Südamerika galt lange als der sichere Hinterhof der USA. Hier wähnte man Verbündete oder zumindest treue Kontakte in der globalisierten Welt. Doch immer mehr vermeintliche Partner wenden sich vom Westen ab oder schenken dem chinesisch-russischen Machtblock mindestens ebenso viel Aufmerksamkeit. Werden die USA von China sukzessive aus Südamerika zurückgedrängt?
Friend-Shoring: Die USA auf Suche nach Partnern
In einer Welt geopolitischer Disruptionen sind die Vereinigten Staaten sichtlich bemüht, sich der Loyalität ihrer Verbündeten und Handelspartner zu versichern. So versuchen politische Schwergewichte der USA wie Finanzministerin Janet Yellen in Vietnam oder Außenminister Anthony Blinken am Telefon mit dem pakistanischen Amtskollegen Zardari, ein System von Friend-Shoring-States zu entwerfen. Friend-Shoring bedeutet die Beschränkung des internationalen Handels auf Länder mit ähnlichen Wertvorstellungen, also ein offenes Partnerschaftsmodell. Doch insbesondere Finanzministerin Yellen muss in Vietnam feststellen, dass es für diese Art des Handels schon zu spät sein dürfte, denn auch wenn sie amerikanische Firmen vor einem Umschwenken auf den vietnamesischen Markt bewegen kann, werden die dort gekauften Produkte mit großer Wahrscheinlichkeit aus China stammen, zumindest partiell.
Fast identisch verhält es sich mit Südamerikas Staaten, die längst nicht mehr der „Hinterhof“ der USA sind, sondern sich nach neuen Partnern umschauen. Dazu zählt im besonderen Maße China. So wuchs das Handelsvolumen zwischen Lateinamerika und China von knapp elf Milliarden Euro im Jahr 2000 auf knapp 280 Milliarden Euro im Jahr 2020. Voraussichtlich könnte dieses Volumen bis zum Jahr 2035 auf knapp 700 Milliarden Euro anwachsen.
Frustration und Skepsis gegenüber dem Westen
Der Westen und die USA werden in Lateinamerika gehört, aber nicht unbedingt respektiert. So könnte der Mercosur-Deal letztendlich scheitern, nachdem fast 25 Jahre lang verhandelt wurde. Doch nicht in erster Linie aufgrund des Widerstandes europäischer Landwirte, sondern wegen der Entrüstung südamerikanischer Politiker, die die zahlreichen Auflagen der Europäer zum Umwelt- und Tierschutz als Affront gegen ihre Wirtschaft und Produkte betrachten.
Der Amerikagipfel im Jahr 2022 war für die USA ebenfalls ein bestenfalls mäßiger Erfolg, denn viele der teilnehmenden Länder erschienen nur widerwillig oder mit Forderungen zu den Verhandlungen, bei denen die demokratische Führungsrolle der USA nicht akzeptiert wurde. Dabei spielt die wechselhafte Geschichte zwischen den USA und Lateinamerika eine nicht unwesentliche Rolle. Die Erinnerung ist noch frisch an Systemumstürze und die Liquidierung unliebsamer Politiker in Lateinamerika durch die CIA, ebenso wie die Ausnutzung einzelner Länder als wirtschaftliche Testgelände. Zudem waren die meisten Länder Schauplätze amerikanisch-sowjetischer Stellvertreterkriege, die den Kontinent in Chaos, Terror und Armut stürzten.
Einen ähnlichen Wettstreit zwischen Washington und Peking will hier niemand riskieren, deshalb leisten die Staaten einen Balanceakt zwischen den Demokratien des Westens und den Autokratien des Ostens, um für sich die bestmöglichen Deals herauszuschlagen.
Chinas Taktik: Schnelle Kredite, viele Zugeständnisse
Und China versteht, dass es den Lateinamerikanern vermehrt eher um Sicherheit und wirtschaftliche Hilfen geht als um wertebasiertes Friend-Shoring. Peking lockt mit günstigen Krediten und einfachen Zugeständnissen. Produkte aus der argentinischen Viehzucht, brasilianische Bodenschätze, Rohstoffe wie Öl, Stahl, Kupfer und ein riesiger Absatzmarkt werden von China mit großen Geldsummen umworben. Standards beim Umwelt-, Arbeits- und Tierschutz sind höchstens zweitrangig.
So kaufte sich die China Merchants Port Company (CMP) etwa zu 90 Prozent bei der brasilianischen TCP Participações ein, die den zweitgrößten Hafen Brasiliens verwaltet. Auch besitzt Brasilien große Mengen an Seltenen Erden, die für den Bau von Photovoltaikanlagen und Elektroautos vonnöten sind. Sofern diese Ressourcen an chinesische Unternehmer gehen, wird auch in Brasilien ein Friend-Shoring und der Bezug der essenziellen Mineralien ohne Chinas Einfluss unmöglich.
Ein weiterer und für die USA durchaus besorgniserregender Vorgang sind Waffenverkäufe von China an Länder wie Venezuela, Peru und Argentinien. Auch die Kontrolle wichtiger Knotenpunkte wie dem Panamakanal ist eines der Hauptziele Chinas, warnt Miles Yu, Senior Fellow und Direktor im China Center des Hudson Institutes.
Autarkie als Lösungsansatz?
Die USA behelfen sich mit zahlreichen Besuchen von Partnern in der ganzen Welt, versuchen, alte Netzwerke zu stärken und neue Partnerschaften aufzubauen. Doch wenn sie auf eine völlige Befreiung von Handelsbeziehungen absieht, in die auch chinesische Firmen involviert sind, muss sie nach chinesischem Vorbild eine funktionierende Selbstversorgung etablieren.
Essenzielle Rohstoffe wie Seltene Erden werden ohne chinesische Zwischenhändler kaum noch verfügbar sein. So entwickeln junge Startups in den USA neue Wege, um Kupfer und andere Chipmetalle zu finden und zu recyceln. Ob sie der Großmacht USA damit zu mehr Autarkie verhelfen können, bleibt vorerst ungewiss. Mit dem Hinterhof der USA, in dem sie nach Belieben das politische Geschehen bestimmen und Regime stürzen konnten, ist es aber restlos vorbei.