Immobilien

Das Zinsdilemma: Gefährdet die EZB-Zinspolitik den deutschen Immobilienmarkt?

Lesezeit: 4 min
17.06.2023 09:17  Aktualisiert: 17.06.2023 09:17
Die EZB-Zinspolitik beeinflusst den Immobiliensektor: Der Anstieg der Zinsen erhöht die Kosten für Hypothekendarlehen und erschwert Käufern die Finanzierung von Immobilien. Die Nachfrage sinkt und in einigen Regionen fallen die Preise so stark, wie schon seit 2007 nicht mehr. Was können Verbraucher tun?

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Im Juli 2022 hat die Europäische Zentralbank (EZB) erstmalig nach elf Jahren damit begonnen, die Zinsen anzuheben, nachdem sie über viele Jahre konstant niedrig waren. Seit der letzten Erhöhung am 4. Mai 2023 liegt der aktuelle Leitzins der EZB bei insgesamt 3,75-Prozent, als Reaktion auf die anhaltend hohe Inflation in der Eurozone. Wenn die Preise zu schnell steigen, also bei zu hoher Inflation, „hilft uns eine Anhebung der Zinssätze, die Inflation wieder zu senken“, begründet die EZB ihre Entscheidung. Mittelfristig will sie die Inflation wieder auf zwei Prozent zurückführen.

Für Verbraucher bedeutet diese Zinserhöhung steigende Zinsen für Immobilienkredite. Für eine Standardfinanzierung eines Eigenheims müssen derzeit etwa 4,2-Prozent effektiv gerechnet werden, basierend auf einer Kreditsumme von 80 Prozent des Immobilienwerts und einer Zinsbindung von zehn Jahren.

Mit steigenden Zinszahlungen erhöhen sich für Kreditnehmer die monatlichen Kreditraten. Dies kann potenzielle Käufer dazu veranlassen, zu zögern oder ihre Kaufentscheidungen zu überdenken. Als Folge sinkt die Nachfrage nach Immobilien. Steigende Zinsen haben auch Auswirkungen auf bestehende Immobilienkredite und deren Refinanzierung, da sich die Bedingungen für Umschuldungen verschlechtern.

Niedrigere Hypothekenzinsen hingegen machen Immobilienkredite attraktiver und leichter zugänglich, was wiederum zu einer erhöhten Nachfrage nach Wohnraum führt. Das gesteigerte Interesse der Käufer führt schließlich zu einem Preisanstieg.

Niedrigzinsniveau und steigende Nachfrage

Von 2013 bis Mitte 2021 herrschte in Deutschland ein Niedrigzinsniveau . Zinssätze zwischen 1- und 2-Prozent waren keine Seltenheit und immer mehr Investoren sowie Käufer stiegen in den Markt ein. Dies führte in einigen Regionen zu massiven Preisanstiegen bei Immobilien.

Wie das Statistische Bundesamt ermittelte, erhöhten sich die Kaufpreise für individuell geplante Ein- und Mehrfamilienhäuser in diesem Zeitraum um 41-Prozent, während die Inflationsrate nur um 17-Prozent zugenommen hat. Der Preisanstieg für selbst genutztes Wohneigentum betrug 47-Prozent.

Einen noch deutlicheren Anstieg zeigt der Häuserpreisindex, der die durchschnittliche Preisentwicklung aller Wohnimmobilien misst, die als Gesamtpaket aus Grundstück und Gebäude verkauft werden. Die Preise für Ein- und Zweifamilienhäuser sowie Eigentumswohnungen einschließlich der damit verbundenen Kosten (Kaufpreis und Erwerbsnebenkosten, Instandhaltung, Versicherungen und Hausverwaltung) stiegen im Zeitraum von 2010 bis 2021 bundesweit um 84-Prozent und hatten sich damit fast verdoppelt.

Eine Gefahr bei solch überteuerten Preisen liegt in der Bildung einer Immobilienblase, die zu einem plötzlichen Markteinbruch führen könnten. Die staatliche Förderbank KfW warnte bereits 2021 vor einer solchen Situation. Laut einer Marktanalyse des Instituts aus 2021 sei es spekulativ, in bereits teuren Städten auf weitere Preis- und Mietsteigerungen zu setzen. Stattdessen sollten sich Verbraucher auf mögliche Preisrückgänge einstellen. Dies gelte besonders für Berlin, Frankfurt am Main, München und Stuttgart, wo besonders starke Preisanstiege zu beobachten waren.

Nach der Einschätzung der KfW-Ökonomen ist die Blase nicht nur auf Metropolen beschränkt. Auch in strukturschwachen Regionen könnten die Immobilienpreise erheblich sinken, abhängig von der regionalen Wohnungsnachfrage. „Eine Wohnimmobilie vor allem in der Erwartung zu kaufen, dass man sie zu einem späteren Zeitpunkt wieder zu einem höheren Preis verkaufen kann – das wird nicht mehr notwendigerweise überall funktionieren“, äußerte Köhler-Geib schon damals gegenüber der Zeitung „Welt“.

Trendwende am deutsche Immobilienmarkt

Die aktuellen Daten bestätigen diese Einschätzung: Wie das Statistische Bundesamt in seinem Jahresbericht von 2022 mitteilte, stagniert der deutsche Immobilienmarkt nach mehr als einem Jahrzehnt des Aufschwungs.

Ging es bis zur Hälfte des Jahres 2022 bei den Preisen für Wohnimmobilien immer weiter nach oben, haben sie sich in der zweiten Jahreshälfte so stark verbilligt wie seit 2007 nicht mehr. Die Preise für Wohnungen sowie Ein- und Zweifamilienhäuser fielen im vierten Quartal 2022 durchschnittlich um 3,6 Prozent zum Vorjahresquartal. Gegenüber dem Vorquartal war der Rückgang mit minus 5,0 Prozent noch deutlicher. Dabei sanken die Preise für Ein- und Zweifamilienhäuser stärker als die für Eigentumswohnungen.

Der Immobilienpreisindex, der sowohl das selbstgenutzte Wohneigentum als auch Mehrfamilienhäuser und Gewerbeimmobilien berücksichtigt, verzeichnete einen Rückgang von 3,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Dies stellt den stärksten Rückgang seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2003 dar. Preisrückgänge waren sowohl in den Städten als auch in ländlichen Regionen zu verzeichnen.

Besonders betroffen ist Frankfurt, wo die Preise innerhalb eines Jahres um 6,4 Prozent sanken. Hamburg, Düsseldorf, Köln, Stuttgart und München verzeichneten Rückgänge von 2,3 bis 3,8 Prozent im Jahresvergleich. Spitzenreiter ist Hannover. Dort fallen die Preise von Häusern teilweise sogar bis zu 20 Prozent, wie die regionale Tageszeitung „HAZ“ berichtet. Einzig in Berlin stiegen die Preise für Wohnungen und Häuser geringfügig um 1,0 Prozent im Vergleich zum Vorjahr an.

Finanzierungskosten, Inflation und neue Gesetze

Eine gesunkene Nachfrage aufgrund gestiegener Finanzierungskosten und hoher Inflation spielt eine wesentliche Rolle beim Rückgang der Immobilienpreise. Verbraucher können die gestiegenen Kreditkosten kaum noch bewältigen und die Preise sind nach wie vor hoch, selbst wenn sie sich aktuell im Abwärtstrend befinden.

Höhere Kreditkosten führen zudem zu geringerer Rentabilität von Investitionen und begrenzen zukünftige Projektmöglichkeiten. Dadurch verlangsamt sich das Investitionsvolumen im Immobiliensektor, denn Investoren, die auf Immobilien als Anlageklasse setzen, agieren vorsichtiger. Auch in der Bauindustrie sind die Auswirkungen spürbar und Bauprojekte werden auf Eis gelegt.

Der Chef der Creditreform-Wirtschaftsforschung, Patrik-Ludwig Hantzsch, warnt vor einer Zunahme von Zwangsversteigerungen. Zwar sei noch keine "akute Zunahme" bei Zwangsversteigerungen erkennbar, dies dürfte sich aber mittelfristig ändern, auch mit Blick auf die politisch gewollten energetischen Sanierungen", so die Einschätzung von Hantzsch. Denn auch gesetzlichen Vorgaben, insbesondere im Bereich der Energieeffizienz und Heizungsanforderungen, beeinflussen die Immobilienpreise. Sind Immobilien energetisch nicht auf dem neusten Stand, müssen potenzielle Käufer nachrüsten. Und das schlägt sich im Kaufpreis nieder.

Markt verändert sich

Könnte eine Zinserhöhung trotz der aktuellen Herausforderungen auch Chancen bieten? Möglicherweise eröffnen sich in den kommenden Jahren für potenzielle Käufer langfristig bessere Möglichkeiten, ein eigenes Zuhause zu finden. Die überhöhten Preise der letzten Jahre waren für viele eine Hürde, die einen Hauskauf trotz niedriger Zinsen unerschwinglich machte.

Durch die EZB-Zinspolitik könnte sich der Preisanstieg auf dem Immobilienmarkt verlangsamen oder sogar zum Erliegen kommen. Es sei denn, die Nachfrage an Wohnraum wird langfristig das vorhandene Wohnraumangebot übersteigen, was die Preise hochhalten könnte. Zurzeit treibt die Knappheit an Wohnraum insbesondere die Neuvertragsmieten in die Höhe, was generell als Indikator gilt, dass sich die Marktpreise wieder stabilisieren könnten. Künftig wäre also auch eine Seitwärtsbewegung der Immobilienpreise denkbar.

Potenzielle Käufer und Verkäufer sollten das Markgeschehen genau beobachten und entsprechende Strategien für den Kauf oder Verkauf ihrer Immobilien in Betracht ziehen. Durch eine sorgfältige Prüfung des regionalen Immobilienmarkts lassen sich potenzielle Chancen und Risiken in der Regel rechtzeitig erkennen.

Der Immobilienmarkt unterliegt starken regionalen Unterschieden, wodurch die Auswirkungen von Zinserhöhungen variieren können. In einigen Regionen kann ein Anstieg der Zinsen den Markt abkühlen, während die Auswirkungen in anderen Regionen möglicherweise geringer ausfallen. Verbraucher sollten daher stets auch die langfristigen Auswirkungen von Zinsänderungen auf die Rentabilität und den Wert ihrer Immobilieninvestitionen berücksichtigen.


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