Politik

Landwirte gehen auf die Barrikaden: EU-Klimapolitik trifft auf Widerstand

Lesezeit: 5 min
23.04.2023 08:52  Aktualisiert: 23.04.2023 08:52
Die EU-Pläne für die Landwirtschaft drohen das Sterben der landwirtschaftlichen Betriebe im Namen des Klimas massiv zu beschleunigen. Doch es gibt Widerstand.
Landwirte gehen auf die Barrikaden: EU-Klimapolitik trifft auf Widerstand
EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen will die Landwirtschaft reformieren, doch der Widerstand wächst. (Foto: dpa)
Foto: Olivier Matthys

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Die Behörden in Brüssel erörtern neue Vorschriften für die europäische Landwirtschaft, die dazu führen, dass schon relativ kleine landwirtschaftliche Betriebe künftig wie Industrieanlagen behandelt werden, also ähnlich wie Stahlwerke oder Chemiewerke. Die geplanten gesetzlichen Anforderungen an die Landwirte sind enorm. Sie sollen dazu beitragen die weit reichenden Ziele zu erfüllen, die in der "Farm to Fork"-Strategie formuliert sind:

  • Reduzierung des Einsatzes von chemischen Pestiziden um 50 Prozent bis 2030
  • Verringerung des Düngemitteleinsatzes um 20 Prozent bis 2030
  • Senkung des Verkaufs von antimikrobiellen Mitteln für Nutztiere und in der Aquakultur um 50 Prozent
  • Erhöhung der Anbaufläche für den ökologischen Landbau von 9,1 Prozent im Jahr 2020 auf 25 Prozent im Jahr 2030
  • Größere Viehzuchtbetriebe müssen die für die Schwerindustrie geltenden Vorschriften für saubere Luft und sauberes Wasser einhalten

Dies geschieht vor dem Hintergrund, dass der Krieg in der Ukraine die globalen Lebensmittelmärkte durcheinander gebracht hat und die Landwirte in der EU bereits mit einer Kürzung der Subventionen im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik (Common Agricultural Policy, CAP) rechnen müssen. Die Landwirtschaft ist der Europäischen Umweltagentur zufolge für 11 Prozent der gesamten Treibhausgasemissionen in der EU verantwortlich.

Neben den Treibhausgasen sind auch die Stickoxide, die in Düngemitteln enthalten sind, sowie tierischer Urin und Exkremente nach Auffassung der Brüsseler Behörden ein wesentlicher Teil des Problems. Denn hohe Stickstoffkonzentrationen führen dazu, dass invasive Arten andere Pflanzen zu verdrängen, was zum Verlust der biologischen Vielfalt führen kann.

Die 9,1 Millionen landwirtschaftlichen Betriebe in der Europäischen Union reichen von großen Industrieunternehmen mit Tausenden Tieren bis hin zu Kleinbauern mit einer Handvoll Ziegen. Die Gewinnspannen sind aber fast überall gering - sowohl bei Bio-Erzeugern als auch bei Schweinezüchtern, die dem internationalen Wettbewerb ausgesetzt sind und bei denen schon ein geringer Anstieg des Futtermittelpreises den Ruin bedeuten kann.

Ukraine-Krise ist Katastrophe für die Landwirtschaft

Der Ukraine-Krieg begann genau zu dem Zeitpunkt, als die EU-Kommission ihre "Farm to Fork"-Ziele vorstellte. Die zwei zeitgleich hinzukommenden Belastungen für die Landwirte organisiert sich erstmals wirksamer Widerstand. Unter dem Druck der Agrarlobby haben mehrere Regierungen von EU-Mitgliedsstaaten die Vorschläge der Kommission zurückgewiesen.

Die niederländische Regierung hat vor kurzem ein Programm zur Schließung Tausender landwirtschaftlicher Betriebe kassiert, mit dem sie das erklärte Ziel verfolgt hatte, die Emission von Stickstoffoxid zu verringern. Mit dem Stopp reagierte die Regierung darauf, dass sich zuvor eine neue Bürgerbewegung der Landwirte (BBB) gegen die EU-Pläne formiert und bei den Kommunalwahlen im März den Sieg davon getragen hatte.

In den letzten Tagen haben Polen und Ungarn die Einfuhr von Getreide, Milchprodukten, Fleisch, Obst und Gemüse aus der Ukraine vorübergehend gestoppt, nachdem sich die Landwirte über billige ukrainische Lebensmittel beschwert hatten. Der wachsende Widerstand stellt eine große Herausforderung für die EU-Kommission dar, die bis 2050 netto null Emissionen erreichen will.

Warum wehren sie die Landwirte plötzlich?

Für viele Landwirte ist der Widerstand gegen die anstehenden Änderungen nichts weniger als eine Frage des wirtschaftlichen Überlebens. Nach Ansicht des belgischen EU-Abgeordneten Tom Vandenkendelaere ist der Druck auf die Landwirte unerträglich geworden. "Es ist die Anzahl der politischen Maßnahmen, die sie gleichzeitig treffen. Wir müssen das Tempo drosseln", zitiert ihn die Financial Times.

Nach Angaben des französischen Instituts für Gesundheit ist die Wahrscheinlichkeit, dass Landwirte Selbstmord begehen, dreimal so hoch wie bei anderen Berufsgruppen. Caroline van der Plas, Vorsitzende des BBB, sagte Anfang April vor dem niederländischen Parlament: "Menschen, die uns unsere tägliche Nahrung liefern [...] werden als Tierquäler, Giftmischer, Bodenzerstörer und Umweltverschmutzer abgestempelt."

Die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe in der EU ist seit 2005 bereits um mehr als ein Drittel geschrumpft. Während der durchschnittliche Betrieb größer geworden ist, bleibt das Jahreseinkommen mit nur etwa 20.000 Euro pro Person konstant niedrig. Drei Viertel aller Betriebe sind in Familienhand und haben ein noch geringeres Durchschnittseinkommen. Dies erklärt, warum in den letzten zehn Jahren so viele landwirtschaftliche Betriebe aufgegeben haben.

Bram van Hecke, der auf dem Milchviehbetrieb seiner Familie in der Nähe von Ostende in Belgien arbeitet, sagte der FT, dass die EU-Richtlinie zur Bekämpfung der Stickstoffverschmutzung, die den Landwirten vorschreibt, die Ausbringung von Mist per GPS zu erfassen und nicht in einem Abstand von 5 Metern zum Wasser zu wirtschaften, seinen Betrieb jährlich 10.000 bis 15.000 Euro kostet. "Wir verlieren etwa 4 Hektar durch die Richtlinie."

Weniger Produktion, teurere Lebensmittel

Im Jahr 2021 exportierte die EU Agrarprodukte im Wert von 197 Milliarden Euro und importierte Agrarprodukte im Wert 150 Milliarden Euro, was einen Überschuss von 47 Milliarden Euro ergab. Die Politik der EU läuft darauf hinaus, dass weniger in der Landwirtschaft weniger produziert wird. Die Verbraucher sollen offenbar mehr für Lebensmittel bezahlen oder weniger essen.

Trotz allen Widerstands hat die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, das Tempo der Politikgestaltung nicht verlangsamt. Doch nach dem Beginn des Ukraine-Krieges hat Brüssel den Landwirten immerhin erlaubt, Futtermittel auf den 10 Prozent der Flächen anzubauen, die eigentlich zur Erholung unbewirtschaftet bleiben müssen, um sich für Subventionen zu qualifizieren. Außerdem hat sie die Vorschriften zur Fruchtfolge ausgesetzt.

Im Hinblick auf die "Farm to Fork"-Strategie sind es die Mitgliedsstaaten, die auf die Bremse getreten sind. Die Vorschläge der EU-Kommission können von den 27 Mitgliedstaaten abgeändert werden, und sie haben die ehrgeizigen Ziele der Kommission Punkt für Punkt ausgebremst. So bemängelten sie, dass nur die Menge der ausgebrachten Chemikalien berücksichtigt werden soll, nicht aber deren Toxizität.

Zudem haben die Mitgliedsstaaten die pauschale Einschränkung von Pestiziden zur erneuten Folgenabschätzung an die Kommission zurückgeschickt. Sie kritisierten, dass die Kommission, allen Ländern dieselbe verhältnismäßige Kürzung auferlegen will, anstatt die Ausgangssituation jedes einzelnen Landes zu berücksichtigen. So setzten zum Beispiel die Niederlande derzeit viel mehr Pestizide ein als Polen.

EU machen peinlichen Fehler in neuer Richtlinie

Bei der Überarbeitung der Richtlinie über Industrieemissionen, die größere Tierhaltungsbetriebe dazu verpflichten soll, die für die Schwerindustrie bereits geltenden Vorschriften für saubere Luft und sauberes Wasser einzuhalten, räumte die Kommission im Februar ein, dass sie sich bei der Vorlage des Vorschlags im vergangenen Jahr in den Zahlen geirrt hatte.

Sie legte den Schwellenwert für die Einhaltung der Vorschriften auf Schweine-, Geflügel- und Rinderhaltungsbetriebe mit mindestens 150 Großvieheinheiten fest und behauptete, dass nur 13 Prozent der gewerblichen Betriebe in Europa davon betroffen wären. Doch die Berechnungen basierten auf Daten aus dem Jahr 2016. Als die Studie mit Daten aus dem Jahr 2020 überarbeitet wurde, stellte sich heraus, dass sechs von zehn Geflügel- und Schweinebetrieben betroffen wären.

Ein Gesetz zur Schaffung rechtlich verbindlicher Ziele zur Umkehrung der Umweltverschlechterung, das ebenfalls im Rahmen von Farm to Fork im vergangenen Jahr vorgeschlagen wurde, stößt auf Widerstand, da es zum Verlust landwirtschaftlicher Flächen führen würde. So würden etwa trockengelegte Moore wiederhergestellt. Ziel ist es, bis 2030 auf mindestens 20 Prozent der Land- und Meeresflächen Maßnahmen zur Wiederherstellung der Natur zu unternehmen.

Gesonderte Rechtsvorschriften zur Verringerung der Entwaldung wurden im vergangenen Jahr auch in Ländern wie Schweden und Finnland abgelehnt, die Zugeständnisse erhielten, damit sie weiterhin Holz-Plantagen bewirtschaften können. Im Juni wird der letzte Teil des "Farm to Fork"-Pakets verabschiedet, ein Gesetz, das die Länder verpflichten wird, den Zustand ihrer Böden zu überwachen und zu verbessern.

Rund 16 EU-Agrarminister schrieben im Januar einen Brief an Brüssel, in dem sie kritisierten, dass die Maßnahmen zur Aufgabe von land- und forstwirtschaftlichen Flächen führen könnten. "Dies wiederum wird sich höchstwahrscheinlich negativ auf die Ernährungssicherheit, die Versorgung mit nachwachsenden Rohstoffen (für den Holzbau oder die Bioökonomie) und erneuerbare Energiequellen, wie lokal verfügbare Biomasse, auswirken", zitiert die FT aus dem Schreiben.

Kann die EU den Protest mit Geld beschwichtigen?

EU-Agrarkommissar Janusz Wojciechowski hat bereits eine Aufstockung der Mittel für die Gemeinsame Agrarpolitik gefordert, da die Inflation den realen Wert der Subventionen untergraben hat. Die Gemeinsame Agrarpolitik "macht nur 0,4 Prozent des EU-Bruttoinlandsprodukts aus, um Ernährungssicherheit, Umweltsicherheit und Klimasicherheit zu gewährleisten", argumentiert er.

FoodDrinkEurope, der europäische Dachverband der Lebensmittelindustrie, hat von der Leyen im März schriftlich aufgefordert, einen Teil der milliardenschweren Subventionen für den grünen Wandel in die Landwirtschaft zu stecken. Mehrere Mitgliedsstaaten haben die gleiche Forderung erhoben und in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass die gestiegenen Zinssätze die erforderlichen Investitionen deutlich teurer machen.


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