Politik

Chinas Weltmacht-Ansprüche und seine neue Richtung

Lesezeit: 10 min
11.03.2023 09:22  Aktualisiert: 11.03.2023 09:22
Der Aufstieg Chinas war die Erfolgsgeschichte der vergangenen drei Jahrzehnte. Doch die Hoffnungen, dass China sich nahtlos in die vom Westen dominierte Weltpolitik intergiert, schwinden allmählich. In welche Richtung entwickelt sich China stattdessen?

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Der Aufstieg Chinas war die bestimmende Story der vergangenen drei Jahrzehnte. Keine Analyse der internationalen Volkswirtschaft oder Politik kann ihn ignorieren. Doch im Laufe der Zeit hat sich die Diskussion verlagert. Vor 2017 wurde weithin die Ansicht vertreten, dass sich China zu einem „verantwortungsvollen Stakeholder“ in den internationalen Einrichtungen entwickeln würde, die nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden waren und den Kalten Krieg überlebt hatten. Inzwischen jedoch sorgen sich viele, dass China „ein illiberaler Staat [sei], der die Führung in einer liberalen Weltordnung übernehmen möchte“, wie der ehemalige stellvertretende Gouverneur der Bank von England Paul Tucker in seinem Buch Global Discord formuliert. Die Frage ist daher, wie freiheitliche, marktwirtschaftliche Demokratien mit einem derartigen Staat umgehen sollten, wenn sich dieser zu einer systematisch bedeutsamen Macht entwickelt.

Keins der vier hier betrachteten Bücher gibt darauf eine überzeugende Antwort – was freilich daran liegen könnte, dass die China-Frage keine derartige Antwort zulässt. Stattdessen bietet jeder der Verfasser ein klares Narrativ der Verwandlung Chinas vom armen Entwicklungsland zum wichtigsten globalen Konkurrenten des Westens. Womöglich am wichtigsten ist dabei der Vorsprung, den China inzwischen bei hochmodernen Technologien wie Telekommunikation, Fintech und künstlicher Intelligenz erlangt hat. Dies sind sämtlich Wirtschaftszweige mit großer strategischer Bedeutung nicht nur für die künftige wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit, sondern auch für die internationale und nationale Sicherheit.

Um zu verstehen, warum China nicht länger auf dem Weg ist, ein „verantwortungsbewusster Stakeholder“ innerhalb der Weltwirtschaft zu werden, muss man sich Chinas Vorteil in diesen Bereichen bewusst machen. Chinas Führung hat schlicht keinen so starken Anreiz mehr wie früher, mit und in einem US-geführten System zu leben.

Wandel der Zeiten

Was Chinas langfristigen strategischen Kurs angeht, sind einzelne, vorübergehende Ereignisse weniger wichtig als die Umsetzung des Gesamtplans. Dieser Prozess verläuft zwangsläufig allmählich und in kleinen Schritten, gemäß der in der modernen Ära von Deng Xiaoping populär gemachten chinesischen Redensart, wonach die chinesische Führung „den Fluss überqueren [solle], indem sie die Steine ertastet“. Die Wendepunkte dabei sind nicht immer offensichtlich und lassen sich manchmal erst mit deutlicher Verzögerung erkennen.

Man denke an das Jahr 2016, als China, das damals die rotierende Präsidentschaft der G20 innehatte, in herausragender Weise die Rolle des „verantwortungsbewussten Stakeholders“ spielte. In jenem September fügte der Internationale Währungsfonds den Renminbi zu dem Währungskorb hinzu, der seiner globalen Reservewährung, den Sonderziehungsrechten (SZRs), zugrunde liegt. Er stellte ihn damit auf eine Ebene mit dem Dollar, dem Euro, dem Pfund Sterling und dem japanischen Yen. Wie Andrew Small vom German Marshall Fund in The Rupture beschreibt, witzelte US-Präsident Barack Obama damals, dass China mit dem Start des chinesisch-pakistanischen Wirtschaftskorridors womöglich eine Verantwortung für den Umgang mit einem Land übernehmen könnte, das den Amerikanern seit Langem Kopfschmerzen bereite.

Die seitdem vergangenen Jahre waren chaotisch. Als Donald Trump 2017 ins Weiße Haus einzog, nahm seine Regierung eine aggressive Haltung gegenüber Chinas positiver Handelsbilanz mit den USA ein und beschuldigte das Land offiziell der „Währungsmanipulation“ (ein Vorwurf, der später zurückgezogen wurde). Doch war die bilaterale Handelsbilanz natürlich nicht das wahre Problem (wie alle, die Trumps ökonomisches Analphabetentum verspotteten, betonten). Das Problem war vielmehr, dass China seit langem einen asymmetrischen Zugang zu den Märkten in den USA und Europa (einschließlich des Vereinigten Königreichs) genossen hatte und dass der globale Wettlauf um die Vorherrschaft bei fortschrittlichen Technologien an Fahrt gewann.

Die internationale Integration durch Handels- und Finanzflüsse hatte zwei Jahrzehnte lang das globale Wirtschaftswachstum befeuert, doch schien der Prozess an seine Grenzen zu geraten. China war inzwischen nicht mehr bloß ein wichtiger Exporteur preiswerter, arbeitsintensiver Bekleidungs- und Elektronikartikel; es hatte sich zu einem Wettbewerber in kapitalintensiven strategischen Branchen entwickelt. Während die westlichen Politiker den Wettbewerb in Branchen mit geringer Wertschöpfung tolerieren konnten – und einige diesen sogar als Methode ermutigten, um „Strukturreformen“ in den hochentwickelten Volkswirtschaften anzustoßen (ein Argument, dass sowohl Small als auch Tucker zerpflücken) –, sollten Wirtschaftszweige weiter oben auf der Wertschöpfungskette außerhalb der Reichweite Chinas bleiben.

Eine eindrucksvolle Illustration dieses Wandels war Chinas fraglose Vorreiterrolle bei der 5G-Telekommunikationstechnologie. Wie Small akribisch genau aufzeigt, bringen die jüngsten Konflikte darüber, wer in Europa 5G bereitstellen sollte, die globale Dynamik der Fortschritte Chinas bei hochmodernen Technologien auf den Punkt. Eine Auswirkung bestand in einer Spaltung des Westens. Die USA und ihre europäischen Partner vertraten unterschiedliche Ansichten über die von der chinesischen Technologie ausgehenden Herausforderungen für Wirtschaft und Sicherheit.

Zum Beispiel ließen sich Deutschland, das stark vom Handel mit China abhängig ist, und das Vereinigte Königreich, das sich auf den Brexit vorbereitete, beide dazu verleiten, die mit einem Kauf ihrer 5G-Netzwerke bei Huawei verbundenen Risiken zu missachten. Insbesondere die britische Regierung beharrte darauf, dass von Huawei keine bedeutsame Sicherheitsbedrohung ausging und es das beste Preis-Leistungs-Verhältnis böte, was sie freilich in einen deutlichen Konflikt mit den USA brachte. Letztlich gab das Vereinigte Königreich seine Position auf, was laut Small auf die „umfassendste je [von den USA] unternommene Mobilisierung politischer Ressourcen zu einem mit China verknüpften Problem“ zurückzuführen war.

Ein Land im Lockdown

Der bisher letzte Wendepunkt kam mit Chinas Umgang mit der COVID-19-Pandemie. Zunächst vereitelten die Versuche der chinesischen Behörden, den Ausbruch abzustreiten und zu vertuschen, die beste Chance auf eine koordinierte internationale Reaktion, die die Welt hatte. Dann kam die unglückliche „Null-COVID“-Politik des chinesischen Präsidenten Xi Jinping, die zu höherer Inflation und einem deutlich verlangsamten Wirtschaftswachstum in China beitrug und die Führung des Landes weiter aus dem Gleichschritt mit den USA und Europa brachte.

Die Pandemie führte daher dazu, dass China isolierter war als seit vielen Jahren. Seit Anfang 2020 war es von der übrigen Welt abgekoppelt; bis diese Woche unterlagen alle Besucher des chinesischen Festlands einer obligatorischen zehntägigen Quarantäne. Die Folge, so Tucker, waren „ein asymmetrischer Rückgang der Nachrichtenflüsse von Ost nach West“ und ein Zusammenbruch des wechselseitigen Vertrauens.

Chinas Bemühungen zum Schutz seiner Bevölkerung vor dem Virus angesichts qualitativ minderwertiger Impfstoffe, einer Regierung, die sich weigert, wirksamere westliche Impfstoffe zu nutzen, und einer viel niedrigeren Impfquote als in den USA und der EU haben den bereits zuvor zunehmenden Trend zur Wendung nach innen noch verstärkt. So ist es etwa im Vergleich zu den Jahren vor 2017 für US-amerikanische und europäische Wissenschaftler viel schwieriger geworden, mit ihren chinesischen Kollegen zusammenzuarbeiten. Und mit wachsender internationaler Isolation ist China zu Hause deutlich rigider und autoritärer geworden.

Innovative private Unternehmen mit hochmodernen Technologien und der Fähigkeit, staatseigene Unternehmen aus dem Feld zu schlagen, werden nun in ihrer Entwicklung behindert. Die meisten dieser Emporkömmlinge entstanden und florierten in der Zeit vor 2017, als die chinesische Führung noch immer mit den neuen digitalen Technologien – den sozialen Medien, dem elektronischen Handel und dem mobilen Banking – und ihren Auswirkungen auf die politische Stabilität rang. Zu den bekanntesten Erfolgsgeschichten gehören die chinesischen Technologie-Konglomerate Tencent und Alibaba. Beide sind in den letzten Jahren ins Visier der chinesischen Behörden geraten.

Ein System innerhalb des Systems

In einer Rede auf dem Bund Finance Summit am 24. Oktober 2020 kritisierte Jack Ma, damals einflussreicher Gründer von Alibaba und reichster Mensch Chinas, die politische Führung seines Landes offen wegen ihrer seiner Ansicht nach überzogenen Regulierung. „Innovation risikofrei zu machen bedeutet, sie zu ersticken“, warnte er zu Recht. Doch der Ton seiner Rede war problematisch, und er hatte das politische Klima unter Xi eindeutig falsch eingeschätzt. Der Freiraum für öffentliche Debatten war seit 2014, als Ma die Monopolmacht der chinesischen Großbanken erfolgreich in Frage gestellt hatte, erheblich kleiner geworden.

Ma zahlte einen hohen Preis für seine Offenherzigkeit. Wie Martin Chorzempa vom Peterson Institute for International Economics in The Cashless Revolution anmerkt, war Mas Auftritt auf dem Bund Summit die womöglich „kostspieligste Rede in der Geschichte“. Nur wenige Tage später wurde der mit Spannung erwartete Börsengang von Alibabas Finanzsparte, der Ant Group, plötzlich blockiert. Mit einer Bewertung von 313 Milliarden Dollar war es der größte je geplante Börsengang. Doch er sollte nicht sein. Ants Führungskräfte wurden vor die chinesischen Aufsichtsbehörden gezerrt, und Ma (dessen persönliche Beteiligung sich auf etwa 27 Milliarden Dollar belief) verschwand für drei Monate von der Bildfläche.

Diese Ereignisse schockierten die Welt und untergruben die Wahrnehmung der Anleger von China als einem sicheren Ort, um Geschäfte zu machen, erheblich. Ants Marktwert ist seitdem zusammengebrochen (auf rund 70 Milliarden Dollar), und es bleibt ein privates Unternehmen, das kurzfristig kaum Aussicht auf einen Börsengang hat. Chorzempa kommt nach akribischer Rekonstruktion der zu Ants Niedergang führenden Ereignisse zu dem Schluss, dass Chinas Aufsichtsbehörden zutiefst besorgt waren über die von Tencent und Alibaba angehäufte Macht. Die beiden „Super-Apps“ dieser Unternehmen (die jeweils eine Suite grundlegender Dienste wie Messaging, Einkaufen und Bezahlung umfassen) verschafften ihnen enorme Mengen an personenbezogenen Daten und die damit verbundene Macht. 2013, nur zwei Jahre nach ihrem Start, hatte Tencents App WeChat bereits 270 Millionen Nutzer.

Zudem hatten Finanzinnovationen es beiden Unternehmen ermöglicht, kurzfristige Kredite in außergewöhnlich praktischer Manier anzubieten, was sie (insbesondere im Falle von Ant) zu direkten Konkurrenten der staatlich kontrollierten Banken machte und eine potenzielle Bedrohung für die Finanzstabilität schuf. Sie hatten es geschafft, ein neues System innerhalb des Systems aufzubauen, und betrachtet man die Implikationen dieser Leistung, überrascht es nicht, dass die Aufsichtsbehörden Mas Rede als Chance nutzten, um wieder die Kontrolle zu übernehmen.

Wie Chorzempa zeigt, beruhte der Erfolg von Alibaba und Tencent darauf, dass sie das Problem digitaler mobiler Zahlungen gelöst hatten. Plötzlich ließen sich Smartphones überall in Chinas Großstädten zum Bezahlen für Waren und Dienstleistungen nutzen – und das zu einer Zeit, als kontaktlose Zahlungen per Kreditkarte in Europa noch als hochfortschrittlich galten.

Wie für Nachzügler typisch, übernahm China neueste Technologie und übersprang eine Zwischenstufe, an der die bestehenden Platzhirsche noch immer festhielten. 2008 wurden nur rund 10 Prozent der Zahlkarten in China regelmäßig genutzt, und ausländische Kunden mussten oft mühsam den einen Laden im Viertel suchen, der ein Kreditkartenterminal hatte (oder wurden aufgefordert, einen handschriftlichen Visa-Beleg zu unterschreiben). Doch schon 2010 hatte Alipay 500 Millionen Nutzer, die pro Tag Transaktionen im Volumen von zwei Milliarden Renminbi (290 Millionen Dollar) tätigten. Das machte es zum weltgrößten Online-Zahlungsunternehmen noch vor PayPal.

Zuerst kommt die Partei

In jenen Jahren vor 2017 bot China ein ideales Fintech-Umfeld. Der „Schattenbankensektor“ – ein unregulierter, oft von den Banken selbst betriebener Kreditkanal – bot einen wachsenden Markt für neue Finanzprodukte. Es bestand eine hohe Nachfrage nach Anlageinstrumenten, die höhere Renditen boten als der offizielle Bankensektor, wo schlecht verzinste Ersparnisse zu günstigen Zinsen an staatseigene Unternehmen weitergeleitet wurden. Die kredithungrigen privaten Unternehmen lernten die Flexibilität der neuen Blockchain-Technologien schätzen, die zudem genutzt wurden, um Millionen von Chinesen ohne Kredithistorie Zugriff auf Kredite zu verschaffen.

Alibaba und Tencent schafften es, diesen Markt zu besetzen, lange bevor die chinesischen Aufsichtsbehörden allzu besorgt wurden. Nach Chorzempas Schätzung vergingen zwischen der Einführung der neuen Finanzprodukte und den ersten Regulierungsmaßnahmen etwa sieben Jahre. In der Zwischenzeit erhielten Alipay und WeChat Pay neue Genehmigungen, und die Eintrittsbarrieren zum Finanzsektor wurden abgebaut. Es gab keine robusten Datenschutzbestimmungen für personenbezogene Daten, da Chinas bruchstückhafte und in sich widersprüchliche Datenschutzgesetze auf die Fintech nicht klar anwendbar waren. Finanzreformer wie Zhou Xiaochuan, der von 2002 bis 2018 Chef der chinesischen Notenbank war, sahen die Fintech als den Funken an, der zur Reform des breiteren Finanzsektors benötigt wurde.

Angesichts weiterhin wohlwollend gleichgültiger Aufsichtsbehörden trieben die Fintech-Unternehmen die neuen Technologien weiter voran, und das mit schwindelerregendem Erfolg. 2017 war China der weltgrößte und fortschrittlichste Markt für das digitale Finanzgeschäft. Laut Chorzempa verwendeten fast 70 Prozent der digital aktiven Menschen in China Fintech-Angebote, verglichen mit bloßen 33 Prozent in den USA. Zusammen beherrschten Alipay und WeChat Pay 90 Prozent des Marktes für Online-Zahlungen.

Doch war Chinas Fintech-Boom zugleich per se anfällig, weil von ihm systemische Risiken für die Finanzstabilität ausgingen. Ant allein hatte ausstehende Verbraucherkredite im Umfang von mehr als 271 Milliarden Dollar in den Büchern. Das Platzen der Blase am Aktienmarkt im Juni 2015 war das erste Warnsignal. Letztlich dann führten die chinesischen Währungsbehörden im Schnelldurchgang neue Vorschriften ein, um wieder eine gewisse Kontrolle über die Finanzinfrastruktur von Alibaba und Tencent zu erlangen. Dieses frühere Durchgreifen im Fintech-Sektor stellte nicht nur wieder Finanzstabilität her, sondern setzte auch den mächtigen Wirtschaftseliten Grenzen und stärkte so die Kontrolle der Zentralregierung.

Der Renminbi wird digital

Der Schlüssel zu Chinas bargeldloser Revolution ist ein auf die staatlichen politischen Ziele reagierendes und auf sie abgestimmtes Finanzsystem. Doch ist dieses zugleich der Ursprung tiefer liegender Probleme im Finanzsektor, so etwa des langsamen Reformtempos und der beschränkten Konvertierbarkeit der chinesischen Währung. Es sind diese Beschränkungen, die der internationalen Verwendung des Renminbi Grenzen gesetzt haben.

In One Currency, Two Markets gibt Edwin L.-C. Lai von der Hong Kong University of Science and Technology eine Übersicht über die Defizite des Renminbi und die zu ihrer Überwindung verfolgten politischen Strategien. Besondere Aufmerksamkeit widmet Lai der Strategie der Internationalisierung des Renminbi, die auf der Vorstellung beruht, dass der Renminbi wie jede andere internationale Währung an den Auslandsmärkten gehandelt werden kann, selbst wenn seine Konvertierbarkeit im Inland durch Kapitalkontrollen eingeschränkt wird.

Ab 2017 jedoch spielten die ausländischen Renminbi-Märkte nicht länger die beabsichtigte Rolle. Während der Renminbi seit Einleitung der Internationalisierungsstrategie 2010 beträchtliche Erfolge verzeichnete (er kommt bei rund einem Viertel von Chinas Handel zum Einsatz und ist die am fünfthäufigsten gehandelte Währung der Welt sowie Teil des SZR-Währungskorbes des IWF), bleibt der Umsatz damit im Verhältnis zum chinesischen BIP niedrig – er beträgt nur 3 Prozent, verglichen mit 30 Prozent für den Dollar. Lai kommt zu dem Schluss, dass er noch immer nicht im Ansatz eine Konkurrenz für den Dollar darstellt.

Auch von Chinas Status als Vorreiter bei der Einführung von digitalem Notenbankgeld geht keine bedeutsame Herausforderung für den Dollar aus. Der digitale Renminbi wird einige attraktive Funktionen haben – wie etwa rasches und sicheres Bezahlen –, die seine umfassendere Nutzung fördern könnten, doch er wird fest unter der zentralisierten Kontrolle der chinesischen Währungsbehörden bleiben. Nichtansässige werden weiterhin zögern, ihn als Wertspeicher zu nutzen, was einen der zentralen Tests für internationale Währungen darstellt.

Wie Tucker uns in Erinnerung ruft, haben sich die grundlegenden Funktionen von Währungssystemen seit dem späten 18. Jahrhundert nicht wesentlich verändert, und die Trennung zwischen Kreditvergabe-Entscheidungen und Regierung war immer von entscheidender Bedeutung. Ohne sie ist die Vertraulichkeit der Daten miteinander Geschäfte tätigender Personen nicht gewährleistet. Doch anders als Bargeld, das (zum Guten wie zum Schlechten) Anonymität ermöglicht, sind digitale Zahlungen und Währungen uneingeschränkt rückverfolgbar.

Es besteht daher ein eindeutiges Spannungsfeld zwischen Bequemlichkeit und Datenschutz. Wie wir inzwischen wissen, sammeln digitale Dienste – gewöhnlich private Unternehmen – ununterbrochen Nutzerdaten, um sie für Marketing- oder Product-Placement-Zwecke zu nutzen oder an Dritte zu verkaufen. Doch China hat diese Praxis noch weiter geführt. Alibabas und Tencents Super-Apps bringen sogar noch umfassendere personenbezogene Datensätze hervor, die von den Verbrauchervorlieben bis hin zu Bonitätsbewertungen reichen. Die Regierung hat dies zur Einrichtung eines umfassenden Sozial-Kredit-Systems genutzt, das faktisch darüber bestimmt, was für Möglichkeiten jedem Einzelnen offenstehen.

Weil die Datenherrschaft für China derart wichtig ist, gehen Chorzempa, Small und Tucker alle drei davon aus, dass der Staat eine noch größere Kontrolle über diese Sektoren geltend machen und dabei die Innovation ersticken wird. Falls dies zutrifft, wird es Alibaba und Tencent sehr schwer fallen, als internationale Unternehmen zu wachsen (das große Ziel aus der Zeit vor 2017), weil man sie unweigerlich nicht als Wirtschaftsunternehmen, sondern als verlängerten Arm des chinesischen Staates betrachten wird (wie Huawei).

Chinas Führung scheint bereit, diese Kosten als Preis für die Befreiung aus der US-geführten Ordnung zu akzeptieren. Womöglich ist sie zu dem Schluss gelangt, dass – selbst, wenn der digitale Renminbi den Dollar nicht herausfordern kann – die Fintech-Innovation und digitale Währungen es Nichtchinesen erleichtern werden, den Renminbi bei internationalen Transaktionen zu nutzen, und dass dies für sanktionsbelegte Länder praktisch sein wird. Der digitale Renminbi wird China helfen, seine Abhängigkeit vom Dollar bei bilateralen Transaktionen zu verringern, und ihm gestatten, aus dem internationalen Währungssystem in ein paralleles – wenn auch seichteres – von ihm selbst beherrschtes System umzusteigen. Das wird viele neue geopolitische, finanzielle und makroökonomische Fragen aufwerfen. Eins jedoch ist bereits jetzt sicher: Das internationale Finanz- und Währungssystem wird sich stärker zersplittern, was noch weniger Raum für politische Kooperation und Koordination lassen wird.

Aus dem Englischen von Jan Doolan

Paola Subacchi ist Professorin für internationale Volkswirtschaft am Queen Mary Global Policy Institute der University of London. Zuletzt von ihr erschienen ist China and the Global Financial Architecture: Keeping Two Tracks on One Path (Friedrich-Ebert-Stiftung, 2022).


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