Politik

DWN-Interview mit MIT-Chefin Connemann: EU-Bürokratie bedroht deutsche Wirtschaft

Die neue Lieferkettenrichtlinie der EU stößt auf entschiedene Ablehnung der Deutschen Wirtschaft. Im Interview mit den Deutschen Wirtschaftsnachrichten sagt die Vorsitzende der Mittelstandsunion der CDU (MIT), Gitta Connemann, wo die Gefahren für den Mittelstand liegen und wie sie gegen die Richtlinie kämpfen will.
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14.06.2023 11:41
Aktualisiert: 14.06.2023 11:41
Lesezeit: 3 min

Die vom EU-Parlament verabschiedete EU-Lieferkettenrichtlinie verschärft das deutsche Lieferkettengesetz, das schon zuvor von weiten Teilen der Wirtschaft abgelehnt wird. Die EU-Lieferkettenrichtlinie verpflichtet alle Unternehmen mit Sitz in der EU, die mehr als 250 Beschäftigte haben und einen Jahresumsatz von mehr als 40 Millionen erwirtschaften, negative Auswirkungen ihrer Tätigkeit auf Menschenrechte und Umwelt zu ermitteln. Die Richtlinie sieht zudem vor, dass Firmen in der EU verpflichtet werden, die Einhaltung von Umwelt- und Sozialstandards auch bei ihren Partnerunternehmen in der Kette der Wertschöpfung zu überwachen. Die MIT ist der organisatorische Zusammenschluss von mittelständischen und wirtschaftspolitisch interessierten Personen in der CDU.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Tragen CDU und die Mittelstands- und Wirtschaftsunion das EU-Lieferkettengesetz mit?

Gitta Connemann: Nein. Die geopolitische Lage ist so unsicher wie lange nicht. Der Bedarf an Rohstoffen kann schon heute in Deutschland und Europa nicht mehr selbst gedeckt werden. Und dabei wird der Hunger nach Rohstoffen sogar noch größer. Das Gebot der Stunde lautet also, einseitige Abhängigkeiten zu reduzieren und Lieferbeziehungen zu diversifizieren. Gerade in der Krise brauchen Betriebe dafür mehr Flexibilität und weniger bürokratische Fesseln. Die Europäische Lieferkettenrichtlinie würde aber genau das Gegenteil bewirken. Denn sie würde kleine und mittlere Betriebe vollkommen überfordern.

Lieferketten bestehen häufig aus vielen, manchmal Hunderten von Zulieferern – und das weltweit. Ein Mittelständler kann diese nicht alle kennen, geschweige denn nachweisen. Die bittere Folge ist vorprogrammiert: Die europäische Wirtschaft, gerade auch der deutsche Mittelstand wird aus dem Markt gedrängt oder muss sich zurückziehen. Das Feld wird anderen Ländern und Unternehmen außerhalb Europas überlassen. Die Wettbewerbsfähigkeit nicht nur von Betrieben, sondern auch von Volkswirtschaften in Europa ist in Gefahr.

Bundesregierung in der Pflicht

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Welche Schritte werden die CDU/MIT zur Verhinderung einleiten?

Gitta Connemann: Wir werden weiterkämpfen. Und Mitstreiter suchen. Jetzt beginnt der Trilog. Das Vorhaben braucht noch die Zustimmung des EU-Ministerrats. Etliche Mitgliedsstaaten wie Italien oder aus Osteuropa stehen dem Gesetzvorhaben aber kritisch gegenüber. Diese Skepsis müssen wir nutzen. Und im Übrigen die Bundesregierung in die Pflicht nehmen, namentlich das Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Denn dieses wird für Deutschland verhandeln. Die Ampel, aber auch Herr Bundesminister Heil müssen realisieren: Wer Wohlstand erhalten will, darf die Betriebe nicht knebeln.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Sollte die MIT dieses EU-Gesetz ablehnen, wie kann sie es sich dann erklären, dass dieses Gesetz mit Hilfe der EVP zustande kam?

Gitta Connemann: Wie kommen Sie darauf? Die EVP-Fraktion hatte einen Kompromissvorschlag erarbeitet. Damit wurde unsere Forderung nach einem Belastungsmoratorium aufgegriffen. Auch Premiers wie Emmanuel Macron und Alexander De Croo hatten sich gemeinsam mit dem Mittelstand für eine ‚europäische Regulierungspause‘ ausgesprochen, um den Verwaltungsaufwand für EU-Unternehmen zu verringern. Nachdem dieser Vorstoß an der linken Mehrheit im Europäischen Parlament scheiterte, lautete die Stimmvorgabe der EVP auf Nein. Alle Mitglieder der Deutschen Gruppe in der EVP haben demgegenüber die Neinkarte gezogen. Nur eine Minderheit hat zugestimmt. Dazu gehören Abgeordnete aus den Benelux-Staaten. Die EVP-Fraktion ist nämlich weitaus heterogener als die CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Aber 65 % der Mitglieder haben den Entwurf abgelehnt. Von Unterstützung seitens der EVP kann also keine Rede sein.

Ein Bürokratie-Tsunami

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Worin sieht die MIT die größten Gefahren bei diesem Gesetz für den deutschen Mittelstand?

Gitta Connemann: Die geplante Richtlinie führt zu einem Bürokratietsunami. Lieferketten werden kaputt reguliert. Denn von den Betrieben wird eine Kontrolle erwartet, die sie nicht leisten können. Dies gilt auch für den Mittelstand. Zwar soll die Richtlinie direkt nur für Unternehmen ab 250 Mitarbeitern gelten. Aber diese Unternehmen werden die Auflagen direkt an ihre Lieferanten und Partner im Mittelstand weitergeben. Dies wird durch die ersten Erfahrungen mit dem deutschen Lieferkettengesetz untermauert. Und die europäischen Regelungen gehen noch weit darüber hinaus. Diese gehen vollkommen an der betrieblichen Realität vorbei, sind unverhältnismäßig und rauben den Unternehmen weitere Planungssicherheit. Kurzum: Die Richtlinie bringt nur Regulierung – aber keinen Mehrwert für Menschenrechte.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wie sind die nächsten Schritte der Bundestagsfraktion?

Gitta Connemann: Die Mittelstands- und Wirtschaftsunion wird die Bundesregierung über den Parlamentskreis der CDU/CSU-Bundestagsfraktion auffordern, sich in den anstehenden Trilog-Verhandlungen für unsere KMU einzusetzen. Diese müssen von dem Gesetz generell ausgenommen werden. Und für den Rest der Betriebe muss die zivilrechtliche Haftung beschränkt werden. Denn das Gesetz sieht derzeit eine untragbare Verlagerung des Haftungsrisikos vor.“

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Sind dann diese Schritte mit der EVP abgestimmt?

Gitta Connemann: Wir stehen mit den zuständigen Kolleginnen und Kollegen der Deutschen Gruppe im ständigen Kontakt.

 

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