Ungeachtet schwerer Spannungen zwischen beiden Großmächten hat Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping am Montag US-Außenminister Antony Blinken empfangen, wie das chinesische Staatsfernsehen berichtete.
Das überraschende Treffen am Montag in Peking ist protokollarisch ungewöhnlich. Es kann als besondere Geste gegenüber den USA verstanden werden, schreibt die Nachrichtenagentur dpa. Der erste Besuch eines US-Außenministers seit 2018 erfolgt vor dem Hintergrund schwerer Differenzen zwischen den beiden größten Volkswirtschaften der Welt. Peking hatte zuletzt Kommunikationskanäle abgebrochen, weil die US-Regierung ihren Feldzug gegen China intensiviert hatte.
Zuvor hatte Blinken bereits ausführliche Gespräche mit Chinas oberstem Außenpolitiker Wang Yi geführt. Er steht in der Machthierarchie noch über Außenminister Qin Gang, mit dem der US-Außenminister am Sonntag siebeneinhalb Stunden konferiert hatte. Nach langer Funkstille nahmen beide Seiten mit den Treffen den direkten Dialog auf hoher Ebene wieder auf. Die Gespräche wurden in offiziellen Stellungnahmen beider Seiten weitgehend übereinstimmend als freimütig, tiefgehend und konstruktiv beschrieben. Blinken ist der ranghöchste Besucher aus den USA seit dem Amtsantritt von US-Präsident Joe Biden im Januar 2021.
Xi sieht durch die Gespräche „Fortschritte“ im Verhältnis zu den Vereinigten Staaten. Beide Seiten hätten „Übereinstimmung in bestimmten Fragen erzielt“, sagte Xi Jinping am Montag in Peking bei dem überraschenden Treffen mit Blinken. „Das ist sehr gut.“
Beide Seiten hätten ihre Positionen deutlich gemacht und vereinbart, Vereinbarungen umzusetzen, die er bei einem Treffen mit US-Präsident Joe Biden im November auf der indonesischen Insel Bali erreicht habe. Dort fand damals der Gipfel der G20-Staaten großer Industrie- und Schwellenmächte statt.
Interaktionen zwischen Staaten sollten immer auf der Grundlage gegenseitigen Respekts und Ernsthaftigkeit stattfinden, sagte Xi Jinping. „Ich hoffe, dass Außenminister Blinken durch seinen Besuch einen positiven Beitrag zur Stabilisierung der Beziehungen zwischen China und den USA leisten kann.“
China respektiere die Interessen der USA und versuche nicht, die Vereinigten Staaten herauszufordern oder zu verletzen, sagte Präsident Xi nach dem Treffen. Er glaube daran, dass die beiden großen Länder viele ihrer Probleme überwinden könnten. Eine stabile Verbindung zwischen den USA und China sei auch für die übrige Welt wichtig. Blinken sagte, beide Länder seien sich einig, dass ihre Beziehungen stabilisiert werden müssten. Das chinesische Außenministerium erklärte, der Besuch markiere einen Neuanfang. Außenminister Qin Gang werde auf Einladung Blinkens zu einem Gegenbesuch in die USA reisen.
Die Zusammenkunft war erst unmittelbar zuvor offiziell in den Besuchskalender aufgenommen worden und Blinkens letzter Termin in Peking. Blinken war dabei in der Großen Halle des Volkes, die die chinesische Führung häufig für die Begrüßung von Staatsoberhäuptern nutzt, mit ausgestreckter Hand auf Xi zugegangen - ein positives Signal in der Choreographie der Diplomatie. Beide Delegationen standen sich dann an einem langen Konferenztisch gegenüber.
China fordert Ende des Feldzugs
Bei seinem Treffen mit dem US-Außenminister nahm der chinesische Spitzenpolitiker Wang Yi kein Blatt vor den Mund. Er warf den USA eine „falsche Wahrnehmung“ seines Landes vor, was wiederum zu einer „falschen Politik“ gegenüber der Volksrepublik führe. Blinkens Besuch komme zu einem kritischen Zeitpunkt: „Es ist notwendig, sich zwischen Dialog oder Konfrontation, Kooperation oder Konflikt zu entscheiden.“ Der US-Außenminister hatte schon im Februar kommen wollen. Wegen eines mutmaßlichen chinesischen Spionageballons über den USA sagte er kurzfristig ab.
Wang Yi forderte von den USA damit aufzuhören, die „Theorie einer Bedrohung durch China“ aufzubauschen. Auch müssten sie „illegale einseitige Sanktionen“ aufheben und die „Unterdrückung der technologischen Entwicklung“ seines Landes beenden. Damit spielte Wang auf die von der US-Regierung forcierten Import- und Exportverbote an, die chinesische Firmen treffen und denen sich sogar Unternehmen aus anderen Ländern anschließen sollen. Ferner dürften sich die USA nicht länger in Chinas innere Angelegenheiten einmischen, so Wang.
Besonders in der Taiwan-Frage gebe es für China „keinen Raum für Kompromisse“, betonte der einstige Außenminister. Die USA müssten sich an den von ihnen verkündeten Ein-China-Grundsatz halten, ihre eingegangenen Verpflichtungen gegenüber Peking einhalten, Chinas Souveränität und territoriale Integrität respektieren und eine Unabhängigkeit Taiwans eindeutig ablehnen. Wang bezieht sich damit auf die militärische und politische Unterstützung der USA für die Insel. Die USA haben sich schon 1979 der Verteidigungsfähigkeit Taiwans verpflichtet, was bisher meist Waffenlieferungen bedeutete. Seit Jahren sind darüber hinaus Ausbilder der US-Armee auf Taiwan aktiv.
China betrachtet die demokratische Inselrepublik als Teil der Volksrepublik und droht mit einer Eroberung, sollten die nach Unabhängigkeit strebenden Kräfte auf der Insel gezielt vom Ausland unterstützt werden beziehungsweise die Insel zu einem Bollwerk gegen China umgebaut werden. Neben diesen gibt es Kräfte in Taiwan, die gute Beziehungen zur Volksrepublik anstreben, etwa die Kuomintang. Unter Ein-China-Politik - der sich auch die USA verpflichtet haben - wird gemeinhin verstanden, dass Peking als einzig legitime Regierung anerkannt wird. Taiwan hat hingegen seit mehr als sieben Jahrzehnten eine eigenständige Regierung und den Anspruch aufgegeben, ganz China repräsentieren zu wollen.
Seit Ausrufung des Handelskrieges gegen China 2018 verfolgen die US-Regierungen einen zunehmend konfrontativen Kurs gegenüber China. Dieser beinhaltet Elemente des Wirtschaftskrieges, des Technologiekrieges, des gezielten Aufbaus der eigenen militärischen Infrastruktur nahe Chinas sowie die Aufrüstung von Nachbarstaaten gegen China sowie diplomatische Initiativen. Weitere Themen der Gespräche waren Chinas Bündnis mit Russland sowie Chinas Territorialansprüche im Südchinesischen Meer.
„Zarte Annäherung“
Blinken erklärte nach dem Treffen mit Xi, die USA seien sich den Herausforderungen bewusst, vor denen China stehe. Beide Seiten seien sich einig, dass die Beziehungen stabilisiert werden müssten. China spiele eine konstruktive Rolle bei den Friedensbemühungen in der Ukraine.
Er habe bei dem Treffen aber auch die Sorge über das „provokative“ Vorgehen Chinas in der Straße von Taiwan geäußert. Auch würden die USA weiter gezielte Maßnahmen zum Schutz ihrer nationalen Interessen ergreifen. Bereits am Sonntag hatte Blinken ein positives Zwischenfazit seiner Reise gezogen und sein Ministerium von einem „offenen, substanziellen und konstruktiven“ Austausch gesprochen.
Wu Xinbo, Direktor des Zentrums für Amerikastudien an der Fudan-Universität in Schanghai, sagte, Chinas Botschaften bei dem Treffen seien positiv gewesen. „China hat gezeigt, dass es immer noch hofft, mit den USA zusammenzuarbeiten, um die Beziehungen zu stabilisieren und zu verbessern.“ Peking sei zwar nicht besonders optimistisch. „Aber es hat die Hoffnung auch nicht aufgegeben.“
Im Hellmeyer Report wird Blinkens Reise nach Peking folgendermaßen kommentiert:
Die Beziehungen zwischen den USA und China sind seit Jahren massiv gestört. Die USA hatten China außenpolitisch als Gegner definiert und im Umgang mit China losgelöst vom internationalen Gesetzes- und Regelwerk (u.a. WTO, UN-Charta Artikel 2) agiert.
Die durch die westliche Politik in Gang gesetzte dynamische Veränderung der geopolitischen Machtachse zu Lasten der USA und des westlichen Blocks wurde markant unterschätzt. Die Emanzipation des „Globalen Südens“ durch Aufbau politischer Strukturen (u.a. BRICS+), flankiert von wirtschaftlicher Outperformance im Verhältnis 3 zu 1 (BIP, IWF WEO 04/2023) und bei Strukturdaten, unterminiert den US- und damit den westlichen Machtstatus.
Es ist zu früh, in dem aktuellen US-Diplomatie-Ansatz eine belastbare Neuausrichtung erkennen zu wollen. Zudem ist zu hinterfragen, ob eine Neuausrichtung taktische oder nachhaltige Ansätze verfolgen würde. Davon losgelöst erlaubt diese von den USA initiierte Diplomatie-Offensive Hoffnungswerte. Bezüglich des Status ist es eine zarte Annäherung.