Die italienische Regierung hat wegen der zuletzt hohen Migrationszahlen über die Mittelmeerroute landesweit einen Notstand beschlossen. Dieser gelte für sechs Monate und solle den besonders betroffenen Regionen im Süden zunächst fünf Millionen Euro zur Verfügung stellen, berichtete die Nachrichtenagentur Ansa am vergangenen Dienstag. Mit dem Notstand sollen demnach einfacher neue Aufnahmezentren für Flüchtlinge errichtet werden können.
In Italien wird seit geraumer Zeit über die Ankunft zehntausender Migranten diskutiert. Das Innenministerium in Rom zählte in diesem Jahr bereits mehr als 31.000 Menschen, die auf Booten Italien erreichten - im gleichen Vorjahreszeitraum waren es rund 7.900.
Die Mittelmeerinsel Lampedusa ist derzeit besonders betroffen. Nach der Ankunft von Tausenden Menschen ist das dortige Erstaufnahmelager überfüllt. In dem Camp, das eigentlich maximal knapp 400 Menschen aufnehmen kann, sind zurzeit mehr als 1.800 Migranten untergebracht, wie die Nachrichtenagentur Ansa berichtete.
Etliche Menschen versuchen immer wieder mit oft seeuntauglichen Booten aus Tunesien und Libyen über das Mittelmeer die italienischen Inseln Lampedusa und Sizilien sowie das italienische Festland oder Malta zu erreichen. Bei den hochgefährlichen Überfahrten kommt es mitunter zu verheerenden Bootsunglücken, wie etwa Ende Februar vor der Küste Kalabriens mit mindestens 90 Toten.
Meloni: EU in der Pflicht
Die italienische Regierung sieht die EU in der Pflicht, dafür zu sorgen, dass weniger Migranten über die Mittelmeerroute ins Land kommen. Nachdem das Kabinett einen landesweiten Notstand angesichts der steigenden Zahlen ausgerufen hatte, sagte der Minister für Katastrophenschutz, Nello Musumeci: „Es muss klar sein, dass der Notstand das Problem nicht löst.“ Nur ein "bewusstes und verantwortungsvolles Eingreifen der Europäischen Union" könne zur Bewältigung beitragen.
Die Regierung erwartet laut einer Mitteilung in den kommenden Monaten eine weitere Zunahme der Ankünfte von Migranten. Die Ausrufung des Notstands soll laut Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni daher „wirksame und rechtzeitige Antworten auf die Organisation der Ströme“ geben, teilte ihr Amtssitz in Rom am späten Dienstagabend mit.
Die EU-Kommission kündigte am Mittwoch an, die Details des Notstands zu prüfen. Man sei eng mit den italienischen Behörden in Kontakt, sagte eine Sprecherin. Zugleiche gebe es schon jetzt ein breites Spektrum an Unterstützung für das Land. Die Sprecherin nannte etwa Hilfe durch EU-Behörden wie Frontex oder Europol vor Ort. Außerdem erhalte Italien am meisten Geld aus dem Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds der EU.
Zur Verhängung des Notstandes schreibt die spanische Zeitung La Vanguardia:
«Die italienische Ministerpräsidentin (Giorgia Meloni) verschärft ihre Anti-Einwanderungspolitik und setzt die EU unter Druck (...) Es handelt sich um eine noch nie dagewesene Maßnahme. Der tatsächliche Umfang lässt sich noch nicht einschätzen. Die Maßnahme wird aber den italienischen Behörden ermöglichen, außergewöhnliche Befugnisse zu nutzen, um die Identifizierung und die Ausweisung von irregulären Migranten zu beschleunigen. (...)
Die Entscheidung von Meloni ist eine klare Botschaft an Brüssel. Italien besteht darauf, dass die Migrationskrise eine gemeinsame Strategie der Europäischen Union erfordert (...) Meloni fordert Entscheidungen. Sie besteht bereits seit Monaten darauf. Sie fordert von den europäischen Partnern mehr Solidarität und dass sie diese Quoten für Asylbewerber akzeptieren. Und sie hat damit nicht unrecht.»
Üblicherweise wird ein Notstand ausgerufen, um auf Naturkatastrophen zu reagieren, wie etwa Erdbeben oder Dürre-Rekorde im Sommer 2022. Dass der Notstand nun wegen der Migranten ausgerufen wurde, löste unter Oppositionspolitikern Kritik aus. Giuseppe Conte, Italiens Ex-Ministerpräsident schrieb auf Facebook, Meloni habe den Notstand beschlossen, "weil sie nicht in der Lage ist, die Ankünfte von Migranten zu bewältigen, die sich im Vergleich zum vergangenen Jahr vervierfacht haben".