sagte zuletzt am Montag vor der Presse, die Suche nach dem Ursprung des Virus sei eine wissenschaftliche Angelegenheit und solle „nicht politisiert“ werden.
Dass eine Laborpanne „höchst unwahrscheinlich“ sei, habe die Forschungsmission der Weltgesundheitsorganisation (WHO) mit chinesischen Wissenschaftlern bei ihren Untersuchungen 2021 in Wuhan festgestellt, wo das Virus erstmals entdeckt worden war, so Mao Ning. Es solle aufgehört werden, die Labortheorie aufzubauschen und China zu verleumden, sagte die Sprecherin weiter.
Die WHO-Forschungsmission kam Anfang 2021 zu dem Schluss, dass ein ursprünglich von Fledermäusen ausgehender Virus die wahrscheinlichste Erklärung für die Entstehung des neuartigen Corona-Virus sei. Weitere, tiefergehende Untersuchungen in China und angrenzenden Ländern, welche die WHO nach dem Besuch in Wuhan plante, wurden aber inzwischen größtenteils auf Eis gelegt, wie das Magazin Nature berichtet.
Ein wichtiger Grund hierfür soll die Politisierung des Sachverhalts sein. „Die auf der ganzen Welt dazu verfolgten politischen Kampagnen haben den Fortschritt hin zum Verstehen des Ursprungs wirklich behindert“, zitiert Nature eine Epidemiologin der Weltgesundheitsorganisation in Genf.
Blackbox Corona
Der politischen Kontamination des Sachverhalts sowie der jedem Geheimdienst innewohnenden Tendenz, sich gegenüber anderen Geheimdiensten zu profilieren, dürfte der Grund für die undurchsichtigen Forschungsbemühungen der US-Geheimdienste sein.
Schon die Tatsache, dass die vier Behörden, die zusammen mit dem NIC an eine natürliche Übertragung glauben, nicht namentlich bekannt sind, spricht Bände. Offenbar wollen sich diese Organisationen nicht öffentlich positionieren und werden dafür ihre eigenen Motive haben.
Angesichts von Millionen von Toten, die infolge der Pandemie zu beklagen sind, sowie massiver wirtschaftlicher Schäden, welche die betroffenen Regierungen schließlich selbst durch ihre Lockdown-Politik herbeigeführt hatten, scheint die Frage nach dem Ursprung des Virus – und damit anschließend möglicherweise die Frage nach der Verantwortung – politisch zu viel Sprengstoff zu bieten, als das damit leichtfertig umgegangen werden könnte.
Angesprochen auf die Änderung der Einschätzung des US-Energie-Ministeriums sagte ein Sprecher des deutschen Bundesgesundheitsministeriums zur Nachrichtenagentur dpa: „Wir haben weiterhin keine eigenen Erkenntnisse, die diese Labor-Hypothese im Augenblick stützen.“