Finanzen

Bankenregulierung: Massive Probleme wegen mangelndem Eigenkapital

Die heutige Bankenregulierung hat ein nur rasierklingendünnes Kapitalpolster. Das sind die Folgen von übermäßig vorsichtigen Entscheidungen einer früheren Ära. Welche Länder sind besonders betroffen?
12.07.2023 22:25
Aktualisiert: 12.07.2023 22:25
Lesezeit: 3 min
Bankenregulierung: Massive Probleme wegen mangelndem Eigenkapital
Die globale Finanzkrise von 2008 hat die grauenhaften Fehler aufgezeigt, die die Bankenaufsichten in den Jahren zuvor gemacht hatten. (Foto: dpa) Foto: Peter Foley

Sind neuerliche „Bailouts“ für die Banken ein zusätzlicher Beweis, dass der Kapitalismus nicht funktioniert? Einige Kommentatoren scheinen das zu denken. Doch von was für Kapitalismus reden sie?

Es ist lange her, dass es im Bankensektor - einer der am stärksten regulierten Branchen überhaupt - auch nur eine Spur von Marktdisziplin oder Kapitalismus gegeben hat. Der sich an die Probleme der Banco Popular und anderer Banken anschließende Zusammenbruch der Silicon Valley Bank ist ein weiterer Fall, wo ein Finanzinstitut über Nacht zusammengebrochen ist, ohne gegen eine der vielen prudenziellen Regeln verstoßen zu haben, denen es unterlag.

Die globale Finanzkrise von 2008 hat die grauenhaften Fehler aufgezeigt, die die Bankenaufsichten in den Jahren zuvor gemacht hatten. Doch statt diese zu korrigieren und ein echtes Verständnis davon zu entwickeln, warum diese Fehler begangen wurden und wie man sie künftig vermeiden könnte, verlangten Politiker und die Öffentlichkeit damals schlicht, dass die Aufsichtsbehörden die Regulierung verschärfen sollten. Das taten sie, und nun sehen wir die Folgen.

Massiver Fehler: Ein rasierklingendünnes Kapitalpolster

Der wichtigste Fehler bei der heutigen Bankenregulierung ist, dass sie nur ein rasierklingendünnes Kapitalpolster vorschreibt. Dies ist ein Überbleibsel einer früheren Ära. Es beruht auf dem Eigenkapital, das die japanischen Zombie-Banken Mitte der 1990er Jahre aufwiesen, und spiegelt den Wunsch der Verfasser der Baseler Regeln (des internationalen Rahmenwerks zur Bankenregulierung) wider, ihre Kollegen bei der Bank von Japan nicht in Verlegenheit zu bringen.

Nach der globalen Finanzkrise war es erneut zu peinlich, das Ausmaß dieses Fehlers einzugestehen; daher beließen es Politik und Regulierungsbehörden bei einem allmählicheren Ansatz.

Infolgedessen ist der Eigenkapitalanteil an den Bilanzsummen seit 2007 in Europa und den USA um nicht einmal 30 Prozent gestiegen. Und während es bei den Kernkapitalquoten (dem Anteil der durch Eigenkapital und Reserven gedeckten Risikopositionen) etwas besser aussieht, wurde das weitgehend durch eine leichte Anpassung der Regeln für die Berechnung von Zähler und Nenner erreicht. Müssten die Banken dieselbe Kapitalquote einhalten, wie Hedgefonds das bei gleichem Risikoniveau freiwillig tun, hätte sich das Eigenkapital verdreifacht.

Silicon Valley Bank

Betrachten wir die Silicon Valley Bank (SVB). Sie hatte eine Bilanzsumme von 200 Milliarden Dollar, von der 86 Milliarden Dollar in mit Wohnungshypotheken unterlegten Wertpapieren mit einer Laufzeit von mindestens zehn Jahren steckten, die als „Held to maturity“ ausgewiesen wurden (das heißt, bis zur Fälligkeit gehalten werden sollten). Der Zeitwert dieser Anlagen jedoch lag bei nur 71 Milliarden Dollar, was einen Verlust von 15 Milliarden Dollar implizierte. Das allein war mehr als genug, um das Eigenkapital der Bank (zwölf Milliarden Dollar) aufzuzehren, und das war im Jahresbericht der Bank für 2022 schwarz auf weiß zu lesen.

In der Praxis erlaubten die bestehenden „prudenziellen“ Regeln der SVB, ihr Eigenkapital bei diesen riskanten Wertpapieren in ihrem Effektenkonto mehr als zehnfach zu hebeln. Das ist Wahnsinn angesichts der Schwankungsanfälligkeit der gehaltenen Vermögenswerte. Selbst ein aggressiver Hedgefonds hätte ein derartiges Konto höchstens um das Dreifache gehebelt. Doch der SVB gestattete man eine veröffentlichte Kernkapitalquote von 12 Prozent - was deutlich innerhalb der „prudenziellen“ Grenzwerte liegt.

Zweiter großer Fehler: Wie die Solvenz einer Bank eingeschätzt wird

Das bringt uns zum zweiten großen, nicht korrigierten Fehler bei der Bankenregulierung: Die Solvenz einer Bank wird auf Basis der Endfälligkeit der gehaltenen Aktiva eingeschätzt. Selbst „konservative“ Bankexperten wie der ehemalige Chefökonom der Bank von England John Vickers scheinen dies zu akzeptieren. Aber würde Vickers Geld bei einer Bank anlegen, die auf der Basis des aktuellen Marktwerts insolvent ist? Natürlich nicht. Und für die Einleger der SVB galt dasselbe. Als sie endlich merkten, was seit vielen Monaten hätte klar sein sollen, versuchten sie, ihr Geld schnellstmöglich abzuziehen.

Nur ein Problem in den USA?

Auf den ersten Blick scheint dieses Problem nur die USA zu betreffen. In Europa sind Schulden (über die strukturelle Liquiditätsquote (NSFR) und Vermögenswerte (über die Liquiditätsdeckungsquote (LCR) reguliert, sodass diese Art von Missverhältnis nicht auftreten sollte. Doch so beruhigend diese Regelung sein mag: Sie bedeutet auch, dass die Behörden den Interbanken-Kreditmarkt aus dem Geschäft reguliert haben - und vermutlich die Banken gleich mit.

Wer wird sein Geld noch bei einer Bank anlegen, die nur Renditen erreichen kann, die unter denen hochwertiger liquider Vermögenswerte liegen, in die die Banken und die Einleger selbst investieren können? Die Banken werden so auf das Zahlungsgeschäft beschränkt - zumindest bis zur Einführung von digitalem Notenbankgeld, mit der auch dieses Geschäft an die sie in den Ruin treibenden Notenbanken übergehen wird.

Wollen wir Kapitalismus oder nicht? Wenn ja, müssen wir die gescheiterte Regulierung (und die Regulierer gleich mit) loswerden und den Status quo beenden, bei dem die Notenbanker über eine Geldpolitik mit langen, wechselnden und zeitverzögerten Folgen präsidieren - mit für sie unvorhersehbaren Auswirkungen auf die künftige Wirtschaftslage.

Wir müssen uns zudem von der Idee verabschieden, dass Bankeinlagen als einzige Finanzwerte einen staatlich festgelegten und garantierten Nennwert haben. Würden sich die Banken über handelbare Einlagenzertifikate finanzieren, wären Krisen wie die jetzige ausgeschlossen. Einlagenzertifikate der SVB würden dann aufgrund der Unsicherheit über eine Liquidierung oder Rekapitalisierung der Bank womöglich mit 85 Prozent ihres Nennwerts gehandelt werden, aber es hätte nie einen Bankensturm gegeben. Bankenstürme passieren nur, weil die ersten 85 Prozent, die Schlange stehen, den Nennwert bekommen, und die letzten 15 Prozent leer ausgehen.

Copyright: Project Syndicate, 2023.

www.project-syndicate.org

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Kryptowährungsmarkt im Fokus: ETFs, XRP und Moon Hash – Weihnachtsbonusverträge beflügeln Cloud-Computing-Trends

Zum Jahresende erlebt der Kryptowährungsmarkt einen neuen Aufschwung. Kryptowährungs-ETFs und XRP ziehen zunehmend Gelder traditioneller...

Jede Anlage am Kapitalmarkt ist mit Chancen und Risiken behaftet. Der Wert der genannten Aktien, ETFs oder Investmentfonds unterliegt auf dem Markt Schwankungen. Der Kurs der Anlagen kann steigen oder fallen. Im äußersten Fall kann es zu einem vollständigen Verlust des angelegten Betrages kommen. Mehr Informationen finden Sie in den jeweiligen Unterlagen und insbesondere in den Prospekten der Kapitalverwaltungsgesellschaften.

Antonio Foglia

***

Antonio Foglia ist Vorstandsmitglied der Banca del Ceresio und Mitglied des Global Partners’ Council des Institute for New Economic Thinking.

DWN
Finanzen
Finanzen Jetzt Tesla-Aktie kaufen? Welche Erwartungen Investoren an Elon Musk haben
21.12.2025

Visionäre Unternehmer haben an den Kapitalmärkten immer wieder ganze Branchen neu geordnet. Ob Tesla-Aktien weiterhin von technologischem...

DWN
Panorama
Panorama Gaudís Sagrada Família: Der höchste Kirchturm der Welt
21.12.2025

Barcelona feiert 2026 die Architektur – und ein Turm der Sagrada Família soll Geschichte schreiben. Doch hinter dem Rekord stecken Geld,...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Leadership-Coach Lars Krimpenfort: „Klopp ist ein gutes Beispiel für klare Führung unter Druck“
21.12.2025

Im Mittelstand steigen die Belastungen gefühlt täglich. Wie gelingt es Führungskräften dennoch, unter Druck richtig zu entscheiden?...

DWN
Politik
Politik EU-Kapitalmarktunion: Warum kleine Staaten um ihre Finanzmacht kämpfen
21.12.2025

Die EU will ihren Kapitalmarkt neu ordnen und zentrale Aufsichtsrechte nach Paris verlagern, während kleinere Staaten den Verlust ihrer...

DWN
Panorama
Panorama DWN-Wochenrückblick KW 51: Die wichtigsten Analysen der Woche
21.12.2025

Im DWN Wochenrückblick KW 51 fassen wir die zentralen wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen der vergangenen Woche zusammen....

DWN
Unternehmen
Unternehmen Mittelstand vor existenziellen Problemen: Keine Aufträge und schlechte Rahmenbedingungen
21.12.2025

Wie eine aktuelle Umfrage des ifo-Instituts ergab, sehen sich 8,1 Prozent der befragten Firmen direkt in ihrer wirtschaftlichen Existenz...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft EU-Zölle auf Kleinsendungen: Neue Abgabe trifft Online-Bestellungen aus Drittstaaten
21.12.2025

Der Online-Handel mit günstigen Waren aus Drittstaaten wächst rasant und stellt den europäischen Binnenmarkt vor strukturelle...

DWN
Finanzen
Finanzen Topanalyst enthüllt: Das sind die attraktivsten Rüstungsaktien
21.12.2025

Die globale Sicherheitslage wandelt sich rasant, und die Verteidigungsindustrie gewinnt an Bedeutung für Regierungen und Kapitalmärkte....