Wenn am Sonntag die 463.000 Wahlberechtigten in Bremen und Bremerhaven zur Wahl aufgerufen sind, steht erst einmal ein Mann im Zentrum des Geschehens: Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte. Der SPD-Politiker, der seit August 2019 Bürgermeister ist, hat allerbeste Chancen, seinen Job zu behalten. Jüngsten Umfragen zufolge kann die Bremer SPD mit deutlichen Zuwächsen rechnen.
Nach einer aktuellen Umfrage von Infratest dimap würde die SPD ihr Ergebnis im Vergleich zur vorangegangenen Bürgerschaftswahl um 5,1 Prozent verbessern und käme demnach auf 30 Prozent der Stimmen. Damit hätte die Bremer SPD wieder den Spitzenplatz eingenommen, den sie bei der Wahl 2019 an die CDU verloren hatte. Diese bliebe den Umfragen zufolge stabil und käme mit ihrem Spitzenkandidaten Frank Imhoff auf einen Stimmenanteil von 27 Prozent (2019: 26,7 Prozent).
SPD-Bürgermeister Bovenschulte mit guten Chancen
Käme es so, wäre dies ein ganz persönlicher Erfolg des Bürgermeisters Bovenschulte, denn alle Umfrage belegen, dass ein solches Ergebnis in erster Linie auf seine persönliche Popularität zurückzuführen wäre. Könnten die Bremer ihr Stadtoberhaupt direkt wählen, so würde Bovenschulte mit 59 Prozent seinen schärfsten Konkurrenten, den CDU-Kandidaten Frank Imhoff (23 Prozent), weit hinter sich lassen.
Damit ist auch Bovenschulte als Person deutlich populärer als die von ihm angeführte Rot-Grün-Rote Koalition. Diese findet nur von kaum der Hälfte der Wahlberechtigten (45 Prozent) Zustimmung; allerdings können sich noch weniger mit einem Wechsel hin zu CDU anfreunden: Nur 23 Prozent der Wahlberechtigten würden einen Wechsel an der Senatsspitze zugunsten des CDU-Kandidaten Imhoff vorziehen.
Der Verlierer des Wahlabends am kommenden Sonntag aber könnten die Grünen sein – in Bremen und im Bund. Alles deutet darauf hin, dass die Partei bei der Wahl in Bremen deutlich verliert, jüngsten Umfragen zufolge käme sie lediglich auf 13 Prozent der Stimmen, vier Prozentpunkte weniger als bei der Wahl im Jahre 2019. Dies allerdings habe, so die Meinungsforscher von Infas gegenüber den Deutschen Wirtschaftsnachrichten (DWN), sowohl landes- als auch bundespolitische Ursachen.
Grüne Verkehrspolitik sorgt für Unzufriedenheit
Mit höchst eigenwilligen Verkehrsversuchen in der Bremer Innenstadt hatte die Spitzenkandidatin der Grünen, Verkehrssenatorin Maike Schaefer, für erhebliche Verstimmung bei Anwohnern und besonders bei Gewerbetreibenden gesorgt. Ergebnis: Nur noch 19 Prozent der Bremer sind, so eine Untersuchung von Infas, mit der Arbeit der Spitzenkandidatin zufrieden. Für die Grünen in ihrer Hochburg Bremen ein eher schwacher Wert.
Doch zu den landespolitischen Ungeschicklichkeiten kommt bei den Grünen jetzt auch im Bund Ungemach dazu. Noch bei der letzten Infas-Umfrage, die am 20. April erhoben worden ist, kamen die Grünen in Bremen auf 17 Prozentpunkte, womit sie ihr Ergebnis von der letzten Bürgerschaftswahl zumindest gehalten hätten.
Tatsächlich hat sich eine ganz andere Entwicklung vollzogen – und die hat nichts mit den Entwicklungen im nördlichen Stadtstaat zu tun. Noch im vergangenen Jahr feierten die Grünen beeindruckende Wahlerfolge in Schleswig-Holstein, Niedersachen und Nordrhein-Westfalen, die sie in allen drei Bundesländern auch in die Regierungsverantwortung brachte. Wirtschaftsminister Robert Habeck und Außenministerin Annalena Baerbock sonnten sich in höchsten Zustimmungswerten. Das US-Magazin „Politico“ platzierte Habeck gar an die Spitze seines Beliebtheitsrankings – er habe die Fähigkeit, auch unpopuläre Entscheidungen zu treffen und könne durch sein Charisma eine direkte Verbindung zu den Wählern herstellen.
Doch seit dem Sommer vergangenen Jahres haben die Grünen rund ein Drittel an Zustimmung verloren. Lagen Sie noch im August beim „Deutschlandtrend“ der ARD bei 23 Prozent sind sie inzwischen bei 16 Prozent angekommen, gleichauf mit der „Alternative für Deutschland“ (AfD). Mehrere Prozesse sind für den Sinkflug der Grünen verantwortlich, denn der Schwund an Zustimmung setzte schon lange vor dem Bekanntwerden der personellen Filz-Vorwürfe im Bundeswirtschaftsministerium von Robert Habeck ein.
Graichen-Affäre sorgt für Sinkflug der Grünen
Denn es waren ursprünglich grüner Dirigismus gepaart mit handwerklichen Unzulänglichkeiten, die den grünen Höhenflug beendete. Die Gasumlage aus dem Hause Habeck entpuppte sich als folgenschwerer Fehler. Auch die Pläne, neue Öl- und Gasheizungen ab dem Jahre 2024 zu verbieten, wurde – so Umfragen – von 80 Prozent der Bürger abgelehnt. Zwischendurch patzte auch Außenministerin Annalena Baerbock, als sie öffentlich darüber sprach, dass sich Deutschland im Krieg befinde, was nicht nur die Koalitionspartner, sondern auch Deutschlands Verbündete ziemlich irritierte.
Doch deutlich schwerer wiegen demoskopisch die Filz-Vorwürfe im Hause Habeck. Die Affäre um Geschwister, Trauzeugen und Schwager im politischen (und wirtschaftlichen) Beziehungsdreieck zwischen Ministerium, Think Tank (bei dem das Ministerium Gutachten in Auftrag gab) und einer Bundesagentur, die wiederum das Ministerium berät, ist inzwischen Habeck, der sonst immer als ein Meister der politischen Kommunikation galt, komplett aus dem Ruder gelaufen, wie selbst Parteifreunde einräumen.
Wo immer Habeck auftaucht, was immer er verkünden will – das Thema „Filz im Ministerium“ lässt ihn nicht los. Folgerichtig stürzten die persönlichen Zustimmungswerte Habecks ab: Im letzten Beliebtheitsranking des ARD-Deutschlandtrends wird der einstige Superstar nach hinten durchgereicht. Gerade auf nur noch 30 Prozent Zustimmung kommt Habeck und hat dabei binnen nur eines Monats sechs Prozentpunkte an Zustimmung verloren. In der Rangliste kommt Habeck nur noch auf Platz fünf – einen Platz hinter seinem Widersacher Christian Lindner, was ihn besonders schmerzen dürfte.
Bei den Grünen macht sich indes Ratlosigkeit breit: Ungewiss, ob ihr einstiger Superstar Habeck einen Weg aus seiner Krise findet. Ungeklärt aber auch, wie ein politisch angeschlagener Wirtschaftsminister die sogenannte Energiewende vorantreiben kann. Und gänzlich in den Sternen steht, was das für die weitere Zusammenarbeit in der Koalition bedeutet.
Zumal auch die Koalition in Bremen selbst in Frage steht. Bisher hat es Amtsinhaber Bovenschulte absichtsvoll vermieden, sich auf eine Koalitionsoption festzulegen. Den zunehmend nervöser werdenden Grünen ist nicht entgangen, dass sich der SPD-Bürgermeister ausdrücklich die Möglichkeit einer Koalition mit der CDU offenhält. In einem solchen Falle wäre dann Bremen nach Berlin die zweite Hochburg der Grünen, in der sie ihre Regierungsbeteiligung verlieren. Die Grünen im Land und im Bund haben viele Gründe, den Wahlsonntag mit Sorge entgegenzusehen.