Finanzen

Der nächste Finanzsturm? Teil 1: Die Rückkehr der Schrottanleihen

Hochriskante „Junkbonds“ sind so beliebt wie selten – im gegenwärtigen Umfeld wirkt das fast schon bizarr. Experten können keine richtige Erklärung finden. Steht der Billionen-Dollar-Markt vor einem Fiasko?
09.07.2023 09:27
Aktualisiert: 09.07.2023 09:27
Lesezeit: 4 min
Der nächste Finanzsturm? Teil 1: Die Rückkehr der Schrottanleihen
An den globalen Anleihemärkten steigt die Risikobereitschaft. (Foto: dpa)

Investoren kaufen wieder vermehrt Junkbonds. Darüber gibt ein wichtiger Indikator Aufschluss, der sogenannte „Zins-Spread“. So bezeichnet man die Zins-Differenz zwischen Schrottanleihen (engl. „Junkbonds“, oftmals euphemistisch „Hochzins-Anleihen“ genannt) und einer niedriger verzinsten Benchmark mit gleicher Restlaufzeit – meist die Zinsen von als ausfallsicher geltenden Staatsanleihen.

Als Schrottanleihen werden solche Zinspapiere bezeichnet, deren Rating unterhalb einer gewissen Schwelle liegt. Ein Junk-Rating impliziert eine hohe Ausfall-Wahrscheinlichkeit. Wer aktuell im Dollar- oder Euroraum eine solche hochriskante Unternehmensanleihe kauft, lässt sich dieses Risiko im Durchschnitt mit einer um etwa 4 bis 4,5 Prozent höheren Umlaufrendite bezahlen. Diese Differenz ist eine klassische Risikoprämie.

In der jüngeren Historie ist der Spread nicht besonders auffällig. Aber wenn man sich vergegenwärtigt, in welchem Marktumfeld wir uns zurzeit befinden, dann wirkt es ungewöhnlich niedrig. Noch Ende letzten Jahres stand eine globale Rezession im Raum. Die USA und Europa sind besonders exponiert – aus unterschiedlichen Gründen. In den USA deuten einige Marktindikatoren wie die invertierte Zinskurve immer noch auf einen kommenden Wirtschaftsabschwung hin, während etwa Deutschland schon tief in der Rezession steckt.

Angeschlagene Firmen mit niedrigen Margen und veraltetem Geschäftsmodell haut es in einer Wirtschaftskrise zuerst um. Emittenten von Schrottanleihen fallen häufig in diese Kategorie. Wenn die Erträge einbrechen und die Zinslast konstant hoch bleibt, kann sich jeder ausrechnen, wie es um die Finanzlage der Firmen bestellt wäre. Das Rezessionsrisiko sollte sich in einem gewissen Risikoaufschlag bemerkbar machen, was aktuell jedoch nicht der Fall ist. Der Markt preist demnach kein Rezessions-Szenario, was auch an den zuletzt positiven US-Wirtschaftszahlen liegen könnte.

Noch viel entscheidender als die wackeligen Volkswirtschaften ist das Zinsumfeld. Hochzins-Papiere werden in aller Regel von finanziell maroden Unternehmen emittiert, die nicht genügend verdienen um ihre Kosten zu decken und deshalb ständig auf Fremdkapital angewiesen sind. In Finanzkreisen spricht man auch gerne von den sogenannten „Zombie-Unternehmen“.

Diese meist überschuldeten Firmen konnten sich noch vor knapp zwei Jahren, als das allgemeine Zinsniveau nahe null lag, durch Anleihen mit einem Zinskupon von 4 bis 5 Prozent finanzieren. Seitdem ist die offizielle Inflationsrate in die Höhe geschnellt, weshalb die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) die Zinssätze in nur 14 Monaten von nahezu Null auf eine Zielspanne von 5-5,25 Prozent angehoben hat. Infolge der Zinswende werden amerikanische Hochrisiko-Anleihen heute mit etwa 8 bis 9 Prozent verzinst.

Eine gewaltige Zinsbelastung für eine strauchelnde Firma. Das Risiko eines Zahlungsausfalls des Unternehmens liegt bei doppelt so hohen Zinsen deutlich höher (auch wenn man die Inflationsentwicklung berücksichtigt). Das müsste sich eigentlich in niedrigeren Kursen der Hochrisiko-Anleihen widerspiegeln, demnach also deren Rendite und damit der Spread noch viel höher liegen.

Finanzwelt rätselt über Bepreisung von Junkbonds

Warum verzichten Anleger derzeit auf eine höhere Risikoprämie? Finanzexperten haben darauf keine richtige Antwort. Die aktuellen Spreads bei Hochzinsanleihen „sind ein ständiges Rätsel“, meint Marty Fridson, Chefstratege bei der Investmentfirma Lehmann Livian Fridson Advisors, gegenüber der Financial Times.

Man muss bedenken, dass kaum ein Investor einzelne Schrottanleihen hält. Normalerweise werden sie im Paket oder als ETF gekauft, um das Risiko zu streuen. Ein gewisser Anteil wird mit anderen weniger risikoreichen Schuldtiteln zu handelbaren Wertpapieren („Collaterized Debt Obligation, kurz CDO) gebündelt. Vielleicht vertrauen zurzeit viele Anleger noch darauf, dass der Diversifizierungs-Effekt funktioniert.

Ein weiterer Faktor dürfte das relativ geringe Angebot sein, wozu allerdings auch eine Welle an Bonitäts-Hochstufungen der Rating-Agenturen beigetragen hat. Daten von Goldman Sachs zufolge wurden von Januar bis Mitte Mai Schrottanleihen im Wert von 56 Milliarden Dollar aufgestuft, während zugleich nur 16,6 Milliarden an vorher höher eingeordneten Anleihen in den Ramschbereich abrutschten.

Zuletzt gab es recht wenige Emissionen mit Junk-Rating. Von Jahresanfang bis Juni wurden Schrott-Papiere im Wert von 67 Milliarden Dollar ausgegeben, davon rund ein Drittel Neuverschuldungen und zwei Drittel Refinanzierungen bestehender Schulden. Das ist zwar mehr als noch als im selben Zeitraum 2022, aber deutlich weniger als im Rekordjahr 2021 (insgesamt 404 Milliarden) und dem Durchschnitt der letzten zehn Jahre.

Der Junkbond-Markt läuft erst langsam wieder an, nachdem es letztes Jahr nicht zuletzt aufgrund der aggressiven Zinsstraffungen und einer temporären Zurückhaltung der Investoren fast zum kompletten Stillstand gekommen war. Zudem hatten sich die schulden-abhängigen Unternehmen noch rechtzeitig vor dem Durchschlagen der Zinswende die Kassen mit relativ billigen Schulden großzügig aufgefüllt und die Zahlungstermine hinausgeschoben.

Der Verkauf neuer Anleihen hat seit April zugenommen, als sich die Turbulenzen im Bankensektor abschwächten. „Der überwiegende Teil des Angebots, das in diesem Jahr auf den Markt gekommen ist, diente der Refinanzierung - es werden also nicht wirklich neue Schulden in die Bilanzen aufgenommen, sondern lediglich alte Schulden ersetzt“, erklärt Lotfi Karoui, Chef-Kreditstratege bei Goldman Sachs.

Im Rahmen der Zinswende wurden Anleihen aus allen Segmenten abverkauft und deren Rendite schoss in die Höhe. Die mittlerweile auf 8,5 Prozent angestiegenen Schrottanleihe-Zinsen werden für den Schuldner aber erst dann zum Problem, wenn eine Refinanzierung ansteht. „Die Emittenten haben wirklich die Oberhand“, sagt Fridson. „Ein großer Teil ihrer Schulden wird nicht in den nächsten ein bis zwei Jahren fällig und es besteht aktuell keine Dringlichkeit für sie, sich zu refinanzieren.“

Womöglich ist das Geschäftsmodell von Firmen, die sich jetzt trotzdem zu massiv erhöhten Zinsen verschulden, stabil genug und deren Ausfallrisiko nicht auffällig hoch. Umgekehrt könnte man jedoch genauso argumentieren, dass vermehrt solche Unternehmen zu einem derart ungünstigen Zeitpunkt Hochzins-Anleihen ausgeben oder refinanzieren, die wirklich gar keine anderen Finanzierungsoptionen mehr haben und folglich ganz besonders stark von einer Zahlungsunfähigkeit bedroht sind.

In der Finanzwelt kann man sich auf die Preisbildung des im Dollarraum 1,4 Billionen (1.400 Milliarden) schweren Marktes keinen Reim machen. Es bleibt rätselhaft, warum Investoren wieder vermehrt auf Schrottanleihen setzen. Jetzt gilt es vor allem zu beobachten, was mit den Risikoaufschlägen passieren wird, wenn sich das Schuldenvolumen normalisieren sollte.

Viele Händler und Analysten erwarten, dass der Markt für Hochzinsanleihen letztendlich die makroökonomische Realität widerspiegeln wird. Langsameres Ertragswachstum und steigende Zinsausgaben dürften die Nachfrage dämpfen und die Risikoaufschläge wieder nach oben treiben, so Goldmans Karoui. Diese Konstellation sei „wirklich problematisch für Unternehmen, die einen großen Teil ihrer Verbindlichkeiten in Form von variablen Zinssätzen haben“. Grob die Hälfte aller Schulden mit Junkrating haben einen solchen variablen Zinskupon.

Lesen Sie hier Teil 2: Die Zombie-Unternehmen kippen

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Jakob Schmidt ist studierter Volkswirt und schreibt vor allem über Wirtschaft, Finanzen, Geldanlage und Edelmetalle.

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